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- 709 - Markus Brönnimann, Anik Schwall und Joseph Moog spielen Debussys Klaviertrio G-Dur
Teenager oder junger Mann?
„Vorgestern ist aus Paris ein junger Pianist eingetroffen … Ich habe ihn verpflichtet, um den Kindern Unterricht zu geben… und mit mir im Sommer vierhändig zu spielen. Dieser junge Mann spielt gut, seine Technik ist glänzend, aber sein Spiel verrät überhaupt keine Persönlichkeit. Er hat noch nicht genug erlebt. Er sagt, er sei zwanzig Jahre alt, aber er wirkt wie sechzehn.“Ein dringend nötiger Neuanfang
In Wirklichkeit war Debussy im Sommer 1880 18 Jahre alt, kam allerdings zum ersten Mal „raus“ - aus den kleinbürgerlichen Verhältnissen seiner Jugend in eine wirklich mondäne Umgebung. In den Jahren zuvor hatte Debussy gleich einige empfindliche Rückschläge erdulden müssen. Bei Klavierwettbewerben bemerkte man, dass er zunehmend hinter die hart trainierende Konkurrenz zurückfalle, als virtuoses Wunderkind war er gescheitert, und am Konservatorium wurde er wegen seiner Unangepasstheit im Komponieren permanent vom Professor gedemütigt. Immerhin sah Debussys Klavierlehrer Marmontel, der aus pianistischer Sicht auch nicht wirklich mit der Entwicklung seines Zöglings zufrieden sein konnte, in einer Einladung eine letzte Chance.Eine legendäre Mäzenin
Nadeshda von Meck, die häufige und freigiebige Gönnerin und Brieffreundin von Peter Tschaikowsky, suchte für Reisen in die Schweiz und nach Italien einen Musiklehrer für die Kinder und einen musikalischen Zeitvertreiber. Neben dem jungen Debussy gehörten auch ein Geiger und ein Cellist zur Entourage der steinreichen Mäzenin. Offenbar wurde nächtelang durchmusiziert, sehr zur Freude der Hausherrin, und womöglich auch zu Debussys Gewinn.Mein kleiner Franzose ist abgereist. Denken Sie nur, Pjotr Iljitsch, der Junge hat geweint, als er uns verließ. Das hat mich tief gerührt; er hat ein so liebevolles Herz. Er hätte uns überhaupt nicht verlassen sollen, aber der Direktor des Konservatoriums war schon sehr ärgerlich, weil er seine Rückkehr um vierzehn Tage verschoben hatte...
Quelle: v. Meck an Tschaikowsky, 15.11.1880
Ein hundert Jahre verspäteter Triohit
Die vollständige Wiederentdeckung von Debussys frühem Trio gehört zu den musikwissenschaftlichen Sensationen der letzten Jahrzehnte. Denn vor allem aus dem Briefwechsel zwischen Frau von Meck und Tschaikowsky wußte man von der Existenz dieses in Fiosele in Italien komponierten Stückes. Zwar waren Partitur des ersten Satzes und eine autographe Cellostimme aller vier Sätze bekannt. Die fehlenden Sätze aber, immerhin drei Viertel des Stücks, entdeckte man erst 1982 im Nachlass eines Debussy-Schülers in Paris. 30 Takte des Finalsatzes konnte Debussy-Forscher Ellwood Derr schließlich mithilfe der Cellostimme und einer Abschrift rekonstruieren. Auf diese Weise war er in der Lage, das Werk 1986 im Druck herauszugeben. Unmittelbar danach wurde dem Verlag das Stück quasi aus den Händen gerissen, es folgten unzählige Aufnahmen der Fassung für Violine, Violoncello und Klavier. Das SWR2 Musikstück der Woche lässt eine seltener aufgeführte aparte Bearbeitung mit Flöte statt Violine hören, die weitestgehend dem Originalsatz folgt.Sat, 16 Mar 2024 - 24min - 708 - Das Monet Quintett spielt Gustav Holsts Bläserquintett As-Dur op. 14
Posaunen und Planeten
Gustav Holst ist vor allem bekannt für seine Komposition „Die Planten“ – seine interstellare Orchestersuite, ohne die John Williams' Filmmusik zu „Star Wars“ vermutlich ein bisschen weniger galaktisch geworden wäre. „Die Planeten“ von Gustav Holst zeigen auf jeden Fall eines: Der Mann beherrschte sein Handwerk. Holst war ein Meister der Orchestrierung. Kein Wunder, war er doch von Hause aus selbst Orchestermusiker, nämlich Posaunist. Vielleicht wurde auch so sein Interesse an der Alten Musik geweckt – schließlich nahm die Posaune in der Musik der Renaissance und des Barock eine wichtige Rolle ein.Ein Blick auf die Alten Meister
Hört man sich durch die Werkliste von Gustav Holst, dann erkennt man schnell: Diese Liebe zur Alten Musik zeigt sich in zahlreichen seiner Kompositionen, so auch in seinem Quintett für Flöte, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott in As-Dur op. 14. Im zweiten Satz seines Bläserquintetts orientiert sich Holst etwa an einer Pavane, also an einem Schreittanz der Renaissance. William Byrd und Henry Purcell lassen grüßen.Frühe Schrecken in alten Kisten
Entstanden ist das Bläserquintett 1903, gedruckt wurde es allerdings erst 1982. Der Grund: Das Manuskript war mehr als 60 Jahre verschollen. Das Bläserquintett gehört somit trotz der späten Veröffentlichung zu den Frühwerken, die Holst selbst einmal als „early horrors“, also als „frühe Schrecken“, bezeichnete. Es überrascht dann auch nicht, dass er recht sorglos mit den Manuskripten umging – da kann auch schon einmal eines verloren gehen. Gut, dass jemand in den alten Kisten nachgeschaut hat.Sat, 9 Mar 2024 - 15min - 707 - Johann Sebastian Bach: Cembalokonzert g-Moll BWV 1058
Il Convito. Maude Gratton (Cembalo und Leitung). Ettlinger Schlosskonzert vom 5.3.2017. SWR2 Musikstück der Woche vom 18.5.2019.
Thu, 25 Apr 2019 - 12min - 706 - La Cetra Barockorchester Basel spielt Bachs Brandenburgisches Konzert Nr. 4
Die Familie der Brandenburgischen Konzerte
Mit den Brandenburgischen Konzerten von Bach ist es wie mit einer leibhaftigen Familie. Alle sechs Werke dieses Namens gehören zusammen, immerhin hat Bach sie selbst zusammenfassend als „Concerts avec plusieurs instruments“ bezeichnet und im März 1721 in einem einzigen Paket an den Markgrafen von Brandenburg geschickt. Gleichzeitig hat jedes Orchesterstück seinen ganz eigenen Charakter, den es auch der jeweils unterschiedlichen Besetzung verdankt.Rätselhafte Echoflöten verleihen Charme
Im vierten Brandenburgischen Konzert, das Bach vermutlich in seiner Köthener Zeit komponiert hat, spielen drei Instrumente eine ganz besondere Rolle: Zwei Blockflöten und eine Solovioline. Die Blockflöten bezeichnet Bach in diesem Konzert als „Fiauti d’echo“, Echoflöten. Was mit dieser merkwürdigen Bezeichnung gemeint sein könnte, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Waren es besondere Instrumente, die heute nicht mehr bekannt sind? Bezieht sich die Angabe auf den musikalischen Einsatz der Flöten? Oder ging es gar um die Positionierung der Musiker im Raum? Die Blockflöten jedenfalls geben dem ganzen Konzert einen sehr großen Charme. Denn ihr warmer Klang taucht das Konzert in eine sehr pastorale Atmosphäre.Mehr zu Bachs Brandenburgisches Konzert Nr. 4 G-Dur BWV 1049
Ungestüme Geige im Kopfsatz
Im Allegro-Kopfsatz steigt das Flötenduo ganz ohne großes Orchestervorspiel direkt ein: mit einer munteren, sich im Dreiertakt hin und her wiegenden Melodie. Etwa ab der Satzmitte mischt sich dann die Geige ungestüm in das Geschehen ein – mit sprudelnden Tonleitern, Doppelgriffen und gebrochenen Akkorden. Das ist fast ein Violinkonzert für sich.Trauer und Melancholie im Mittelsatz
Die gelöste Stimmung des Kopfsatzes weicht im Mittelsatz (Andante) einer dramatischen Ausdrucksstärke. Das Tongeschlecht kippt nach Moll. Die musikalischen Linien sind ausgedehnter und weisen oft nach unten. Trauer und Melancholie sind hier gedanklich nicht weit entfernt. Das Verhältnis zwischen Solisten und Orchester ist sehr ausgewogen. Die Echowirkung tritt hier besonders hervor.Strenger Schlusssatz
Das Konzert endet mit einem vergleichsweise strengen Schlusssatz, der Elemente der Fuge mit Elementen des damals neumodischen italienischen Concerto auf meisterhafte Weise verbindet.Sat, 12 Dec 2020 - 16min - 705 - Philippe Tondre und Danae Dörken spielen Robert Schumans Drei Romanzen für Oboe und Klavier op. 94
Do-it-yourself-Geschenkidee aus dem Hause Schumann
Egal ob vor Geburtstagen oder vor Weihnachten, immer wieder stellt sich die Frage: Was soll man denn nur verschenken? Wenn es zeitlich wieder knapp wird und die zündende Idee weiterhin auf sich warten lässt, dann gibt es noch einen Notfallplan: den Gutschein. Das ist zwar kein sonderlich originelles oder aufregendes, aber immerhin ein ganz praktisches Geschenk. Auf dem Gabentisch der Familie Schumann lagen vermutlich keine Gutscheine. Robert Schumann konzentrierte sich auf das, was er besonders gut konnte: Komponieren. Zu Weihnachten 1849 schenkte er seiner Frau Clara eine Komposition – die Drei Romanzen für Oboe und Klavier op. 94. Robert Schumann war natürlich Profi durch und durch: Er komponierte sein Weihnachtsgeschenk in einer knappen Woche. Das verwundert auch nicht, denn etwas später bezeichnete Schumann das Jahr 1849 als seine künstlerisch produktivste Phase. In dieser Zeit interessierte er sich vor allem für das „kleine Genre“, zu dem etwa Fantasiestücke und Romanzen in klein besetzen Kammermusikformationen gehören.Die ‚Schumann-Methode‘
Diese Herangehensweise ist typisch für Robert Schumann. Er konzentrierte sich gerne für eine gewisse Zeit auf eine musikalische Gattung oder auf ein spezifisches Instrument. In solchen Phasen durchforstete er den jeweiligen Bereich und versuchte, alle kompositorischen Möglichkeiten auszuloten. Im Jahr 1849 war die Zeit des „kleinen Genres“ angebrochen. So entstanden einige Duo-Kompositionen mit Klavierbegleitung. Dabei nahm er jeweils ein im Repertoire eher vernachlässigtes Instrument in den Blick: Klarinette, Horn, Cello und eben die Oboe.Zart schmelzende Oboe
Robert Schumann hatte klare Vorstellungen, wie man mit diesen Instrumenten umgehen sollte. Nur wenige Wochen bevor er sich an die Romanzen für Oboe und Klavier setzte, schrieb er an seinen Schwager, der ebenfalls komponierte: „Lerne die Instrumente recht in ihrer natürlichen Kraft, der Mittellage, anwenden, vermeide Alles zu Hohe oder zu Tiefe – dann wird es immer schön klingen. So bist Du auch über die Oboe im Unklaren, sie klingt am schönsten vom h‘ bis zweigestrichenen a. Dies nur beiläufig.“ Drei Wochen später liefert Schumann den kompositorischen Beweis für seine These: Die Drei Romanzen für Oboe und Klavier op. 94. Und Robert Schumann wusste, wie man das Holzblasinstrument von seiner Schokoladenseite zeigt! Die Oboe bewegt sich größtenteils in der Mittellage – ganz so, wie er es auch seinem Schwager geraten hat. Höhere Spitzentöne werden nur ab und an eingestreut. Sie verleihen dem Werk die gewisse Würze. Auch sonst macht die Komposition ihrem Titel – „Romanzen“ – alle Ehre: Oboe und Klavier scheinen miteinander zu flirten. Sie umschmeicheln und umkreisen sich. Da kann vermutlich kein Gutschein dieser Welt mithalten.Philippe Tondre
Im Alter von sieben Jahren hielt Philippe Tondre zum ersten Mal eine Oboe in den Händen. Sein Weg führte ihn anschließend von der Musikschule seiner Geburtsstadt Mulhouse ans Pariser Konservatorium. Es folgten zahlreiche Wettbewerbe und Preise. Seit 2008 ist er Solo-Oboist des SWR Symphonieorchesters.Danae Dörken
Die deutsch-griechische Pianistin Danae Dörken gehört zur Spitze der neuen Musikergeneration. Gemeinsam mit ihrer Schwester Kiveli Dörken veranstaltet sie seit 2015 das Molyvos International Music Festival auf der griechischen Insel Lesbos – ein Forum für aufstrebende musikalische Talente.Sat, 18 Nov 2023 - 13min - 704 - Sebastian Manz und Martin Klett spielen Schumanns Fantasiestücke für Klarinette und Klavier op. 73
In den Wirren der Revolution
Die Jahre 1848 und 1849 sind zentral für die deutsche Demokratie- und Nationalstaatsgeschichte: Throne gerieten ins Wanken, der „Aufbruch zur Freiheit“ lag in der Luft und die Menschen forderten Teilhabe an der Gesetzgebung und am politischen Prozess. Es kam zu Protesten, Revolution, Gegenrevolution und Ausschreitungen. Robert Schumann bekam die Umbrüche hautnah mit. Im Mai 1849 erreichten die Wirren der Revolution auch Dresden. Ziel der Revolutionäre war es, König Friedrich August II. von Sachsen zu stürzen und eine sächsische Republik zu etablieren. Als sich die Situation verschärfte, flüchtete die Familie Schumann aus der Stadt. Ausgerechnet die Zeit der Märzrevolution bezeichnete Schumann später als seine künstlerisch produktivste Phase. Tatsächlich brachte er 1849 eine ganze Menge neuer Kompositionen zu Papier. An seinen Freund Ferdinand Hiller schrieb er: „Sehr fleißig war ich in dieser ganzen Zeit – mein fruchtbarstes Jahr war es – als ob die äußern Stürme den Menschen mehr in sein Inneres trieben, so fand ich nur darin ein Gegengewicht gegen das von Außen so furchtbar Hereinbrechende“.Musik in Zeiten des Umbruchs
Welche Musik mag Robert Schumann wohl in dieser Zeit geschrieben haben? Womöglich großangelegte Orchesterkompositionen, die die Proteste und Umschwünge in Musik fassen? Aufwühlende Musik mit lautem Getöse und einem triumphalen Finale? Nein. Robert Schumann schrieb Kammermusik und beschränkte sich dabei auf eine minimalistische Besetzung, nämlich auf das Duo. Eröffnet wurde die Kammermusikserie im Februar 1849 mit den Fantasiestücken für Klarinette und Klavier op. 73. Als die Komposition fertig war, setzte sich Clara Schumann sofort ans Klavier und spielte zusammen mit dem Klarinettisten Johann Gottlieb Kotte die Stücke mit „großem Vergnügen“ aus dem Manuskript. Vergnügen bereitete ihnen vermutlich der spielerische Umgang mit dem Klang der Klarinette, denn sie schlüpft in den drei kurzen Stücken in unterschiedlichste Rollen: Mal präsentiert sie sich groß im Ton, mal darf sich das Instrument von seiner draufgängerischen Seite zeigen und in den gesanglichen Passagen umhüllt die Klarinette die Hörerinnen und Hörer mit ihrem weichen Sound.Eine Flucht ins biedermeierliche Idyll?
Warum aber schrieb Schumann ausgerechnet in der Zeit der Märzrevolution beschauliche Kammermusik? Zog sich Schumann einfach aus der politischen Situation zurück und flüchtete sich in ein häusliches Idyll? Ganz so einfach ist es nicht. Schumann vertrat durchaus liberale Ansichten. Mit dem gewaltsamen Durchsetzen der Ideale konnte er sich allerdings nicht anfreunden. Außerdem schuf Schumann mit den Fantasiestücken für Klarinette und Klavier, aber auch mit seinen anderen Kammermusikwerken aus dieser Zeit gewissermaßen Musik „im Volkston“. Es ging nicht ausschließlich um den virtuosen Auftritt im Konzertsaal. Stattdessen können die Stücke auch im häuslichen Umfeld erklingen. Schumanns Ziel war es, allgemein verständliche Musik zu schaffen, ohne aber ins Belanglose abzudriften. Und damit traf er den Nerv der Zeit. Schumanns Verleger sorgte schließlich dafür, dass der Erstausgabe der Fantasiestücke auch alternative Stimmen beigelegt wurden. Die Komposition kann also ohne schlechtes Gewissen in der Besetzung Violine und Klavier oder Cello und Klavier gespielt werden. Schumann Op. 73, I für Cello und Klavier Damit machte Schumann nicht nur seinen Verleger glücklich, sondern auch sein Portemonnaie, denn die Fantasiestücke waren äußerst beliebt. Mit den verschiedenen Besetzungsvarianten konnte letztlich ein größerer Markt angesprochen und für mehr Umsatz gesorgt werden.Sebastian Manz
Sebastian Manz ist ein Allround-Musiker: solistisch und kammermusikalisch auf der Klarinette unterwegs, seit 2010 Solo-Klarinettist des SWR Symphonieorchesters, Arrangeur, Experimentator. Seinen großen Durchbruch feierte Sebastian Manz 2008 beim Internationalen Musikwettbewerb der ARD in München. Kurz zuvor gewann er mit seinem Klavierpartner Martin Klett den Deutschen Musikwettbewerb. 2017 veröffentlichte Sebastian Manz als Co-Produktion mit dem SWR sämtliche Klarinettenwerke von Carl Maria von Weber. Mit ausgezeichneter Resonanz wurde die Aufnahme in die Bestenliste der Deutschen Schallplattenkritik aufgenommen und erhielt einen ECHO Klassik.Martin Klett
Tango und Klassik. Für Martin Klett sind solche Kontrastwelten kein Widerspruch. Der Pianist spielt mit gleicher Hingabe und Vollendung klassische Klavierkonzerte wie Tangos und jazzig gefärbte Rezitale; gerne mit Duopartner Sebastian Manz. Nicht nur seine Konzertprogramme bilden diese Vielfältigkeit ab, sondern auch seine Diskographie, die bereits elf CDs umfasst – davon zwei solistische Alben, fünf Kammermusikeinspielungen und vier Alben mit dem Cuarteto SolTango.Sat, 9 Sep 2023 - 11min - 703 - Theatre of Voices singen Hildegard von Bingens „Columba aspexit“
Als menschgewordene Steuer ins Kloster gegeben
In einer sogenannten Klause wurde Hildegard auf ein klösterliches Leben vorbereitet. Als zehntes Kind einer adeligen Familie war sie von Geburt an Gott versprochen, die „Zehnte“ wurde nach Art einer menschgewordenen Kirchensteuer an den Klerus entrichtet.„[…] und meine Eltern weihten mich Gott unter Seufzern, und in meinem dritten Lebensjahr sah ich ein so großes Licht, dass meine Seele erzitterte […]“
Das schrieb die Volksheilige Hildegard später selber in ihren Lebensbericht und machte so plausibel, dass sie schon als Kind von Visionen heimgesucht wurde. Als Heimsuchung muss sie die göttlichen Gesichter, denn so deutete sie ihre Erscheinungen, tatsächlich zunächst empfunden haben, mehr als Belastung, denn als Gewinn.Quelle: Hildegard von Bingen
Hildegards Weg zur Prophetin wird unter Druck beschritten
Hildegard nannte den Schmerz, der mit ihren Visionen verbunden war, „pressura“ (lateinisch: Druck): ein Begriff, der sowohl ihr körperliches Unbehagen als auch den Zwang beschrieb, schließlich Zeugnis abzulegen.„Ich aber, obgleich ich diese Dinge hörte, weigerte mich lange Zeit, sie niederzuschreiben – aus Zweifel und Missglauben und wegen der Vielfalt menschlicher Worte, nicht aus Eigensinn, sondern weil ich der Demut folgte und das so lange, bis die Geißel Gottes mich fällte und ich ins Krankenbett fiel; dann, endlich bewegt durch vielerlei Krankheit […], gab ich meine Hand dem Schreiben anheim.“
Von nun an verstand sich Hildegard als Prophetin. Ihre Stimme bezeichnet sie als „Trompete, die durch den Atem Gottes erklang“.Quelle: Hildegard von Bingen
Die freie Taube blickt ins vergitterte Zimmer
Als Musikerin hat Hildegard viele ihrer gedichteten Texte selbst vertont. Die Sequenz „Columba aspexit“ richtet sich an den heiligen Maximin, der mit poetischen Bildern porträtiert wird, und greift noch einmal die Perspektive des Fensterblicks auf, den Hildegard aus ihrer Jugend in der Klause so gut gekannt haben muss:„Die Taube blickte durch des Fensters Gitter, als Balsamduft vor ihrem Antlitz aufstieg, von Maximin, dem Leuchtenden“.
Quelle: Hildegard von Bingen
Herausragendes Vokalensemble: Theatre of Voices
Theatre of Voices wurde 1990 von Paul Hiller gegründet und hat sich als eines der herausragenden Vokalensembles etabliert. Sein Repertoire reicht von Perotin und Hildegard von Bingen bis zu einem großen Spektrum zeitgenössischer Musik. Theatre of Voices spielte zahlreiche Alben mit vielfältigstem Repertoire ein, gewann 2009 einen Grammy und ist regelmäßig bei großen internationalen Musikfestivals zu Gast, so auch 2014 in der Abtei Maria Laach im Rahmen des SWR2 Festivals RheinVokal.Sat, 5 Aug 2023 - 07min - 702 - Dimitri Ashkenazy spielt Aaron Coplands Klarinettenkonzert
Auf den musikalischen Gipfeln der Antarktis
Nach Aaron Copland sind nicht nur ein Softwareprojekt und ein Asteroid benannt, auch ein Berg trägt seinen Namen: Der rund 500 Meter hohe Copland Peak auf der antarktischen Alexanderinsel. Der Berg befindet sich übrigens in bester Gesellschaft: Er liegt ganz in der Nähe des Mussorgsky Peak und der Brahms-Bucht und auch der Mount Liszt, der Mount Grieg und der Mount Tschaikowsky sind nicht allzu weit entfernt. Damit reiht sich Copland in die Riege der großen Namen der Musikgeschichte ein. Dabei wird er in Europa nur am Rande wahrgenommen. Anders sieht das in den USA aus, denn dort gehört Copland zu den Schlüsselfiguren der Musik des 20. Jahrhunderts. In den 1920er- und 1930er-Jahren machte er sich als Enfant terrible einen Namen und sorgte in den bürgerlichen Konzertsälen für empörtes Kopfschütteln.„Zu schwierig für Benny Goodman“
Coplands experimentelle Sturm-und-Drang-Phase dauerte nicht sonderlich lange. Mit der Zeit wurde sein Stil zahmer, leichter verständlich und tonaler. So entwickelte er eine Tonsprache, die heute das Prädikat „typisch amerikanisch“ trägt. Dabei integrierte er in seine Kompositionen immer wieder Elemente aus der Volksmusik und aus dem Jazz. So auch in seinem Klarinettenkonzert. 1947 gab der Jazzklarinettist Benny Goodman dieses Werk bei Copland in Auftrag. Außerdem sicherte sich Goodman für zwei Jahre das alleinige Aufführungsrecht. Und was Copland schließlich lieferte, hatte es ordentlich in sich! Nicht ohne Grund findet sich im Manuskript, genauer gesagt oberhalb des Schlussteils, folgende Notiz: „Zu schwierig für Benny Goodman“. Diese Bemerkung liest sich fast schon wie eine Auszeichnung. Immerhin schreckte kein anderer als Benny Goodman, der „King of Swing“, vor den Noten zurück. Auf Goodmans Wunsch vereinfachte Copland ein paar Passagen und in dieser redigierten Version wurde das Stück schließlich im November 1950 uraufgeführt.Abstecher in den Jazz
Das Klarinettenkonzert besteht aus zwei Sätzen. Das fällt beim Hören allerdings kaum auf, denn die beiden Teile werden durch eine Solo-Kadenz miteinander verbunden, in der das Rampenlicht ganz allein der Klarinette gehört. Passend zum Auftraggeber, spickt Copland sein Klarinettenkonzert mit Jazz-Elementen. Der Besetzung sieht man das aber nicht wirklich an. Mit dabei sind Klarinette, Streicher, Harfe und Klavier. Das ist alles andere als eine Big Band-Besetzung. Doch wenn Copland das fehlende Schlagzeug durch ‚slapping basses‘ ersetzt, bei denen die Kontrabass-Saiten auf dem Griffbrett aufschlagen, dann klingt das doch stark nach einem Abend im schummrigen Jazz-Keller.Dimitri Ashkenazy
1969 wurde Dimitri Ashkenazy in New York geboren. 1978 siedelte er mit seinen Eltern von seinem Heimatland Island in die Schweiz um, wo er seither lebt. Seine ersten musikalischen Gehversuche unternahm Ashkenazy noch am Klavier. Mit zehn Jahren zog es ihn dann aber zu seinem Instrument, der Klarinette. Seit 1991 ist er auf den großen internationalen Konzertbühnen zuhause, wie etwa der Hollywood Bowl von Los Angeles, im Sydney Opera House, in der Royal Festival Hall in London oder bei den Salzburger Festspielen.Staatsorchester Rheinische Philharmonie
Das Staatsorchester Rheinische Philharmonie mit Sitz in Koblenz ist eines der drei Sinfonieorchester des Landes Rheinland-Pfalz. Gegründet wurde es 1945, doch die Wurzeln lassen sich bis zur Koblenzer Hofkapelle und damit bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen.Sat, 17 Jun 2023 - 18min - 701 - István Várdai und Zoltán Fejévári spielen Mendelssohns Variations concertantes op. 17
Der eiserne Kaufmann
Das liegt nahe, denn Paul tritt das väterliche Erbe als Bankier an. Nach einer kaufmännischen Ausbildung in London und Paris arbeitet er im familieneigenen Bankhaus in Berlin, er ist fleißig und penibel. Felix spottet oft darüber: „Lieber Paul, Du musst nicht so viel arbeiten, sonst verachtest Du Deinen müßigen Bruder zu sehr.“ Sein Fleiß zeigt sich auch beim Musikmachen. Paul übt nach Geschäftsschluss eifrig Cello, er besitzt ein schönes Stradivari-Cello. Felix und Fanny versorgen ihn mit Kompositionen.Die Variationen und Johann Sebastian Bach
1829 komponiert Felix Mendelssohn Bartholdy für Paul die „Variations concertantes“, genau in dem Jahr, in dem er - zum ersten Mal nach 100 Jahren - Bachs Matthäuspassion in Berlin aufführt. Mendelssohn beherrscht „seinen“ Bach aus dem ff und baut in seine Variationen auch einige barockisierende Elemente ein. Darüber hinaus wählt er ein schlichtes, volksliedhaftes Thema, dessen Konturen sich aber schnell auflösen, das Werk nimmt Fahrt auf und entpuppt sich als ein Stück, das auch dem virtuosen Spiel Raum lässt.Zuhause auf dem Notenpult
Natürlich werden die Variationen sofort ausprobiert. Paul am Cello, Felix oder Fanny am Klavier. Die Geschwister sind sich nahe, beim Musizieren und auch persönlich. Als 1847 innerhalb kürzester Zeit Felix und Fanny sterben, notiert Paul: „Wahrlich in einer Schlacht können die Reihen nicht mit furchtbarerer Eile gelichtet werden. Der strenge Ernst hat sein Reich angetreten und wird uns mit eisernem Scepter regieren“. Die Geschwister fehlen ihm. Ihre Musik bleibt. Wie etwa Felix‘ Cello-Variationen. In ihnen klingt die geschwisterliche Nähe und Verbundenheit an.István Várdai und Zoltán Fejérváry
Beide stammen aus Ungarn. Der Cellist István Várdai hat in Budapest und Wien studiert und 2014 den 1. Preis beim ARD Musikwettbewerb gewonnen. Er spielt auf dem legendären „Ex Du Pré-Harrell“ Stradivarius von 1673, das vor ihm die beiden Ausnahme-Cellistinnen Jacqueline Du Pré und Lynn Harrell gespielt haben. Der Pianist Zoltán Fejérváry hat in seiner Heimatstadt Budapest und in Madrid studiert. Auch er hat international wichtige Preise gewonnen. Er ist ein großer Kammermusikfan und Lehrer. Seit letztem Herbst hat er eine Professur an der Hochschule für Musik FHNW in Basel.Sat, 23 Apr 2022 - 10min - 700 - Anastasia Kobekina und Jodyline Gallavardin spielen Debussys Cellosonate d-Moll
„Über das häufige Unverständnis meiner Musik gegenüber wundere ich mich nicht mehr“, schreibt Claude Debussy in einem Brief an Jacques Durand vom 16. Oktober 1916. Und des Weiteren gibt er seiner Verärgerung Ausdruck gegenüber solchen Virtuosen, „die Irrtum und Trostlosigkeit in sogenannten Konzertsälen verbreiten“. Diese Bemerkungen beziehen sich auf den Cellisten Louis Rossor, einen eigentlich mit Debussy befreundeten Musiker und Interpreten seiner Cellosonate. Doch dieser hatte behauptet, Debussy habe ihm das „Programm“ anvertraut, das diesem Werk zugrunde liegt: eine sehr banale Geschichte über die Figur des Pierrot, die Debussy empört zurückwies. Denn die Sonate war von Debussy — vor dem ernsten Hintergrund des Ersten Weltkriegs — als Verherrlichung der Musique française in bewusster Abgrenzung von der Musik der deutschen Spätromantik gedacht.
Anlehnung an die französische Sonatenkunst des Barock
Debussy plante 1915, nachdem er eine schwere Schaffenskrise überwunden hatte, einen Zyklus von sechs Sonaten für verschiedene Instrumente, von denen er nur drei vollenden konnte: die Cellosonate, eine zweite für Flöte, Viola und Harfe und als letzte die Violinsonate (1917). Keine von ihnen weist die traditionelle Viersätzigkeit und die akademischen Sonatenformen der deutschen Kammermusik auf, poetische Titel verweisen auf Außermusikalisches: auf Lyrik und Drama, Antike und Natur. Gemessen an den Werken von Jean-Philippe Rameau und François Couperin entwickelte er die Maximen seines französischen Stils: „Nichts kann entschuldigen, dass wir die Tradition der Werke eines Rameau vergessen haben, die in der Fülle ihrer genialen Einfälle fast einzigartig ist“. Die Gültigkeit und Perfektion seiner Kammermusik in dieser letzten Phase seines Komponierens haben Methode: Debussy konzipiert sie als Kristallisationspunkte seines Spätstils mit bewussten Querverbindungen zu eigenen und Werken des 17. und 18. Jahrhunderts.Ironie, Persiflage und spanisches Kolorit
Die Cellosonate beginnt mit einem Prolog, einer „französischen Ouvertüre“ in punktierten Rhythmen. Flirrende Bewegungen in gebrochenen Dreiklängen treten an die Stelle des fugierten Mittelteils der Barock-Ouvertüre. Der zweite Satz hat beißend-parodieartige Elemente, „ironique“ heißt u. a. eine der vielen Spielanweisungen. Mittels „Sempre Pizzicato“, gezupften Noten, ahmt das Cello eine scheinbar immer wieder unterbrochene Ständchen-Szene nach. Der Satz mündet unmittelbar in das wieder barock anmutende Finale, mit einer Mischung aus Passacaglia-Charakter und „Con-fuoco“- und „Appassionato“-Anweisungen. Aber auch spanisches Kolorit mit Anklängen an Debussys „Iberia“, aus seinem berühmt gewordenen „Images“-Klavierzyklus, prägen den Finalsatz.Sat, 19 Mar 2022 - 12min - 699 - Mario Venzago dirigiert Robert Schumanns Ouvertüre, Scherzo und Finale
Innerhalb von zwei Monaten, im Frühjahr 1841 unmittelbar im Anschluss an seine erste Sinfonie, entstand Robert Schumanns „Ouvertüre, Scherzo und Finale“ op. 52. Der Komponist suchte in diesen Umbruchsjahren ein neues Konzept für seine Orchestermusik und experimentierte mit ungewöhnlichen formalen und inhaltlichen Konzepten. So wie er sein ganzes Leben lang nach neuen und die Tradition weiterentwickelnden Modellen suchte, die er als Kompromiss zwischen Gegenwart und Zukunft verstanden wissen wollte. Er bezeichnete sein Opus 52 auch als Symphonette, als Suite, als Novelle für Orchester oder als Sinfonie gespielt in kleinerem Kreis und machte damit deutlich, dass sich die „Zwischenform“ eindeutig von seinen großen Sinfonieprojekten unterschied.
Auf der Höhe der Gegenwart
„Wer nicht auf der Höhe der Gegenwart steht, wird sich meistens über die Wirkung seiner Leistung [...] im Irrtum befinden“, schreibt Schumann in der Neuen Zeitschrift für Musik schon 1836. In diesen Jahren fällte der Komponist ein solches Urteil, das ihn in den folgenden Jahren maßgeblich zur Neuorientierung seines eigenen kompositorischen Weges führen sollte. Die Hinwendung zur Sinfonik im Jahr 1841 erlebte Schumann auch als Erreichen seiner eigentlichen kompositorischen Bestimmung. So urteilte Clara Schumann in einem Brief, dass ihr Mann sich damit „auf das Feld begebe, wo er mit seiner großen Fantasie hingehört“. Mit seiner „Symphonette“ setzte Schumann ein Zeichen für einen „nicht verflachten“ Ouvertürenstil, der zwischen den Gattungen steht.Verkappte Sinfonie oder orchestrales Charakterstück?
Als verkappte Sinfonie, der nur der langsame Satz fehlt, wurde das Werk oft bezeichnet, doch spielen hier zyklische Zusammenhänge wie z. B. bereits in der ersten Sinfonie Schumanns eine eher untergeordnete Rolle. Schumann verstand die drei Sätze als orchestrale Charakterstücke, die auch getrennt voneinander aufgeführt werden konnten. Den Eindruck von Zusammengehörigkeit fördert immerhin die Tonartenfolge: eine e-Moll-Introduktion, ein E-Dur-Hauptteil, das cis-Moll im Scherzo und das wiederkehrende E-Dur im Finale. Schumann selbst bescheinigt dem „Ganzen einen leichten, freundlichen Charakter, ich schrieb es in recht fröhlicher Stimmung“. So kann die Ouvertüre mit derjenigen aus Felix Mendelssohn Bartholdys „Sommernachtstraum“ verglichen werden, und das Scherzo wird beherrscht von einer einzigen rhythmischen Figur, einem galoppierenden Motiv im 6/8-Takt. Das Finale revidierte Schumann 1845 gründlich, so verarbeitete er nach den militärischen Signalen des Beginns ein markant rhythmisiertes Hauptthema fugenartig.Sat, 5 Feb 2022 - 19min - 698 - Tomáš Brauner dirigiert Dvořáks Dramatische Ouvertüre „Hussitenlied“
Dvořák zählt unzweifelhaft zu den Zentralgestalten der tschechischen nationalen Musikgeschichte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dabei komponierte er anfangs nach der deutschen Tradition. Erst in seinen Auftragswerken, der 7. Sinfonie d-Moll und vor allem der Ouvertüre „Husitská“ von 1883, nahm er nicht nur folkloristisches Kolorit auf, sondern verfeinert dieses auch, indem er dramatisch-emotionale Kategorien in sein Schaffen integrierte.
Ich wollte Ihnen nur sagen, dass ein Künstler auch ein Vaterland hat, für welches er auch festen Glauben und ein warmes Herz haben muß ...
Quelle: Brief von Antonín Dvořák an seinen Verleger Fritz Simrock
Klingendes Nationaldenkmal
Den Weg zur Sinfonischen Dichtung, der prägenden Gattung im Bereich Programmmusik im 19. Jahrhundert, ebnete sich Dvořák nicht zuletzt durch die Form der Ouvertüre – ursprünglich Musik für das Theater. Nach Art der Beethoven‘schen Leonoren-Ouvertüren, werden in der Ouvertüre die wesentlichen Gestalten und Geschehnisse eines Dramas in einem rein instrumentalen Vorspiel vorgestellt. Die Dramatische Ouvertüre „Husitská“ war für eine nie zustande gekommene Schauspieltrilogie über die Hussitenzeit geplant. Das Werk löst sich aber aus dem Bannkreis des Theaters und verarbeitet die Themen in Form eines Sonatensatzes, der sowohl aus dem Hussitenchoral „Die ihr Gottes Kämpfer seid“ („Ktož jsú boží bojovníci“) als auch aus dem St.-Wenzels-Choral zitiert. Damit verarbeitete Dvořák sozusagen die „katholische“ und die „protestantische“ Seite Böhmens und erhöhte das Werk durch diese Themensubstanzen zu einem klingenden Nationaldenkmal.„Die ihr Gottes Kämpfer seid“
Der Choral „Die ihr Gottes Kämpfer seid“ von 1420 war das bedeutendste Kampflied der Hussiten und von großer Vorbildwirkung. In Form eines Rüstliedes verbindet der Choral das frühe reformatorische Kirchenlied mit Elementen von Volkslied und Feldpredigt und weist auf spätere säkulare Revolutionslieder und Nationalhymnen voraus. Wie viele durch die Hussitenkämpfe im Spätmittelalter in Böhmen inspirierte Werke verbindet Dvořáks „Hussitenlied“ heftige Erregung mit großem Edelmut. Es wahrt dem Äußeren nach die Form der sonatensatzgeprägten Konzertouvertüre: Die langsame Einleitung schildert die vorhussitische Situation, die Allegro-Exposition den Konflikt, die Durchführung den Konflikt und die nach Dur gewandte Reprise den wiedergewonnenen Frieden. Mit diesem dramatisch geprägten Werk zeigt Dvořák erste Ansätze zur Programmkomposition und reiht sich damit in einen Trend innerhalb der europäischen Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts ein.Sat, 27 Nov 2021 - 16min - 697 - Das Bartholdy Quintett spielt Mozarts Streichquintett c-Moll KV 406
Mäßiges Interesse an einem genialen Werk
Mozart hatte mit KV 406 seine große, geheimnisvolle c-Moll-Serenade für acht Bläser, KV 388, für Streichquintett umgeschrieben. Diese „Nachtmusique“, komponiert 1782, ist ein wundervolles, hochanspruchsvolles Werk, das er gerne auf dem Notenmarkt noch weiter auswerten wollte, indem er es für Streicher umkomponierte. Im April 1788 bot Mozart das Werk den geneigten Kammermusikliebhabern mehrfach zusammen mit den großen Streichquintetten in C-Dur und g-Moll, KV 515 und 516, in der Wiener Zeitung an: „drei neue Quintetten à 2 Violini, 2 Viola und Violoncello, schön und korrekt geschrieben“. Von ungewöhnlich großem Umfang, mit technischen Schwierigkeiten und eindrucksvollen Melodien in allen fünf Stimmen versehen, schien doch das Interesse des Publikums an den neuen Werken bescheiden gewesen zu sein. So verlängerte Mozart am 25. Juni die Bezugsfrist noch einmal: „Da die Anzahl der Herren Subscribenten noch sehr geringe ist, so sehe ich mich gezwungen, die Herausgabe meiner 3 Quintetten bis auf den 1. Jäner 1789 zu verschieben". Erst nach und nach avancierten die drei Werke zu Lieblingsstücken der Wiener Kammermusikzirkel.Ungewöhnlich und provokant
Das c-Moll-Quintett bezeugt in besonderer Weise Mozarts Hang zum fünfstimmigen Streichersatz. Durch die größere Betonung der Mittelstimmen, insbesondere der Bratschen, wird eine große Dichte erreicht, die einen stärkeren Kontrast zwischen orchestralem Tutti und kammermusikalischer Transparenz zeigt. Farbkontraste werden zu einem zentralen Element der Komposition: So beginnt der Kopfsatz im düsteren Moll, zu dem das träumerische Andante im Siciliano-Rhythmus einen reizvollen Kontrast bildet und am ehesten die Serenaden-Charakteristik zum Ausdruck bringt. Das Menuett ist als strenger Kanon entworfen („Menuetto in canone“), das Trio ein noch strengerer Kanon in der Umkehrung („al rovescio“): fast eine Provokation in einem serenadenhaften Streichquintett, das eine eher heitere und lockere Atmosphäre erwarten lässt. Das Finale hat einen Contretanz zum Thema und bietet komplizierte und ausgeklügelte Variationen. Erst kurz vor Schluss endet dieses ungewöhnliche Meisterwerk in versöhnlichem Dur.Sat, 26 Jun 2021 - 23min - 696 - Ludwig van Beethoven: Klaviertrio D-Dur op. 70 Nr. 1 "Geistertrio"
„… in rastlosem Fluge die wunderbarsten Bilder…“
„So wie der Principalist seiner Sache ganz gewachsen seyn muß, verlangen die beyden Adjutanten gleichfalls ihren Mann; wenn hingegen jeder Alles, was ihm der Genius des unerschöpflichen Tonsetzers, der stets den eigenen Pfad einschlägt, und nie altert, nie sich selbst abconterfeyt, zumuthet, vollkommen gut herausbringt und bezwingt, dann mögen die Tripel-Alliirten sich gegenseitig Glück wünschen…“, schreibt der Allgemeine Musikalische Anzeiger zu Beethovens Variationen für Klaviertrio op. 121a, im Jahre 1830 in Wien. Und „seiner Sache ganz gewachsen“ muss auch sein, wer sich als Komponist*in der ebenso kompakten wie klanglich hochempfindlichen Gattung des Klaviertrios widmet. Das wusste auch Ludwig van Beethoven. Der traute sich erst nach zahlreichen unveröffentlicht gebliebenen Versuchen als Komponist an die Öffentlichkeit – dann aber, seiner Sache gewiss, gleich mit drei Klaviertrios, dem op. 1.Neuland für den Komponisten
Und wie schon Joseph Haydn mit seinem op. 1 – Streichquartetten – sofort Neuland betrat, so auch jetzt sein 25-jähriger Schüler: Klaviertrios sollten nicht länger mehr verkappte Sonaten für Violine und Klavier sein, wo das Violoncello zumeist an den Bass des Klaviers gekoppelt war. Nein, was Beethoven zum neuen Klaviertrio-Gesetz ausrief, war die Selbstständigkeit des Cellos und damit die Gleichrangigkeit aller drei Stimmen!Mehr zu Beethovens "Geistertrio"
Ihn, den Bratscher und brillanten Pianisten, sollte die Gattung nicht mehr loslassen. Schon drei Jahre nach op. 1 erscheint das Klaviertrio op. 11 (1798), dann – im direkten Umfeld der Pastoralsinfonie – die beiden Klaviertrios op. 70 (1808). Das Trio op. 70 Nr. 1 trägt den Beinamen „Geistertrio“.Schaurig und geheimnisvoll
Doch ist es überraschenderweise gar nicht einmal das dem 2. Satz so gern zugeschriebene „Geisterhafte“, für das einer der ersten Bewunderer dieses Werks geschwärmt hat: der Dichter E. T. A. Hoffmann. Seine enthusiastischen Worte in der Allgemeinen musikalischen Zeitungvon 1813 galten vielmehr dem Romantischen an sich, das sich in diesem Werk aufs Schönste offenbare: „Ein einfaches, aber fruchtbares, zu den verschiedensten contrapunktischen Wendungen, Abkürzungen etc. taugliches Thema liegt jedem Satze zum Grunde, alle übrigen Nebenthemen und Figuren sind dem Hauptgedanken innig verwandt, so dass sich alles zur höchsten Einheit durch alle Instrumente verschlingt und ordnet. So ist die Structur des Ganzen; aber in diesem künstlichen Bau wechseln in rastlosem Fluge die wunderbarsten Bilder, in denen Freude und Schmerz, Wehmuth und Wonne neben- und ineinander hervortreten.“ Dennoch: Der 2. Satz mit seinen d-Moll-Abgründen und seiner unendlichen Dehnung der Zeit zählt – zumal nach dem strahlenden, mitreißenden D-Dur-Überschwang des 1. Satzes – zu den wenn nicht schaurigsten, so doch geheimnisvollsten Sätzen in Beethovens Œuvre. Das dürfte gewiss auch an dem leise deklamierenden, doch von Unnennbarem kündendem Hauptmotiv des Satzes liegen, noch mehr aber an den ausgefeilten Klangfarben, die Beethoven den Instrumenten entlockt: Fahle Streicherklänge korrespondieren hier mit sinistren Tremolo- und Triller-Effekten im Klavier. Acht Jahre später wird es in Franz Schuberts Lied „Der Wanderer“heißen: „Und immer fragt der Seufzer, wo? Im Geisterhauch tönt's mir zurück: ‚Dort, wo du nicht bist, dort ist das Glück…‘“Sat, 4 Jul 2020 - 22min - 695 - François-Xavier Roth dirigiert Beethoven: Sinfonie Nr. 6 F-Dur op. 68 "Pastorale"
"Mehr Ausdruck der Empfindung als Malerey"
"Hier“ – am Schreiberbach, der zwischen zwei Wiener Vororten fließt, „habe ich die Szene am Bach geschrieben,“ schreibt Beethoven im Sommer 1807. „Und die Goldammern da oben, die Wachteln, Nachtigallen und Kuckucke ringsum haben mitkomponiert." Selbst wenn an dieser Geschichte nur die Hälfte stimmt, glaubt man sie beim Hören von Beethovens sechster Sinfonie aufs Wort. Denn was hier an Atmosphäre hochsteigt, übersteigt das Terrain einer klassischen Sinfonie. Und doch war es auch Beethoven selbst, der solche träumerischen Bilder einer Sommerlandschaft relativierte. Denn seine Sinfonie sei "mehr Ausdruck der Empfindung als Malerey", erklärte er. Diese Empfindung speist sich aus Beethovens großer Naturliebe und all den Inspirationen, die er aus der Natur ziehen konnte. "Ist es doch als ob jeder Baum zu mir spräche auf dem Lande: heilig, heilig! Im Walde Entzücken! Wer kann alles ausdrücken?", schwärmte Beethoven und unternahm in seiner Musik den Versuch, genau den naturpassenden Ausdruck zu finden.Zu lang? Oder einfach fantastisch?
Die Pastorale ist eine Musik, die berührt. Hector Berlioz nannte sie gar die "schönste der Beethovenschen Kompositionen" und knüpfte nicht ohne Grund mit seiner "Symphonie phantastique" an das bildhafte Genre der Pastorale an. Doch der Erfolg dieser 1808 vollendeten Sinfonie stand nicht von vornherein fest. Als sie im Dezember 1808 in einem vier Stunden dauernden Konzert in Wien bei bitterster Kälte gemeinsam mit der fünften Sinfonie uraufgeführt wurde, befand Johann Gottfried Reichardt, "daß man auch des Guten - und mehr noch des Starken - leicht zuviel haben kann". Für ihn war die Pastorale in erster Linie zu lang. Erst mit Berlioz 'Entdeckung' der Pastorale trat diese Sinfonie Beethovens aus dem Schatten der im 19. Jahrhundert so geliebten 'heroischen' Sinfonien heraus.Sat, 29 Feb 2020 - 42min - 694 - Wolfgang Amadeus Mozart: Oboenquartett F-Dur KV 370
Albrecht Mayer (Oboe). Tianwa Yang (Violine). Liisa Randalu (Viola). Gabriel Schwabe (Violoncello). Konzert vom 2.4. 2017 beim Heidelberger Frühling. SWR2 Musikstück der Woche vom 29.6.2019.
Fri, 26 Apr 2019 - 15min - 693 - Abschied vom „Musikstück der Woche“-Podcast
Liebe Hörerinnen und Hörer, wir stellen unser Podcast-Angebot „Das SWR2 Musikstück der Woche“ ein. Sie finden die Musikstücke der vergangenen Jahre in der App von SWR Kultur, außerdem auf der Website SWRKultur.de.
Sat, 13 Apr 2024 - 00min - 692 - Lionel Martin und Demian Martin spielen Prokofjews Cellosonate C-Dur op. 119
Konfliktfreie Zone
Stalins Kultursprecher Andrei Zhdanov leitet auch die letzte dieser Maßnahmen im Jahr 1948. Die sogenannte Zhdanov-Doktrin besagt in Kürze, dass der einzig denkbar darzustellende Konflikt in sowjetischer Kunst jener sei zwischen „dem Guten und dem Besten“. Theoretisch bedeutet das, dass man sich in allen kreativen Fragen eng an die Parteilinie zu halten habe. Praktisch bedeutet es, dass zwei Denunziationen ausreichen, um kreativ kaltgestellt zu werden. Der Vorwurf des „Formalismus“ kann Aufführungsverbote und willkürliche Repressionen gegen ganze Familien auslösen.Acht Jahre Arbeitslager für Prokofjews Frau
Während einer der endlosen Konferenzen, bei denen Komponisten gezwungen werden, sich offiziell für ihre Produktionen zu entschuldigen, erfährt der angststarre Prokofjew, dass seine erste Frau Lina wegen des Verdachts der Spionage verhaftet worden ist. Die erfundenen Anschuldigungen bringen sie für acht Jahre ins Arbeitslager. Prokofjew wird ihre Entlassung nicht mehr erleben. Er stirbt 1953 am selben Tag wie Stalin.Die Cellosonate: überdrehtes Zugeständnis
Persönlich befindet sich Prokofjew 1949 also in einer tiefen Krise. Äußerlich allerdings kaschiert er seine Ängste in der Cellosonate op. 119 wirkungsvoll und doppelbödig. Manche Passage wirkt im Mittelsatz fast übertrieben heiter und volkstümlich, ein überdrehtes Zugeständnis an die kommunistischen Sittenwächter. Den letzten virtuosen Schliff erhält die Sonate auch durch den jungen Widmungsträger Mstislaw Rostropowitsch, der Prokofjew als 20-Jähriger, 1947, bei einem Moskauer Konzert extrem beeindruckt hatte. Im Juni 1949 ist das Werk fertig, es bleibt nicht viel Zeit zum Proben, denn es wird noch im selben Monat vor dem Staatlichen Komitee für Kunstangelegenheiten aufgeführt.Der lange Marsch durch die Institutionen
Sviatoslav Richter, Pianist der etwas absurd anmutenden Premiere, erinnerte sich später:Bevor wir sie im Konzert spielen konnten, mussten wir sie im Komponistenverband aufführen, wo diese Herren über das Schicksal aller neuen Werke entschieden. In dieser Zeit mussten sie vor allem herausfinden, ob Prokofjew ein neues Meisterwerk oder ein „volksfeindliches“ Werk geschaffen hatte. Drei Monate später mussten wir es auf einer Plenarsitzung aller Komponisten, die im Rundfunkkomitee saßen, erneut spielen, und erst im folgenden Jahr konnten wir es öffentlich aufführen. Am 1. März 1950 im Kleinen Saal des Moskauer Konservatoriums.
Ob nun von der damaligen sowjetischen Staatspolitik diktiert oder nicht, die Einfachheit der Sonate ist von größter Bedeutung. Die schroffen dissonanten Techniken, die in seinen Werken oft so aufregend hervorstechen, sind verschwunden, Harmonie, Rhythmus und die Satzangaben sind durchsichtig und direkt in der Aussage.Quelle: Sviatoslav Richter
Sat, 13 Apr 2024 - 24min - 691 - Das Adelphi Quartett spielt Mendelssohns Streichquartett Nr. 2
Fixpunkt Beethoven
Der achtzehnjährige Felix Mendelssohn Bartholdy kennt die Kammermusik von Ludwig van Beethoven bestens. Vor allem die späten Streichquartette haben es ihm angetan. Während diese Werke von einigen Zeitgenossen als verschroben und unverständlich verspottet werden, ist der junge Mendelssohn begeistert von den Kompositionen, so begeistert, dass er sie – im besten und schönsten Sinne – kopiert. 1827 stirbt Ludwig van Beethoven. Im selben Jahr erscheint auch sein Streichquartett op. 132 im Druck und Mendelssohn sagt sich: So etwas will ich auch machen! Entstanden ist das Streichquartett Nr. 2 in a-Moll op. 13.Sauersüße Verwechslungsgefahr
Dass sich Mendelssohn in diesem Werk an Beethoven orientiert, fällt auch den Zeitgenossen auf. Das berichtet Mendelssohn selbst in einem Brief an seine Familie. Darin erzählt er von einem Konzert in Paris. Auf dem Programm stand unter anderem sein a-Moll-Streichquartett. Mendelssohn schreibt nicht ohne Stolz:Im letzten Stück zupfte mich mein Nachbar, der Abbé Bardin, und sagte: „Er hat das in einer seiner Symphonien.“ – „Wer?“, sagte ich etwas ängstlich. – „Beethoven, der Komponist dieses Quartetts“, sagte er mir wichtig. Es war sauersüß.
Quelle: Mendelssohn in einem Brief vom 21. Januar 1832 an die Familie
„Pfui über alle!“
Doch auch wenn Beethovens Kompositionen hier Pate standen, steckt ordentlich Mendelssohn im a-Moll-Streichquartett – so zum Beispiel direkt zu Beginn im ersten Satz. Hier zitiert sich Mendelssohn selbst. Genauer gesagt: Er zitiert ein Motiv aus seinem Lied „Frage“, das er kurz zuvor komponiert hat.Das Lied, was ich dem Quartette beifüge ist das Thema desselben. Du wirst es im ersten und letzten Stücke mit seinen Noten, in allen vier Stücken mit seiner Empfindung sprechen hören. […] Sieh meinen Jammer! Viele Leute haben es schon gehört; aber ist es schon einem einzigen (meine Schwestern nehme ich aus, und Ritz und Marx auch), aber einem einzigen sonst eingefallen, ein Ganzes darin zu sehen? Der eine lobt das Intermezzo, der andre das, der dritte jenes. Pfui über alle!
Was wie beim Vorbild Beethoven beginnt, endet nach einigen dramatischen Wendungen leise und lyrisch – ein Schluss, wie eben nur bei Mendelssohn.Quelle: Mendelssohn in einem Brief vom 19. Februar 1828 an Adolf Fredrik Lindblad
Sat, 6 Apr 2024 - 30min - 690 - SWR Symphonieorchester unter Yi-Chen Lin spielt Prokofjews Ballett „Romeo und Julia“
Paris oder Moskau – Hauptsache Europa
In den folgenden Jahren lebt er vor allem in Paris. Seine vielfältigen Konzertreisen führen ihn 1927 erstmals wieder in die Sowjetunion. Noch im Zug, an der lettischen Grenze, überfallen ihn Zweifel, schlimmste Vorhersagen scheinen sich in der Folge zu bewahrheiten: das Moskauer Hotel ist verwahrlost, der herbeigeschaffte Flügel marode, man erzählt ihm von Abhörvorrichtungen unter dem Bett. Aber gibt es die wirklich? Weder Prokofjew noch seine junge spanische Frau mögen daran glauben.Heimweh und Moosbeerensaft
Stattdessen beschäftigen den heimwehkranken Komponisten spätestens nach Gesprächen mit alten Freunden, nach „grandioser Schlagsahne, Moosbeerensaft, und überhaupt einer Menge vorzüglicher und halbvergessener Sachen“ immer stärker Gedanken an eine endgültige Rückkehr in die vermisste Heimat. Nach einigen Jahren des Pendelns zwischen Moskau und Paris lassen sich Sergej und Lina 1936 schließlich in Moskau nieder. Zwei Jahre später unternimmt er seine letzte Reise ins westliche Ausland. Ist die Rückkehr eine fatale Entscheidung? Für die später vom Komponisten verlassene Lina ganz sicher. Sie wird 1948 unter dem falschen Vorwurf der Spionage zu zwanzig Jahren Arbeitslager in Sibirien verurteilt. Aber noch scheint vieles gut.Große Pläne
Das Ballett „Romeo und Julia“ ist eins der ambitionierten Projekte der Jahre der Rückkehr. Schon im Dezember 1934 verhandelt Prokofjew in Leningrad mit dem Kirow-Theater. Vorgeschlagene Libretti: „Pelléas et Mélisande“, „Tristan und Isolde“ und schließlich „Romeo und Julia“.Ich verbiss mich direkt in den letzten Vorschlag. Eine bessere Handlung wäre wohl kaum zu finden gewesen!... Das Theater gab mir damals die Möglichkeit, das Erholungsheim des Bolschoi-Theaters „Polenowo“ zu nutzen, um am Ballett zu arbeiten. Hier habe ich das Ballett so gut wie abgeschlossen, wobei ich zum Teil die bereits im Frühling komponierten Motive nutzte. Im Herbst fand im Theater eine Probeaufführung des Balletts statt. Es wurde kein Erfolg. Damals wurde das Ballett nicht auf die Bühne gebracht.
Quelle: Sergei Prokofjew
Uraufführung im Ausland
Uraufgeführt wurde „Romeo und Julia“ schließlich am 30. Dezember 1938 in Brünn in der damaligen Tschechoslowakei. Bis 1946 fertigt Prokofjew insgesamt drei Suiten für Orchester sowie Klavierbearbeitungen vieler Stücke an.Sat, 30 Mar 2024 - 24min - 689 - Dmitry Ablogin und das Freiburger Barockorchester: Johann Nepomuk Hummels Klavierkonzert a-Moll op. 85
Ein Wunderkind asu Bratislava
Johann Nepomuk Hummel dürfte vor allem Trompeterinnen und Trompetern ein Begriff sein, denn sein Trompetenkonzertgehört zu den Standardwerken bei Hochschulprüfungen. Doch sonst findet man den Namen Johann Nepomuk Hummel eher selten auf den Konzertprogrammen. Dabei war er zu Lebzeiten ein gefeierter Klaviervirtuose. Geboren wird Johann Nepomuk Hummel 1778 in Preßburg, dem heutigen Bratislava. Sein Vater ist selbst Musiker und erkennt schnell das Talent, das in seinem Sohn schlummert. Also geht Familie Hummel dorthin, wo man Ende des 18. Jahrhunderts hingeht, wenn man im Musikgeschäft etwas werden möchte: nach Wien. Dort erhält Hummel Klavierunterricht bei keinem Geringeren als Wolfgang Amadeus Mozart. Und dann – mit gerade einmal zehn Jahren – geht es auf Tournee. Fünf Jahre lang reist das Wunderkind Hummel mit seinem Vater durch Europa und lässt die Finger über die Klaviaturen fliegen.Missklang im Schloss Esterházy
Zurück in Wien nimmt Hummel Unterricht bei Johann Georg Albrechtsberger, Antonio Salieri und Joseph Haydn – bei denselben Lehrern studierte auch Beethoven. Als er den Wunderkind-Schuhen entwachsen ist, wird Hummel eine feste Größe im Musikleben seiner Zeit. Für viele ist er der bedeutendste Pianist der Epoche. Haydn vermittelt Hummel schließlich an den Fürsten Nikolaus II. Esterházy in Eisenstadt. Dort wird er 1804 Konzertmeister. Die Zeit in Eisenstadt verläuft allerdings nicht vollends harmonisch: Hummel fordert mehr künstlerische Freiheiten ein. Das hört der Dienstherr nicht gerne und Hummel wird wieder entlassen. Macht nichts, es gibt ja schließlich noch andere Fürsten, Herzöge und Könige.Alles andere als ein „Alltagsmensch“!
Ein paar Jahre später zieht es Hummel nach Stuttgart, wo er zum Königlich Württembergischen Hofkapellmeister ernannt wird. Aber auch auf dieser Position wird Hummel nicht glücklich. Wieder kommt es zu Spannungen mit dem Dienstherrn. Hummel hat einiges zu beklagen: Zu wenig Zeit zum Komponieren, das mittelmäßige Niveau der Hofkapelle und dann auch noch der konservative Geschmack des Publikums. 1818 schreibt er an seinen Verleger Carl Friedrich Peters:Hier ist kein Platz für einen Künstler, der die Welt mit seinen Arbeiten bereichern soll; sondern nur für einen Alltagsmenschen, der mit Essen und Trinken vorliebnimmt, und sich überhaupt alles gefallen lassen will.
Quelle: Johann Nepomuk Hummel
Ein Werk zwischen den Zeiten
Hummel lässt sich beileibe nicht alles gefallen: Nach kurzer Zeit kündigt er seine Position in Stuttgart und wechselt als Großherzoglicher Kapellmeister nach Weimar. Hier lässt er sich die künstlerischen Freiheiten, die er bislang vermisst hat, auch gleich vertraglich zusichern: Jährlich werden ihm drei Monate Urlaub zugesprochen. Und diese Zeit nutzte Hummel für Konzertreisen, schließlich war er ein gefeierter Klaviervirtuose. Das hört man auch seinem Klavierkonzert in a-Moll op. 85 an. Auf den ersten Blick sieht es durch und durch nach Wiener Klassik aus: Typische Besetzung, typische Struktur und die typische dreiteilige Satzfolge (schnell – langsam – schnell). Alles altbekannte Merkmale – fast. Denn den obligatorischen langsamen Mittelsatz schmückt Hummel reichlich aus und die Arpeggien perlen nur so über die Tasten. Das erinnert dann schon ein wenig an Chopin oder Schumann.Sat, 23 Mar 2024 - 34min - 686 - Lionel Martin und Demian Martin spielen Beethovens Cellosonate op. 5 Nr. 2
„Gatekeeper“ zum Herzen des Monarchen
Jean-Pierre Duport, geboren in Paris, gilt als Begründer der deutschen Celloschule. Er war Cellolehrer am Potsdamer Hof und in der Hofmusik eine einflussreiche Figur, nicht zuletzt, weil der König selbst sein Schüler war. Als Wolfgang Amadeus Mozart beispielsweise 1789 eine Audienz haben mochte bei Friedrich Wilhelm II., da ging das nur über den Schreibtisch und die Erlaubnis von Duport, der sich um solche Angelegenheiten zu kümmern hatte. Und was tat Mozart, um sich den Herrn Duport gewogen zu machen? Genau: Er komponierte ihm ein Stück, die sogenannten „Duport-Variationen“.Was einmal geht, geht auch zweimal
Ähnlich versuchte es auch der junge Ludwig van Beethoven einige Jahre später, als Mittzwanziger. Beethoven reiste eigentlich nicht viel in seinem Leben, aber 1796 unternahm Beethoven seine einzige echte Konzerttournee über Prag, Dresden, Leipzig und Berlin. In Potsdam wollte er eben auch den König Friedrich Wilhelm II. von Preußen beeindrucken, den begeisterten Cellisten und Vorzeigeschüler Duports. Also schrieb Beethoven die beiden Sonaten für Violoncello und Klavier op. 5, die er gemeinsam mit Duport dem kunstsinnigen Monarchen vorspielte.Der Widmungsträger bedankt sich mit Edelmetall
Die Sonaten wurden selbstverständlich Friedrich Wilhelm II. gewidmet. Beim Abschied erhielt Beethoven vom König dafür ein kostbares Geschenk: eine edle Dose voller Goldmünzen.Sat, 2 Mar 2024 - 24min - 685 - Kilian Herold und das Armida Quartett spielen Mozarts Klarinettenquintett A-Dur KV 581
Ein klingendes Zeichen der Verbundenheit
1789 entstand Mozarts Klarinettenquintett in A-Dur – das erste Werk, das Klarinette und Streichquartett miteinander verband. Komponiert hat er es für den Wiener Klarinettisten Anton Stadler, dem er auch das „Kegelstatt-Trio“ und das berühmte Klarinettenkonzert auf den Leib schrieb. Anton Stadler gehörte im Hause Mozart gewissermaßen zum Inventar. Mozart bezeichnete seinen Freund und Freimaurer-Bruder auch gerne als „Ribiselgesicht“, also als „Johannisbeergesicht“ – vermutlich, weil Stadler seinen hochgelobten Klarinettenklang nicht ohne Anstrengung hervorbrachte und sein Gesicht die Farbe der Johannisbeere annahm. Doch bei Mozart gehörten handfeste Ausdrücke zum guten Ton – sozusagen eine weitere Art der Freundschaftsbekundung.„Sollst meinen Dank haben, braver Virtuos!“
Mozart war vollkommen hingerissen von Stadlers Klarinettenklang. Dieser muss erstklassig gewesen sein, wie ein Konzertbericht aus der damaligen Zeit zeigt:Sollst meinen Dank haben, braver Virtuos! was du mit deinem Instrument beginnst, das hört’ ich noch nie. Hätt’s nicht gedacht, daß ein Klarinet menschliche Stimme so täuschend nachahmen könnte, als du sie nachahmst. Hat doch dein Instrument einen Ton so weich, so lieblich, daß ihm niemand widerstehn kann, der ein Herz hat.
Für Anton Stadler, dem Mann mit dem zartschmelzenden Klarinettenklang, schrieb Mozart sein Klarinettenquintett – fünf Stimmen, die ineinander verwoben sind, die aufeinander reagieren und sich ergänzen.Quelle: Wolfgang Amadeus Mozart
Im Wechselbad der Gefühle
Das Klarinettenquintett durchläuft alle möglichen Stimmungen, oder um es mit den Worten von Richard Strauss zu sagen: „Seine nicht-dramatischen Schöpfungen durchlaufen die ganze Skala des Ausdrucks menschlichen Empfindens.“ Das lässt sich hervorragend am Finalsatz zeigen: Es ist ein Variationssatz, in dem die Stimmungsumschwünge auf engstem Raum stattfinden – wie unter einem Brennglas. Es steckt alles drin: Grazie, Melancholie, Lebensfreude und Dramatik. Die vierte Variation ist beispielsweise ein äußerst heiterer Abschnitt. Die Passage endet aber auf einem Dominantseptakkord – musikalisch gesehen befindet man sich also in einer Hab-Acht-Stellung und man fragt sich: Wie wird es wohl weitergehen? Schließlich folgt ein anrührendes Adagio. Doch allzu lange hält auch dieser Gemütszustand nicht an. Nach einigen Takten zuckt Mozart kurz mit den Achseln und es geht munter weiter.Sat, 24 Feb 2024 - 31min - 684 - Robert Neumann spielt Ludwig van Beethovens 2. „Kurfürstensonate“
Der 13-Jährige Louis
Beethoven stand im Herbst 1783 kurz vor seinem 13. Geburtstag. Dass er von seinem Lehrer im Vorwort der Sonaten als 11-jähriger angekündigt wurde, ist wohl als PR-Gag zu werten, allerdings herrschte auch in Beethovens Bonner Musiker-Familie einige Unklarheit über das wirkliche Geburtsdatum des jungen Komponisten. Jedenfalls steht dort – sicher nicht von Beethoven selbst geschrieben – zu lesen: „Ich habe nun schon mein eilftes Jahr erreicht; und seitdem flüsterte mir oft meine Muse in den Stunden der Weihe zu: ,Versuch’s und schreib einmal deiner Seele Harmonien nieder!‘ … Und darf ich’s nun Erlauchter! wohl wagen, die Erstlinge meiner jugendlichen Arbeiten zu Deines Thrones Stufen zu legen?“.Ein noch ungeschliffener Diamant
Die Jugendwerke Beethovens aus dieser Zeit tragen noch keine Opuszahl und tauchen daher nicht im Kanon der 32 späteren berühmten Klaviersonaten auf. Dennoch sind diese anspruchsvollen Stücke nicht zu unterschätzen. Während der Einfluss von Mozart auf Beethovens Kammermusikwerke der Bonner Jahre deutlich zu erkennen ist, fällt es schwerer, Vorbilder für diese erste Gruppe von Klaviersonaten auszumachen. Besonders auffallend ist ihr Überfluss an dynamischen Angaben und ausgefeilten Artikulationen. Jedoch lassen sich ähnliche Angaben, wenn auch weniger großzügig verwendet, bei seinem damaligen Lehrer in Bonn, Christian Gottlob Neefe, finden. Neefe erkannte zudem das Genie Beethoven schon früh und prophezeite ihm eine Karriere als "zweyter Mozart".Ein Hauch von Genialität in der f-Moll-Sonate
Stilistisch sind die Kurfürstensonaten noch von dem beeinflusst, was Beethoven in der Bonner Hofkapelle (und zu Hause bei Vater und Großvater) hörte: Werke der sogenannten „Mannheimer Schule“ und der „Sturm-und-Drang“-Stilistik, wie sie auch Carl Philipp Emanuel Bach in seinen Clavierwerken ausgiebig anwendete. Einen sicheren Instinkt für dramatische Gestaltung weist innerhalb der Dreiergruppe vor allem die zweite Sonate in f-Moll von 1782 auf, die schon durch ihre unübliche Tonartenwahl hervorsticht. Dreiklangsketten, Tonleitern, Albertibässe und Quintfallsequenzen, verpackt in einen eher kleingliedrigen periodischen Aufbau mit einfacher Harmonik, entsprechen zwar der damals üblichen verbindlichen Musiksprache. Doch erhöhen häufige Abweichungen paralleler Stellen den Reiz dieses an sich einfachen Stücks. Kompositorisch weist die f-Moll-Sonate weit voraus in die Wiener Zeit. Und im Hauptthema des 1. Satzes lässt sich bereits das Allegro-Thema der Grande Sonate pathétique erahnen. Exklusiv beim SWR aufgenommen – fürs Radio und Internet #Zusammenspielen heißt die Aufnahme-Reihe, für die SWR2 im Corona-Jahr 2020 freiberufliche Musiker*innen in die Studios eingeladen hat. Über 60 Musiker*innen und Ensembles unterschiedlicher Couleur waren dafür bei uns – mit Lieblingsstücken und Repertoire, das wir im Radio senden und im Netz anbieten wollen. Im Musik-Podcast #Zusammenspielen auf SWR2.de gibt’s die Aufnahmen kombiniert mit Musiker-Gesprächen; ausgewählte Stücke – wie dieses – bieten wir auch als Musikstück der Woche an.Sat, 12 Jun 2021 - 17min - 683 - Seiji Okamoto spielt Franz Schuberts Violinsonate A-Dur D 574
Fleißiger als die Beatles
Franz Schuberts Werkverzeichnis umfasst knapp 1000 Nummern, komponiert in knapp 17 Jahren. 31 Jahre alt ist Franz Schubert geworden. Und wenn man davon ausgeht, dass er erst ab seinem 14. Lebensjahr regelmäßig komponiert hat, dann darf man rechnen: Schubert hat durchschnittlich alle sechs Tage etwas Neues produziert. Knapp 60 Werke pro Jahr. Zum Vergleich: die Beatles gab es 18 Jahre, sie haben nur gut 200 kurze Stücke geschrieben, und die Beatles waren immerhin zu viert. Davon abgesehen sind viele Werke von Schubert schlicht viel länger als Beatles-Songs. Ohne zu werten kann man schlicht feststellen: Schubert war extrem fleißig – und dabei auch noch kommerziell völlig erfolglos. Ein Idealist.Konzertmeister mit der Geige
Schubert muss ein guter Pianist gewesen sein, er hat wohl Gitarre gespielt, sehr gut gesungen und ganz fantastisch Geige gespielt. Er war jedenfalls schon als Jugendlicher mit der Violine Konzertmeister, also Leiter der Streichergruppen im Orchester des Wiener Stadtkonvikts, an dem die Sängerknaben und Hofmusiker erzogen wurden. Sein Violinspiel wurde auch in Zeugnissen ausdrücklich gelobt. Insofern ist es schon erstaunlich, dass von den knapp 1000 Werken Schuberts tatsächlich nur sechs Originalwerke für Violine und Klavier existieren, denn immerhin war das eine Hausmusikbesetzung, mit der Beethoven und Mozart in Wien Erfolge gefeiert hatten.Schmales Oeuvre mit riesiger Bandbreite
Drei dieser sechs Schubert-Stücke für Geige und Klavier gelten als so leicht spielbar, dass sie noch heute oft im Geigenunterricht verwendet werden – Sonatinen. Die anderen drei – ein Rondo, eine Fantasie und eine ausgewachsene Sonate – sind dagegen ausgesprochen schwer, ohne allerdings vordergründig virtuos zu sein. Unser SWR2 Musikstück der Woche, Schuberts A-Dur-Sonate, ist quasi ein Musterbeispiel eines Geigenparts, der vordergründig recht unspektakulär wirkt, aber tatsächlich sekündlich Kniffligkeiten bereithält, die nur mit äußerster Virtuosität leicht und selbstverständlich klingen – Meisterwerk und Prüfstein zugleich für jene Kunstfertigkeit, die sich ganz in den Dienst des Ausdrucks stellt.Sat, 17 Feb 2024 - 22min - 682 - Musik zum kostenlosen Download: Brahms’ Horntrio, gespielt von Stefan Dohr, Baiba Skride und Lauma Skride
„Unter Tannen liegend…“
„Ich denke mir dich ganze Tage in den Wäldern herum laufend und unter den Tannen liegend“. Clara Schumann schreibt das ihrem Freund Johannes Brahms, nachdem er ihr berichtet hat, dass er für den Sommer ein schönes Domizil in Baden-Baden gefunden hat. Sie kennt ihren Freund gut: Brahms ist ein Naturliebhaber und Wanderfreund. So ist er überglücklich, in Baden-Baden nicht nur die Nachbarschaft von Clara Schumann zu genießen, die dort ebenfalls ihre Sommermonate verbringt, sondern auch den wundervollen Schwarzwald.Mit der Landschaft verwoben
Das Horntrio Es-Dur ist wie kaum ein anderes Werk von Brahms inspiriert von der Natur, in der es entstand - beim frühmorgendlichen Spaziergang in Lichtental, jenem Stadtteil Baden-Badens, wo Brahms ab 1865 die Giebelzimmer im Haus von „Frau Advokat Becker“ mietet (das Haus ist bis heute eine Pilgerstätte für Brahmsfreunde, die Räume sind im Originalzustand erhalten). Er merkt sich die Stelle im Wald genau, wo ihm das Thema des ersten Satzes eingefallen ist – im Morgengrauen, die Sonne brach gerade durchs Laub. Musik als romantisches Naturerlebnis!Bitte keine „Blechbratsche“!
Es ist eine seltene Kombination, die Brahms hier wählt: Horn, Violine und Klavier. Brahms selbst hat Horn gespielt (neben Klavier und Cello), der Vater hatte ihn auf dem „alten“ Naturhorn unterrichtet, die Mutter liebte Brahms' Spiel. Der dunkle Naturhornklang erinnert Brahms zeitlebens an seine Kindheit. Für sein Horntrio wählt er darum ausdrücklich das Naturhorn (das moderne Ventilhorn nannte er nur „Blechbratsche“). Überhaupt wird es ein eher nachdenkliches, melancholisches Werk, vor allem das Adagio ist eine Art Trauergesang, poetisch, ergreifend. Wenige Wochen zuvor war Brahms' Mutter gestorben.Stefan Dohr
Stefan Dohr spielte ursprünglich Bratsche, wechselte dann aber zum Horn, nachdem er ein Jagdhorn geschenkt bekam. Nach dem Studium in Essen und Köln spielte er 1993 bei den Berliner Philharmonikern vor, einfach nur, um keine Chance verpasst zu haben – und bekam den Job. Stefan Dohr ist u. a. Gastprofessor an der Hochschule Hanns Eisler in Berlin.Baiba und Lauma Skride
Sie kommen aus einer musikalischen Familie aus Lettland, Baiba ist die ältere Schwester und Geigerin, Lauma spielt Klavier. Sie sind Freundinnen, sagt sie, sie habe nie das Gefühl gehabt, im Schatten der älteren zu stehen (es gibt noch eine dritte Schwester, Linda, sie ist die älteste und ist Bratscherin). Nach ersten Studentenjahren in Riga gingen beide zum Studium nach Deutschland. Sie leben in Hamburg und spielen vor allem gerne miteinander im Duo.Sat, 25 Feb 2023 - 29min - 681 - Ariane Matiakh dirigiert Emilie Mayers Sinfonie Nr. 7 f-Moll
Von wegen Männerdomäne
In der klassischen Musik und in der Musiktheorie scheint die Frage nach „Was ist typisch weiblich?“ und „Was ist typisch männlich?“ hoch im Kurs zu stehen. Da ist die Rede von männlichen und weiblichen Themen, Tonarten und Gattungen. Und damit wären wir auch schon beim Thema: Als typisch „männliche“ Gattungen galten lange Zeit die großen Formen wie Sonaten und Sinfonien. Das verwundert auch nicht, schließlich gab es deutlich mehr Männer, die sich in diesen musikalischen Gefilden herumtrieben – oder man sollte besser sagen: herumtreiben durften. Emilie Mayer ließ sich davon nicht beirren. Sie hatte den Mut, als junge Frau im 19. Jahrhundert ein Leben als Künstlerin zu wagen. Und dieses Selbstbewusstsein spiegelt sich auch in ihrer Arbeit: Sie gab sich nicht damit zufrieden, Lieder und Salonmusik zu schreibe. Stattdessen komponierte sie Werke für große Besetzung.Ein komponierender Freigeist
Geboren wird Emilie Mayer 1812 als Apothekerstochter in der mecklenburgischen Provinz. Ein größeres Erbe ermöglicht ihr, in den 1840er-Jahren nach Stettin zu gehen und ein privates Kompositionsstudium bei Carl Loewe, dem „König der Balladen“, aufzunehmen. Später setzt sie ihre Studien in Berlin fort. Auch unter ihren komponierenden Kolleginnen nimmt Emilie Mayer eine Sonderstellung ein, denn für sie stehen vor allem die großen Gattungen wie Sonaten und Sinfonien im Fokus. Durch ihre Experimentierfreude entwickelt sie in ihren Kompositionen nach und nach einen eigenen Stil – so auch in ihrer siebten Sinfonie in f-Moll. Im vierten Satz dieser Sinfonie stellt Mayer den üblichen dramaturgischen Ablauf auf den Kopf. Sie bietet dem Publikum kein gewöhnliches Kehraus-Finale, in dem zu guter Letzt alle Konflikte aufgelöst sind. Stattdessen kippt der Satz am Ende nach f-Moll – ein dramatischer Dreh mit eindeutig romantischem Gestus.Sat, 10 Feb 2024 - 33min - 680 - Wer war Poldowski? Das Pseudonym einer Komponistin | Janina Ruh und Boris Kusnezow mit 3 Verlaine-Liedern
Wer ist Poldowski?
„Crépuscule du soir mystique“ („Dämmerung des mystischen Abends“), so ist der Text von Paul Verlaine überschrieben, dessen Vertonung 1914 bei der Druckerei Roeder in Paris erscheint, für den Preis von 2 Francs. Musik von „Poldowski“ – das bleibt der einzige gedruckte Hinweis auf den Menschen, der Verlaines Verse in Töne gesetzt hat. Poldowski, ist das polnisch? Und hat Poldowski auch einen Vornamen? Das sind möglicherweise Fragen, die die geneigte Käuferschaft sich stellt. Vielen ist es womöglich egal, denn Musik und Verse sind jedenfalls berückend schön aufeinander abgestimmt. Man kann die Noten kaufen und zuhause begleitet vom Blatt singen, wenn man ein Klavier besitzt.Poldowski hat viele Namen
Hinter dem mysteriösen Pseudonym verbirgt sich eine Frau: Régine Wieniawski. Seit ihrer Heirat mit dem englischen Baronet Sir Aubrey Dean Paul 1901 hat sie die britische Staatsbürgerschaft. Musik studiert hat Wieniawski in Paris, unter anderem bei Vicent d'Indy, an der Schola cantorum. Manchmal nennt sie sich „Lady Dean Paul“, mitunter „Dame Irene Paul“, oder – wenn es darum ging, den frauenfeindlichen Musikmarkt erfolgreich auszutricksen – eben einfach Poldowski.Régine Wieniawski, Lady Dean Paul oder einfach Poldowski:
Der Deckname enthält immerhin einen Hinweis auf ihre polnische Herkunft: Régine ist die Tochter des polnische Geigenvirtuosen und Komponisten Henryk Wieniawski, der nach seiner Ernennung zum Professor des Brüsseler Konservatoriums nach Belgien gezogen ist. Ihre Mutter ist Engländerin, Isabelle Bessie Wieniawski (geborene Hampton), die Nichte des irischen Pianisten und Komponisten George Alexander Osborne.Früh verliert sie den Vater, mit 14 komponiert sie selbst
Als Régine zehn Monate alt ist, verstirbt ihr berühmter Vater während einer Konzertreise nach Moskau. Die Mutter übernimmt allein Erziehung und musikalische Ausbildung. Mit acht Jahren bereits wird das hochbegabte Kind der Operndiva Nellie Melba vorgestellt, mit 14 führt Régine eigene Kompositionen auf. Ihre Biografie ist in vielen Details nach wie vor kompliziert nachzuvollziehen, sie hat womöglich schon als Kind Unterricht am Brüsseler Konservatorium. Allerdings taucht ihr Name, keiner ihrer Namen, in den Archiven des Instituts auf.Kurzzeitige Berühmtheit
Zwischen 1900 und 1904 veröffentlicht sie ihre ersten Lieder als Irène Wieniawska. Nach 1911 werden dann viele Lieder gleichzeitig in Paris und London veröffentlicht. Als Poldowski wird sie kurzzeitig berühmt, nach ihrem Tod 1932 aber schnell vergessen. Ihre Wiederentdeckung rückt heute ihre kongenialen Verlaine-Vertonungen in den Fokus. Drei davon stehen im Fokus des SWR2 Musikstücks der Woche: „Crépuscule du soir mystique“, „En sourdine“ und „Colombine“.Fri, 2 Feb 2024 - 07min - 679 - Das Freiburger Barockorchester spielt Friedrich Witts „Jenaer Sinfonie“
Auf Spurensuche
1909 entdeckte Fritz Stein in der Universitätsbibliothek in Jena eine Sinfonie in C-Dur. Als er sich das Notenmaterial genauer anschaute, fand er auf einer der Violinstimmen einen Vermerk: „par Louis van Beethoven“ stand darauf, also: „von Ludwig van Beethoven“. Das passt auch hervorragend, denn Beethoven hatte selbst einmal geäußert, er habe eine C-Dur-Sinfonie nach dem Vorbild der 97. Sinfonie von Haydn verfasst.C-Dur Sinfonie von Beethoven?
Also, ein ganz klarer Fall: Die neu entdeckte C-Dur-Sinfonie stammt von Beethoven – könnte man meinen. Denn so einfach war es dann leider doch nicht. Und so ging die Debatte los. Fast ein halbes Jahrhundert diskutierten Musikforscher über die Autorschaft. 1968 konnte der amerikanische Musikwissenschaftler H. C. Robbins Landon beweisen, dass die Sinfonie in C-Dur nicht von Beethoven, sondern von Friedrich Witt stammt: Robbins stieß auf eine Kopie des Werkes und diese Abschrift war eigenhändig von Witt signiert.Kein „Business as usual”
Geboren wurde Friedrich Witt 1770 in Niederstetten, im heutigen Main-Tauber-Kreis. Zunächst wird er Cellist in der Hofkapelle von Oettingen-Wallerstein, später wird er zum Kapellmeister an den Würzburger Hof berufen. Sein musikalisches Vorbild ist Joseph Haydn und das hört man auch seiner Sinfonie in C-Dur an. Doch im langsamen zweiten Satz weicht Witt vom „Business as usual“ ab: Mit weiten Melodiebögen schafft er ein musikalisches Idyll. Dabei nehmen die Holz- und Blechblasinstrumente eine zentrale Rolle ein. Diese Herangehensweise ist für die damalige Zeit recht unüblich, denn damals waren Blasinstrumente in den langsamen Sinfoniesätzen vor allem für die Begleitung zuständig. Anders bei Witt: Er fügt in sein klangliches Idyll schmetternde Horn- und Trompetensignale ein.Sat, 27 Jan 2024 - 25min - 678 - Komponistin Lili Boulangers schlägt Wellen: „Les Sirènes“, interpretiert vom Kammerchor figure humaine
Im Schatten der großen Schwester Nadia?
Hinter prachtvoller Front zu den verwinkelten Straßen des Pariser Viertels Montmartre, umgeben von Musik und Kunst, beginnt die Lebensreise von Marie-Juliette Olga Boulanger, Rufname „Lili“. Im intellektuell hochfrequentierten elterlichen Salon erwacht ihre Neugier für die Künste. Ihr Vater Ernest ist Dirigent, Komponist, Sänger und Professor am Konservatorium, ihre Mutter Raissa ist ebenfalls Sängerin. Und ihre sechs Jahre ältere Schwester Nadia gilt als musikalisches Wunder. Schon im Alter von fünf Jahren singt Lili Lieder von Gabriel Fauré, der Meister selbst spielt dazu am Klavier. Sie parliert mit den Gästen nicht nur Französisch, sondern spricht auch Russisch, Deutsch und Italienisch – ein weiteres Genie in der Familie, das bald darauf als Geigenwunder der Öffentlichkeit präsentiert werden kann.Der tragische Tod des Vaters bringt Lilis erste Komposition hervor
Im Jahr 1900, Lili ist gerade sieben Jahre alt, verstirbt völlig überraschend ihr Vater während eines Gesprächs mit der älteren Schwester. „La Lettre de mort“, der „Todesbrief“, wird die erste nachweisbare Komposition der Halbwaise, erhalten bleibt allerdings lediglich die Skizze einer Melodie. Wie ihr verstorbener Vater und einige der illustren Gäste der heimischen Salons vor ihr, möchte nun auch Lili Boulanger den begehrten Kompositionspreis „Prix de Rome“ gewinnen und in die Fußstapfen des verlorenen Elternteils treten. Sie tritt damit in Konkurrenz zu ihrer Schwester.Lili Boulanger orientiert sich am Vorbild Debussy
In Vorbereitung ihrer ersten Bewerbung – sie wird erst im zweiten Anlauf, kurz vor ihrem frühen Tod, sensationell gewinnen – schreibt Lili Boulanger wohl auch „Les Sirènes“ („Die Sirenen“) und orientiert sich dabei an einem der vergangenen Preisträger: Claude Debussy. In „Sirènes“ aus seiner zwei Jahre früher veröffentlichten Orchestersuite „La Mer“ verwendet Debussy einen gemischten Chor, der mit dem Orchester interagiert, um die Klanglandschaft des Meeres und die lockenden Rufe der Sirenen darzustellen. Wie Debussy verwendet Lili Boulanger einen Chor, der teils vokalisierend eingesetzt wird. Selbst die harmonischen Progressionen folgen stellenweise dem Vorbild.Die kleine Schwester triumphiert
Die Pariser Zeitung Le Monde Musicalschreibt dazu am 30. März 1912:Volles Haus bei Madame Boulanger! Besonders gespannt war man auf das besondere Ereignis des Abends gewesen – die ‚kleine Schwester‘ Lili debütierte als Komponistin. Ihr Sirenenchor beweist bereits eine solide Technik, und das Gesangsquartett ist von außerordentlich frischer Inspiration.
Der vertonte Text entstammt einem wohl 1888 entstandenen Gedicht des Zeitgenossen Charles Jean Grandmougin. Die Meereskreaturen, deren unwiderstehlicher Gesang Seefahrer auf die Felsen lockt, rühmen sich mit betörenden Klängen ihrer tödlichen Schönheit.Quelle: Le Monde Musical, 30. März 1912
Sat, 20 Jan 2024 - 06min - 677 - Komponist und Freiheitskämpfer: Danae Dörken spielt Mikis Theodorakis
Seine Musik machte den Sirtaki zum griechischen Kulturgut
Als Hauptdarsteller im Film „Alexis Sorbas“ machte Anthony Quinn den griechischen Volkstanz Sirtaki weltberühmt. Doch es ist ein Volkstanz, den es eigentlich gar nicht gibt. Mikis Theodorakis hat den Sirtaki für den Film „Alexis Sorbas“ gewissermaßen erfunden. Heutzutage hat sich der Sirtaki tatsächlich zu einem Volkstanz entwickelt und gilt als nationales Kulturgut Griechenlands. Es gab Zeiten, in denen Mikis Theodorakis diesen Tanz verflucht hat, weil er sein ganzes Werk auf dieses eine Stück reduziert sah. Dabei gibt es in der erstaunlich langen Werkliste von Theodorakis einiges mehr zu entdecken – darunter Opern, Ballette, Filmmusiken, Sinfonien, Kammermusik und zahlreiche Lieder.Komponist, Widerstandskämpfer, Politiker
Die rechten Diktaturen, den Zweiten Weltkrieg, die deutsche Besatzung, die Militärjunta, die Versuche einer Demokratisierung und die Wirtschaftskrise – all das hat Mikis Theodorakis erlebt, und zwar an vorderster Front, als Widerstandskämpfer, als Komponist und als Politiker. Immer wieder wird er verhaftet, gefoltert und teilweise erst in allerletzter Minute gerettet. Geboren wird Theodorakis 1925 auf der Insel Chios. Als Kind reist er umher, sein Vater ist Regierungsbeamter und wechselt von Ort zu Ort. Theodorakis ist dabei umgeben von Bildung und Kultur. Er lernt Instrumente zu spielen, komponiert früh, gründet einen Chor. Ab 1943 studiert er Musik in Athen, später auch in Paris. Während seiner Zeit am Athener Konservatorium tobte der Zweite Weltkrieg. 1941 besetzen die deutschen Truppen das Land am Mittelmeer. Es folgen politische Unruhen und die schlimmste Hungersnot in der Geschichte Griechenlands. Theodorakis schließt sich der EAM an, der linksgerichteten „Nationalen Befreiungsfront“, und kämpft im Widerstand gegen die Deutschen. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg kommt die politische Situation in Griechenland nicht zur Ruhe.… und dazwischen: Musik.
Nach dem Rückzug der deutschen Wehrmacht 1944, wehrt sich Theodorakis mit anderen Gleichgesinnten gegen die Einmischung der Briten. Dann kommt es zum Griechischen Bürgerkrieg und der Komponist wird als kommunistischer Regime-Gegner verhaftet. Das war 1947, im selben Jahr entstehen auch seine elf Präludien für Klavier. Die elf Präludien von Theodorakis sind kurze Szenen, die die Hörerinnen und Hörer immer wieder in neue Situationen hineinwerfen. Ständig lösen neue musikalische Sequenzen und Motive die vorausgegangenen ab. Sie klingen mal melancholisch, mal tänzerisch, mal nachdenklich, mal ausgelassen.Sat, 13 Jan 2024 - 14min - 676 - Die Deutsche Radio Philharmonie mit Pietari Inkinen spielt Antonín Dvořáks Sinfonie Nr. 8
„Die Melodien fliegen mir nur so zu.“
Die Schreibblockade ist der Schrecken aller Komponistinnen und Komponisten. Nichts lässt sich zu Papier bringen und die zündende Idee bleibt aus. Manche Komponisten stampfen auf der Jagd nach Inspiration durch Wald und Wiesen. Andere versuchen, die Ideenlosigkeit im Wein zu ertränken, und wieder andere legen sich eine Muse zu. Nicht so bei Antonín Dvořák: Am 10. August 1889 schreibt er an seinen Freund Alois Göbl:Sie wollen wissen, was ich tue? Ich habe den Kopf voll, wenn der Mensch das nur gleich aufschreiben könnte! Es geht über die Erwartung leicht und die Melodien fliegen mir nur so zu.
Quelle: Antonín Dvořák in einem Brief an Alois Göbl (10. August 1889)
Zwischen Rosensträuchern und Taubenzucht
Kurz nachdem Dvořák diese Zeilen geschrieben hat, setzt er sich an eine neue Komposition: Seine achte Sinfonie. Und die hat er in wenigen Wochen fertig skizziert. Für seinen Komponiermarathon hat sich Dvořák in der idealen Umgebung einquartiert: Seit 1884 verbringt er die Sommermonate zusammen mit seiner Familie in Vysoká – einem kleinen böhmischen Dorf mitten im Grünen und weit weg vom Trubel der Stadt. Hier hegt und pflegt Dvořák die Rosenbeete in seinem Garten, baut Kartoffeln an und versorgt seine Tauben, Hasen und Ziegen. Seine achte Sinfonie, die in dieser Atmosphäre entsteht, klingt genau so: nach böhmischem Naturidyll.Stimmungsvolle Nebensächlichkeiten
Dvořáks achte Sinfonie quillt geradezu über vor Melodien. So entsteht ein Potpourri unterschiedlichster Einfälle und Stimmungsbilder – vom Gesang der Vögel bis hin zum Bauerntanz. Am 2. Februar 1890 dirigiert Dvořák selbst die Uraufführung der achten Sinfonie im Rudolfinum in Prag. Die Kritiker sind jedoch irritiert vom freien Umgang mit der Form der Sinfonie. Auch Johannes Brahms ist nicht vollends überzeugt:Zuviel Fragmentarisches, Nebensächliches treibt sich darin herum. Alles fein, musikalisch fesselnd und schön – aber keine Hauptsachen!
Quelle: Johannes Brahms in einer Rezension zu Dvořáks 8. Sinfonie
„Die Englische“
Man kann die Hauptsachen aber auch einfach nebensächlich sein lassen. So sieht das auch das Publikum der Uraufführung: Das ist begeistert. Die größten Erfolge feiert Dvořák mit seiner achten Sinfonie aber in England. Die Briten lieben ihn sowieso. Und nachdem sich Dvořák mit seinem alten Verleger Simrock verkracht hat, lässt er die Sinfonie bei einem Verlag in London drucken. So kommt die achte Sinfonie zu ihrem Beinamen „die Englische“.Pietari Inkinen und die Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern
Die Konzertsäle und Sendestudios in Saarbrücken und Kaiserslautern sind die zentralen Orchesterstandorte der Deutschen Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern (DRP). Als Rundfunk-Sinfonieorchester der ARD wird die DRP gemeinsam getragen vom Saarländischen Rundfunk (SR) und vom Südwestrundfunk (SWR). Seit 2017 steht Pietari Inkinen am Dirigentenpult des Orchesters. Daneben ist Inkinen auch Chefdirigent des Japan Philharmonic Orchestra in Tokio sowie Musikdirektor des KBS Symphony Orchestra in Seoul.Sat, 30 Dec 2023 - 36min - 675 - Simon Höfele und das Kurpfälzische Kammerorchester mit Alessandro Marcellos Konzert d-Moll
3 Akkorde mit Wiedererkennungswert
Die britische Band „Cook da Books“ hat vom Filmkomponisten Vladimir Cosma den Zuschlag bekommen, während einer Konzertszene den extra für den Soundtrack komponierten Pop-Schmachtfetzen „Your Eyes“ zu spielen. Der Refrain beginnt mit 3 aufwärts gebrochenen Septakkorden, die der klassisch ausgebildete Hitlieferant Cosma nicht extra erfinden muss. Die ausgesprochen charakteristische Tonfolge hat bereits einen weiten Weg durch die Musikgeschichte hinter sich.Schon Bach borgt sich die Melodie aus
Johann Ernst IV. aus dem Hause Sachsen-Weimar, ein Musikbegeisterter Regent mit Begeisterung für Italien, stellt Johann Sebastian Bach wohl ein Konvolut italienischer Konzert-Partituren zur Verfügung, die der Komponist prompt für das Spiel auf Tasteninstrumenten bearbeitet. Auch das d-moll Konzert BWV 974 gehört zu einer Reihe von Bearbeitungen, die zunächst mit Verweis auf eine ursprüngliche Urheberschaft Vivaldis erscheinen. Die wunderschöne Melodie des langsamen Satzes beginnt mit jenen aufsteigenden Akkorden, die viel später im Teeniehit „La Boum 2“ auftauchen. Aber stammt der Ohrwurm-Einfall wirklich von Vivaldi?Die Quellen scheinen zunächst eindeutig
Erst lange nach Bachs Tod, im 20. Jhd., wächst das Interesse an den Quellen, die Bach eigentlich verwendet hat. Und als in einer Sammlung in Schwerin ein Oboenkonzert aus dem frühen 18. Jhd. auftaucht, das auf einen „Marcello“ verweist, geht man schnell davon aus, dass es sich hier um die eigentliche Vorlage handelt. Als Urheber wird der venezianische Komponist Benedetto Marcello identifiziert, Sprößling einer Kaste von steinreichen Patriziern, die Venedig kulturell und politisch an der Wende zum 18. Jhd. dominieren. Auch Vivaldi führt Stücke für die Marcellos auf.Eine neue Spur
Erst als eine Abschrift des Konzerts in der British Library als Teil einer Sammlung von 1717 entdeckt wird, werden Zweifel an Benedetto Marcellos Urheberschaft laut. Zwar verweist auch diese Sammlung auf „Marcello“, lässt sich aber dem älteren Bruder Benedettos zuordnen: dem enorm breitgefächert wirkenden Alessandro Marcello.Ein Mensch, viele Talente
Alessandro Marcello ist umfassend gebildet, er ist wie die meisten Marcellos in Venedig Jurist, Politiker, Ratsmitglied, aber er ist noch viel mehr: Erfinder, Instrumentensammler, Astrologe, Dichter, Maler, laborierender Chemiker und Musiker. Viele biografische Informationen über den vielseitig begabten Alessandro erschließen sich Forschenden erst über die Lektüre seiner zahlreichen Epigramme, kleiner lateinischer Gedichte, die er in mehreren Bänden herausbringt, und die erst in der zweiten Hälfte des 20. Jhds. mit Hilfe der Deutung astronomischer Konstellationen Rückschlüsse auf sein Geburtsdatum (das jahrhundertelang falsch überliefert wird) zulassen. Alessandro Marcello ist nicht nur der Erfinder einer Geheimschrift, die mit Hilfe von gestanzten Löchern in Papier bei der Verschlüsselung von Botschaften helfen soll (im diplomatischen Venedig mit vielen politischen Komplotten ist man geradezu besessen von Geheimschriften), Alessandro Marcello wird mit seinem heute berühmtesten Werk auch zum Stifter einer ganzen Gattung: des virtuosen Oboenkonzerts.Das Ohrwurmrezept
Und, mit drei aufsteigenden Septakkorden, zum Hitformellieferanten für Nachahmer: Bachkonzert oder Teenieschmachtfetzen im französischen Popcornkino, das Rezept ist ziemlich ähnlich… Simon Höfele ist einer der spannendsten Trompeter der jungen Generation. Er ist Preisträger des Sonderpreises „U21“ des Internationalen Musikwettbewerbs der ARD und des Deutschen Musikwettbewerbs 2016, sowie ehemaliges „New Talent“ im Förderprogramm von SWR2 . Ab 2017 war Simon Höfele daneben BBC Radio 3 New Generation Artist, ist weltweit als Solist gefragt und zudem erfolgreicher Podcaster. Das Kurpfälzische Kammerorchesterwurde 1952 vom ehemaligen Generalmusikdirektor des Mannheimer Nationaltheaters Eugen Bodart gegründet. Es sieht sich als Nachfolger der Hofkapelle der Kurfürsten von der Pfalz und widmet sich der Pflege der Mannheimer Schule. Das Orchester tritt nicht nur weltweit auf, sondern veranstaltet auch eine eigene Konzertreihe im Rittersaal des Mannheimer Schlosses.Sat, 23 Dec 2023 - 10min - 674 - Das Freiburger Barockorchester spielt Vivaldis „Winter“
Vivaldi auf Kufen
Heutzutage ist es kein Problem, eine geeignete Schlittschuhbahn in der Lagunenstadt zu finden – Kunsteis macht’s möglich! Zu Vivaldis Lebzeiten war das allerdings nicht selbstverständlich. Und dennoch bekam der Komponist die Chance, ein paar Runden übers Eis zu gleiten. Grund dafür war die sogenannte ‚kleine Eiszeit‘, die etwa vom 14. bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts andauerte. Für diese Periode lassen sich weltweit Gletschervorstöße nachweisen, wobei die Kältehöhepunkte regional sehr unterschiedlich ausfielen. Die Folgen waren unter anderem kühle Sommer mit jeder Menge Regen, klirrend kalte Winter, Missernten und Hungersnöte. Daneben gab es aber auch die Glücklichen, die dieser Phase etwas Gutes abgewinnen konnten. Zu diesen Glücklichen zählte auch Antonio Vivaldi. Im Winter 1708 fror die Lagune von Venedig zu. Eine riesige Schlittschuhbahn direkt vor Vivaldis Haustür! Kein Wunder, dass er dieses Ereignis auch musikalisch festhielt – und zwar in seinem Violinkonzert in f-Moll op. 8 Nr. 4, besser bekannt als der „Winter“ aus den „Vier Jahreszeiten“.Brrr – Vom Zittern und Bibbern
Der Beginn des Violinkonzerts klingt allerdings noch nicht nach fröhlicher Schlittschuhfahrt: Alles ist starr, es bewegt sich kaum etwas, nur die Geigen zittern manchmal vor Kälte. Doch dann brechen plötzlich wilde 32tel in der Solovioline ein. Und zu allem Überfluss pfeift dem Orchester ein eiskalter Wind um die Ohren Kälte, Schnee und Füße wie Eisklumpen – all das beschreibt Vivaldi auch im Sonett, dass er seinem Violinkonzert voranstellt. Das Gedicht beginnt folgendermaßen:Starr vor Kälte, zitternd im glitzernden Schnee,
im rauen Heulen des bitterkalten Windes
eilt man, fortwährend mit den Füßen stampfend, dahin,
und in der maßlosen Kälte klappern die Zähne.Quelle: Beginn des Sonetts, das Vivaldi dem Violinkonzert f-Moll op. 8 Nr. 4 vorangestellt hat
Ab aufs Eis!
Lange hält man sich in dieser Kälte nicht freiwillig auf. Gut, dass Vivaldi schon den Ofen vorgeheizt hat. Und so darf sich das Orchester im zweiten Satz in die warme Stube setzen, schön nah ans Feuer. Vivaldi verzichtet hier bewusst auf Virtuosität, stattdessen wird es behaglich und die Solovioline spielt eine liebliche Melodie. In den Celli hört man währenddessen die Regentropfen, die leise gegen das Fenster prasseln. Im dritten Satz ist es dann endlich so weit. Die Solovioline traut sich aufs Eis, zuerst noch etwas zaghaft. Doch nach und nach wird unser Schlittschuhläufer immer mutiger und er kreiselt übers Eis. Aber Achtung: Es besteht Sturzgefahr!Mutig losgehen, ausrutschen und zu Boden fallen,
wieder aufs Eis gehen und kraftvoll laufen,
bis das Eis kracht und zerbricht.Quelle: Schluss des Sonetts, das Vivaldi dem Violinkonzert voranstellte
Das Freiburger Barockorchester
Seit über 30 Jahren gibt es das Freiburger Barockorchester – eines der renommiertesten Ensembles für historisch informierte Aufführungspraxis. Zu seinem Kernrepertoire gehört die Musik des Barocks und der Klassik. Auf dem Programm stehen aber auch immer wieder Werke der Romantik. Künstlerische Leiter des FBO sind Gottfried von der Goltz (Violine) und Kristian Bezuidenhout (Cembalo/Hammerklavier).Sat, 16 Dec 2023 - 09min - 673 - Ragna Schirmer spielt Clara Schumann: Klavierkonzert a-Moll op. 7
Sicherheit und Leichtigkeit
Ihren ersten Klavierunterricht erhielt Clara von ihrem Vater Friedrich Wieck, da war sie fünf Jahre alt. Schon mit neun Jahren war ihr Können so groß und ihr Talent so anerkannt, dass sie im Leipziger Gewandhaus auftreten durfte. Ein Zeitzeugnis von den Künsten der Pianistin, die zu Beginn ihrer Karriere nach heutigen Maßstäben ja noch ein Kind war, gab der Virtuose, Pädagoge und Kasseler Hofkapellmeister Louis Spohr: „Ihre Fertigkeit [ist] von der Art, dass sie das Schwerste, was für das Instrument geschrieben ist, mit einer Sicherheit und Leichtigkeit überwindet, wie man dies nur bei den größten jetzt lebenden Virtuosen antrifft.“ Diese lobenden Worte schrieb Spohr im Dezember 1831 in Kassel, nur einer von zahlreichen Stationen einer groß angelegten Reise, die Clara und ihren Vater durch Mitteldeutschland und das heutige Hessen nach Paris führte. Vielleicht hatte sie schon während dieser Tour die Noten im Kopf, die sie wenige Monate später zu notieren begann: Die Partitur ihres ersten, eigenen Klavierkonzerts.Mehr zu Clara Schumanns Klavierkonzert a-Moll op. 7
Pianistische Perfektion
Das Werk steht in a-Moll und hat die klassische dreisätzige Form: Ein eindrucksvolles Allegro maestoso mit einem punktierten, auftrumpfenden Hauptthema wird gefolgt von einer Romanze in dunklem As-Dur. Und schließlich gibt es noch ein Finale im bewegten Allegro non troppo. Stil und Anlage sind hörbar für die Aufführung in einem großen Saal gedacht. Gekonnt spielt der Klaviersatz mit Triolen, Sextolen und chromatischen Schattierungen. Die gesanglichen, vor allem im Mittelsatz weit ausschwingenden Oberstimmen sind oft brillant hervorgehoben. Die unermessliche Zahl an Oktavierungen und weiten Lagen verlangen ein Höchstmaß an Konzentration und pianistischer Perfektion. Schaut man auf das Portrait der zierlichen Clara Wieck, die auf einer Lithographie von Julius Giere von 1835 schüchtern und brav am Klavier sitzt, scheint es umso beeindruckender, dass sie die Noten auf dem Pult – das eben fertig gestellte Konzert – sicherlich bravourös zu meistern wusste. Schon Louis Spohr, dem die Komponistin ihr Opus 7 schließlich widmete, hatte wohl geahnt, dass er es offenbar mit einer großen Künstlerin zu tun hatte: „Dass ferner das, wodurch sich ihr Spiel vor dem der gewöhnlichen frühreifen Virtuosen auszeichnet, nicht bloß Ergebnis einer strengen und musterhaften Schule ist, sondern auch aus ihrem Innern hervorgeht, dafür geben ihre Kompositionsversuche Zeugnis, die daher auch, wie die junge Virtuosin selbst, zu den höchst merkwürdigen Erscheinungen im Gebiete der Kunst gehören.“ Und während sich ihr Vater Friedrich Wieck in jener Zeit darüber aufregte, die jugendliche Clara sei plötzlich „voller unvernüftigem Widerspruch, nachlässig, im höchsten Grade unfolgsam“, hatte die junge Dame längst andere Dinge im Kopf: Im November 1835, ihr Klavierkonzert war gerade frisch vollendet, da küsste sie zum ersten Mal einen jungen Mann, der sich Hals über Kopf in sie verliebt hatte: Robert Schumann.Sat, 13 Jun 2020 - 22min - 672 - Eva Marti, Anne Le Bozec und das Vocalensemble Rastatt mit Lili Boulangers „Hymne au soleil“
Der erste Anlauf
Für ihr größtes Ziel muss sie alle ihre Kräfte aufbringen, und die scheinen bereits im frühen Alter bald aufgezehrt. Weil Lili sich nach einer Lungenentzündung während ihrer Kindheit nie wieder ganz erholt hat, ist ihr schon regelmäßiger Schulbesuch unmöglich, sie stellt sich selbst einen autodidaktischen Lehrplan zusammen. Trotzdem bewirbt sie sich noch als Jugendliche 1912 um die begehrte Krone der Zunft. Das ist nur möglich, weil der Prix-de-Rome erst kurz vorher Frauen die Teilnahme ermöglicht hat. Eine derart junge Teilnehmerin muss den durchweg männlichen Jurymitgliedern wie ein Affront vorkommen.Ein Rückschlag kurz vorm Ziel
Lili Boulangers Vater ist Opernkomponist und Gesangslehrer, ihre Mutter Sängerin. Ihre Begabung fällt früh auf, und sie wird unter anderen von Gabriel Fauré gefördert, der regelmäßig im Hause Boulanger zu Gast ist. Mit 17 entscheidet sich Lili Boulanger, Komponistin zu werden. Zur Erreichung Ihres Wettbewerbsziels wendet sie sich früh der Vokalmusik zu, denn ein Chorwerk ist als Pflichtstück einzureichen bei der Pariser Jury. Dann wird Lili Boulanger 1912, kurz vor dem Finale (das später ganz abgesagt wird), von Fieberschüben heimgesucht, sie muss aufgeben. Sie ist 18 und hat nur noch kurze Zeit zu leben. Der nächste Versuch im darauffolgenden Jahr bringt den Triumph, den Durchbruch als Teenagerin, und nicht zuletzt den Neid der männlichen Tonsetzerzunft – fünf Jahre vor ihrem viel zu frühen Tod.Die Sonnenhymne
Die Hymne au soleil ist im Juli 1912 in Vorbereitung auf Lili Boulangers ersten Romwettbewerb entstanden. Möglicherweise ist ihr bereits eine Vertonung des Textes vertraut, denn Komponist Paul Dukas, auch ein gern gesehener Gast im Hause Boulanger, hat die Verse bereits 1888 in Töne gesetzt, ebenfalls für den Wettbewerb, bei dem er schließlich Zweiter wird. Die Textvorlage entstammt der fünfaktigen Tragödie Le Paria von Casimir Delavigne, die von Auguste Lacaussade zu einem Gedicht umgearbeitet worden ist. Den Handlungsrahmen bildet die heimliche Liebe zwischen einem von der Gesellschaft ausgestoßenen Paria und der Tochter eines indischen Brahmapriesters – eine verbotene Liaison. Der Tag bricht an, weshalb sich die Liebenden rasch zerstreuen, um unentdeckt zu bleiben. Brahmanen und Gläubige versammeln sich zum Ritual, um die aufgehende Sonne zu begrüßen und ihr zu huldigen.Hymne au soleil
Du soleil qui renaît bénissons la puissance.
Avec tout l'univers célébrons son retour.
Couronné de splendeur, il se lève, il s'élance.
Le réveil de la terre est un hymne d'amour.
Sept coursiers qu'en partant le Dieu contient à peine,
Enflamment l'horizon de leur brûlante haleine.
O soleil fécond, tu parais!
Avec ses champs en fleurs, ses monts, ses bois épais,
La vaste mer de tes feux embrasée,
L'univers plus jeune et plus frais,
Des vapeurs de matin sont brillants de rosée.Hymne an die Sonne
Wir segnen die Kraft der wiedergeborenen Sonne
mit dem ganzen Universum feiern wir ihre Rückkehr.
Gekrönt von Pracht erhebt sie sich, schwingt sich empor.
Das Erwachen der Erde wird zur Hymne der Liebe.
Sieben Reiter, kaum vom Gott zu bändigen, wenn sie voranschreiten,
entflammen den Horizont mit ihrem glühenden Atem.
O, fruchtbare Sonne, du erscheinst!
Mit blühenden Feldern, Bergen und üppigen Wäldern,
dem weiten Meer, von deinem Feuer entzündet,
dem Universum jünger und erquickter
glänzt der Morgennebel in funkelndem Tau.
Das Vocalensemble Rastatt zählt mit Dirigent Holger Speck zur internationalen Spitzenklasse. Es steht für Exzellenz, Lebendigkeit und Authentizität. Zwingende, stilgetreue und historisch informierte Interpretationen haben den exzellenten Ruf ebenso begründet wie leidenschaftliches und emotionales Musizieren. Von der herausragenden Qualität der Ensembles zeugen vor allem die Grammy-Nominierung im Rahmen der CD-Produktion von Mozarts "Le Nozze di Figaro" bei der Deutschen Grammophon und zahlreiche Produktionen nicht zuletzt für den SWR.Sat, 9 Dec 2023 - 05min - 671 - Das franz ensemble spielt Ernst von Dohnányis Sextett in C-Dur op. 37
Eine prominente Familie
Ernst von Dohnányi war nicht nur ein brillanter Klaviervirtuose, sondern auch eine Schlüsselfigur des ungarischen Musiklebens. Aber Moment mal: Von Dohnányi? Da war doch was! Ja, genau: Ernst von Dohnányi war der Großvater des ehemaligen Ersten Bürgermeisters von Hamburg Klaus von Dohnányi und außerdem war er auch der Großvater des Dirigenten Christoph von Dohnányi. Geboren wurde Ernst von Dohnányi 1877 in Pressburg, dem heutigen Bratislava. Damals gehörte die Stadt noch zu Ungarn. Von Dohnányi war ein gefeierter Klaviervirtuose, er trat in ganz Europa, in Russland und in den Vereinigten Staaten auf. Doch nicht nur das. Er machte auch Karriere als Dirigent, Pädagoge und nicht zuletzt als Komponist.Viele Ämter, wenig Zeit
Mit seinen Werken tat er sich schon früh hervor. Von Dohnányi war gerade einmal 15 Jahre alt, als sein Kompositionsprofessor sein Klavierquintett – sein Opus 1 – Johannes Brahms vorspielte. Und der war begeistert und förderte den jungen ungarischen Komponisten. Ernst von Dohnányi entwickelte sich nach und nach zu einer der zentralen Musikerpersönlichkeiten seines Heimatlandes: Er war Mitglied des Verwaltungsrates für Musik, Direktor der Musikakademie von Budapest, Chef der Philharmonischen Gesellschaft von Budapest und Musikdirektor beim ungarischen Rundfunk. Ein – man kann es nicht anders sagen – vielbeschäftigter Mann. Dass er bei all den Ämtern überhaupt noch Zeit zum Komponieren fand, grenzt an ein Wunder. Tatsächlich haben wir das Sextett op. 37 auch nur einer kleinen Erholungspause zu verdanken. Von Dohnányi schrieb das Werk 1935. Kurz zuvor war er an Thrombose erkrankt und so musste er ein wenig kürzertreten – zumindest für eine gewisse Zeit. Glück für uns, denn so konnte eine wirklich spannende Komposition entstehen.Spätromantik trifft Zeitgeist
Anders als sein Landsmann, Zeitgenosse und Schulfreund Bela Bartók, komponierte von Dohnányi ganz im Sinne der Spätromantik. Er bezieht sich eher auf das, was war, als auf das, was kommen wird – sozusagen ein Meister zwischen den Epochen. Teilweise verwebt er die Instrumentalstimmen in seinem Sextett sehr dicht miteinander, sodass man manchmal meint, ein Sinfonieorchester zu hören. Spätromantik hin oder her – im vierten und letzten Satz lässt sich Dohnányi dann doch noch vom Zeitgeist anstecken: Denn das Finale eröffnet er mit einer Art Ragtime für Klarinette und Klavier.franz ensemble
Das franz ensemble ist eine Kammermusikformation, die aus jungen, international renommierten SolistInnen und KammermusikerInnen besteht. Es vereint Streicher, Bläser und eine Pianistin. Diese Besetzung ermöglicht ein enormes Spektrum, das von feinsten Kammermusikfarben bis hin zu orchestralen Klängen reicht. Die MusikerInnen fanden sich erstmals 2017 zusammen. Aus der Begeisterung gemeinsamer Konzerte mit dem Oktett von Franz Schubert, Namenspatron des Ensembles, entstand der Wunsch, regelmäßig gemeinsam aufzutreten und sich als festes Ensemble zu formieren.Sat, 2 Dec 2023 - 31min - 670 - Chaos String Quartet spielt Fanny Hensels Streichquartett Es Dur
„Wie der Esel zwischen zwei Heubündeln“
Offenbar hat ihr Mann, der erfolgreiche Maler Wilhelm Hensel, ihr zugeraten. Dennoch möchte Fanny, wie so häufig, erst die Meinung ihres berühmten Bruders einholen. Fanny Hensel ist seit Langem mehr oder weniger abhängig von seinen Urteilen: „Was mein Herausgeben betrifft, so stehe ich dabei wie der Esel zwischen zwei Heubündeln. Ich selbst bin ziemlich neutral dabei, es ist mir aufrichtig gestanden einerlei, Hensel wünscht es, Du bist dagegen. In jeder andern Sache würde ich natürlich dem Wunsche meines Mannes unbedingt Folge leisten, allein hierbei ist es mir doch zu wichtig, Deine Beistimmung zu haben, ohne dieselbe möchte ich nichts der Art unternehmen.“„Felix, nimm Dich in Acht“
An anderer Stelle schreibt sie gar vom „dämonischen Einfluss“ im Goethe'schen Sinn, den ihr Bruder auf sie in dieser Hinsicht ausübe: „Ich glaube, wenn Du mir im Ernst vorschlügst, ein guter Mathematiker zu werden, so würde ich keine besond're Schwierigkeit dabei finden, eben so wie ich morgen keine Musik mehr würde machen können, wenn Du meintest, ich könne keine machen. Nimm Dich daher mit mir in Acht.“ Doch Felix, der jüngere Bruder, der der großen Schwester in Kindertagen noch jedes seiner Werke zur Begutachtung vorgelegt hat, nimmt sich nicht in Acht. Selbst als die Mutter ihn ein Jahr später bittet, Fanny zu ermutigen, ist seine Antwort kaum verhohlen brüske Zurückweisung: „Du schreibst mir über Fannys neue Stücke… Du lobst mir ihre neuen Compositionen, …Aber zureden etwas zu publiciren kann ich ihr nicht, weil es gegen meine Ansicht und Überzeugung ist…ich halte das Publiciren für etwas Ernsthaftes (es sollte das wenigstens sein)…Und zu einer Autorschaft hat Fanny wie ich sie kenne, weder Lust noch Beruf, dazu ist sie zu sehr eine Frau wie es recht ist, erzieht… und sorgt für ihr Haus…“Der Schritt aus dem Schatten
Erst zehn Jahre später traut Fanny Hensel sich, außerhalb von Sammlungen und Journalen, Werke in Berlin verlegen zu lassen, stellt ihren Bruder aber wohlweislich vor bereits vollendete Tatsachen. Felix braucht lange, um die Nachricht der musikalischen „Emanzipation“ seiner großen Schwester zu verdauen. Verlässt sie seinen langen Schatten? Dass er sich wochenlang nicht mehr meldet, kränkt und verunsichert sie. Und der ironische Unterton des Schreibens, das er sich schließlich abringt, spricht tatsächlich Bände: „Mögest Du Vergnügen und Freude daran haben… und mögest du nur Autorpläsiers und gar keine Autormisere kennenlernen… damit ich auch meinen Segen dazugegegen haben möge, wie hierdurch geschieht.“ Fanny dazu in ihrem Tagebuch: „Endlich hat mir Felix geschrieben und mir auf sehr liebenswürdige Weise seinen Handwerkssegen ertheilt; weiss ich auch, dass es ihm eigentlich im Herzen nicht recht ist, so freut mich doch, dass er endlich ein freundliches Wort mir darüber gegönnt!“ Von den fast 400 Werken Fanny Hensels wird zu ihren Lebzeiten jedoch nur ein verschwindend winziger Bruchteil gedruckt.Das Streichquartett
Die Mitglieder des Chaos String Quartet fanden sich entlang des reichen Konzepts von Chaos in Wissenschaft, Kunst und Philosophie zusammen und teilen den Wunsch, als risikofreudige, multinationale Stimme auf den Kammermusikbühnen der Welt präsent zu sein. Beim renommierten Bordeaux International String Quartet-Wettbewerb erhielt das Ensemble 2022 den 2. Preis und den Sonderpreis für die beste Interpretation von Terra Memoria von Kaija Saariaho. Zu weiteren Erfolgen zählen der 2. Preis und zahlreiche Sonderpreise beim Bartók World-Wettbewerb 2021 in Budapest sowie der Gewinn des Wettbewerbs für Streichquartett V.E. Rimbotti in Italien im selben Jahr. Beim 71. Internationalen Musikwettbewerb der ARD München 2022 erspielte sich das Chaos String Quartet den 3. Preis.Sat, 25 Nov 2023 - 22min - 669 - Johannes Brahms: Tragische Ouvertüre für Orchester d-Moll op. 81
Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz. Arvo Volmer (Leitung). Konzert vom 15.3.2018 im BASF-Feierabendhaus in Ludwigshafen. SWR2 Musikstück der Woche vom 30.3.2019.
Thu, 2 May 2019 - 13min - 667 - Seiji Okamoto, Jovan Pantelich und Kasia Wieczorek spielen Amy Beachs Klaviertrio op. 150
Wundermädchen statt Wunderbub
Das Orchestrieren von eigenen Orchesterstücken lernte Dreikäsehoch Amy Beach im Selbststudium, indem sie ein Buch las. Als allerdings ihre calvinistische Mutter die Hochbegabung der Tochter erkannte, verbot sie ihr Auftritte am Klavier bis zum 16. Lebensjahr, weil sich das für ein Mädchen nicht gehöre.Auch die Ehe bringt wenig Unterstützung
Dass Amy Beach trotzdem geniale Werke verfasst und aufgeführt hat, darf man wohl als widerständige Leistung bezeichnen. Denn auch nach einem durchaus sensationellen Bostoner Klavierdebut als junge Erwachsene legte die Mutter ihrer Amy Steine in den Weg. Nach der Hochzeit ihrer Tochter mit einem Chirurgen drängte Frau Mama auf einen Ehevertrag, der Amys musikalische Tätigkeiten einschränken sollte. Amy Beach wurde die Charity-Frau an der Seite ihres Gatten, die Salons organisierte und sich für Wohltätigkeitsorganisationen einsetzte. Nach dem Ehevertrag durfte sie nur 2 Konzerte jährlich geben, die Einkünfte wurden vollständig an Wohltätigkeits-Organisationen gespendet. Aber immerhin komponierte Amy Beach, Papier war geräuschlos genug für eine gute Ehefrau.Als Witwe frönt sie ihrer Leidenschaft
Nach dem Tod ihrer Mutter und ihres Mannes innerhalb eines Jahres begann Amy Beach eine erfolgreiche und leidenschaftlich verfolgte Laufbahn als Solistin. Und sie verbrachte, um sich wieder auf ihre Kunst konzentrieren, einige Zeit in einer Künstlerkolonie, die der Komponist Edward MacDowell gegründet hatte, auf einer Farm in Peterborough, New Hampshire, in abgeschiedener Natur. In den 1920er Jahren lebte Amy Beach in New York und gründete die „Association of American Women Composers“. Sie arbeitete derweil an der St. Bartholomew’s Church in der Park Avenue in Manhattan. Erst mit 73 Jahren setzte sie sich wegen eines Herzleidens zur Ruhe.Meisterliches Spätwerk
Unser SWR2 Musikstück der Woche, das Klaviertrio op. 150 ist das letzte große kammermusikalische Werk von Amy Beach. Sie schrieb es im Alter von 71 Jahren, 6 Jahre vor ihrem Tod. Es trägt impressionistische Züge, bleibt aber immer tonal. Es zitiert mit dem „Returning Hunter“ und „Song of a Padlimio“ gleich 2 Volkslieder der Inuit, die Amy Beach bereits in einem früheren Liederzyklus aufgegriffen hatte, um Einsamkeit und Siegeswillen zu thematisieren.Ein Geiger stellt sich vor – und bringt Freunde mit
Preisträger beim Bach-, Wieniawksi- und ARD-Wettbewerb, Stipendiat der Kronberg Academy: das sind allerbeste Eintrittskarten für die Solokarriere des jungen japanischen Geigers Seiji Okamoto. Gemeinsam mit der Pianistin Kasia Wieczorek und dem Cellisten Jovan Pantelich debütierte er Anfang des Jahres bei den Ettlinger Schlosskonzerten.Sat, 11 Nov 2023 - 14min - 666 - Jonathan Leibovitz, Lionel Martin und Kiveli Dörken spielen Nino Rotas Trio für Klarinette, Cello und Klavier
Ton an, Film ab!
Mit seinen Kompositionen machte Rota den Filmemachern ein Angebot, das sie nicht ablehnen konnten. Er schrieb jede Menge Soundtracks, darunter etwa die Filmmusik zu Francis Ford Coppolas „Der Pate“. Darüber hinaus sorgte er aber auch in zahlreichen anderen Filmen für die richtige Stimmung, zum Beispiel in „La dolce vita“ von Federico Fellini oder in „Der Leopard“ von Luchino Visconti. Doch Nino Rota komponierte nicht nur fürs Kino, sondern auch für den Konzertsaal.Das „musikalische Karnickel“
Geboren wurde Rota 1911 in Mailand. Er war ein Wunderkind und dirigierte schon mit 12 Jahren ein selbstkomponiertes Oratorium. Er studierte in Mailand und Rom, später auch in Philadelphia. Rota wollte „klassischer Komponist“ werden. Da gab es nur ein kleines Problem: Zwar wurden Rotas Filmmusiken gefeiert. Und er konnte die Wünsche der Regisseure quasi über Nacht in Musik setzen, was ihm den Spitznamen „Coniglio Musicale“ – also: „musikalisches Karnickel“ – einbrachte. Soweit also zu seinem Ruf innerhalb der Filmmusik. Bei Rotas Kompositionen für den Konzertsaal sah das anders aus. Das Publikum und die Kritik konnten mit diesen Werken nicht allzu viel anfangen. Sie waren nicht etwa zu komplex oder experimentell – im Gegenteil, das war gerade en vogue. Rotas Musik hingegen war zu traditionalistisch, zu tonal, zu melodiös, kurzum: zu wenig Avantgarde.Vom roten Teppich in den Gerichtssaal
Nino Rota blieb seinem Stil immer treu. Er machte keine Unterschiede zwischen E- und U-Musik, zwischen Kinosessel und Konzertabend. So auch in seinem Trio für Klarinette, Cello und Klavier. Das Werk entstand 1973 – ein äußerst aufregendes Jahr für Nino Rota: Zunächst wurde seine Filmmusik zu „Der Pate“ für einen Oscar nominiert, dann wurde sein Name aber wieder von der Liste gestrichen. Der Grund: Das bekannte Liebesthema aus Coppolas „Der Pate“ hat Nino Rota einfach geklaut. Fast schon mafiöse Zustände, könnte man meinen. Zu Nino Rotas Verteidigung muss man aber erwähnen, dass er sich an seinem eigenen Notenmaterial bedient hat. Er nahm sich einen Ausschnitt aus einer seiner früheren Filmmusiken vor und recycelte ihn. Als das bekannt wurde, musste er sich mehrfach vor Gericht mit Klagen und Plagiatsvorwürfen auseinandersetzen. Trotz alledem war die „Pate“-Melodie ein großer kommerzieller Erfolg.Auf die richtige Dosierung kommt es an
Bei all diesem Hin und Her rund um die Plagiatsvorwürfe komponierte Rota sein Trio für Klarinette, Cello und Klavier. Man merkt dem Stück an: Hier ist kein blutiger Anfänger am Werk, sondern ein Komponist, der genau weiß, was er tut, und einer, der sich mit der richtigen Dosierung der musikalischen Mittel auskennt. Die Balance wird immer gehalten. Jeder Effekt, jeder Stimmungsumschwung ist mit Maß und Eleganz gestaltet.SWR2 New Talent meets YCAT
Lionel Martin ist ein herausragender Cellist, da war sich die Jury einig. 2021 wurde er einstimmig zum SWR2 New Talent gewählt. Im Januar 2023 traf sich Lionel Martin mit zwei weiteren jungen Musiker:innen im Hans-Rosbaud-Studio Baden-Baden, um Nino Rotas Trio für Klarinette, Violoncello und Klavier aufzunehmen. Mit dabei waren der Klarinettist und Preisträger des Young Classical Artists Trust (YCAT) 2022 Jonathan Leibovitz sowie die Pianistin Kiveli Dörken. Seit 2015 veranstaltet sie gemeinsam mit ihrer Schwester Danae Dörken das Molyvos International Music Festival auf der griechischen Insel Lesbos. Making-ofSat, 4 Nov 2023 - 15min - 665 - Vocalensemble Rastatt singt Pauline Viardot-Garcias Choeur des Elfes
„Alle Majestäten und Hoheiten kommen zu ihr!“
Wenn Komponistin Pauline Viardot-Garcia in Baden-Baden ihre Salons veranstaltet, gibt sich die Prominenz die Klinke in die Hand. Clara Schumann, Johannes Brahms, Anton Rubinstein oder Theodor Storm sind schon da, und ganze Kolonnen von Wagen bringen wie jeden Sonntagmittag den Adel Richtung Tiergartental. Die preussische Königin Augusta bringt heute sogar eine kostbare Brosche als Präsent mit.Auch durch sie wird Baden-Baden zur Kulturmetropole
1863 zieht Viardot mit ihrem Mann und ihren vier Kindern nach Baden-Baden und sorgte damit für die Entwicklung der Kurstadt zu einer internationalen Kulturstadt. Ein Jahr zuvor, mit 42, hat sich die gefeierte Sängerin von der Bühne zurückgezogen. Jetzt veranstaltet sie Salons und unterrichtet. Früh um sieben spaziert sie noch Tonleiter singend über ihr riesiges Grundstück, um 8 kommen die ersten Elevinnen. Auch, um den Nachwuchs früh an die Bühne zu gewöhnen, hat Pauline Viardot-Garcia im Park eine „Tonhalle“ errichten lassen, die eingebaute Salonorgel ist geschmückt mit einem großen Medaillon – es zeigt Pauline als Heilige Cäcilia, als Schutzpatronin der Musik. Und wegen der exzellenten Kontakte der international bekannten Künstlerin gibt sich die Crème de la Crème der europäischen Kulturszene gern ein Stelldichein.Nachbar Turgenjew schreibt die Libretti
Pauline ist verheiratet, doch seit einem Auftritt in St. Petersburg ist der russische Dichter Iwan Turgenjew unsterblich in sie verliebt. Ihretwegen ist er extra nach Baden-Baden gezogen. Und er ist ständiger Gast. Auf Turgenjews Anregung hin eröffnet Pauline Viardot-Garcia später zusätzlich zur „Tonhalle“ noch ein kleines Theater im Park, das „Théâtre du Thiergarten“. Hier werden Salonoperetten aufgeführt, zu denen sie die Musik, Turgenjew die Texte liefert. Ehemann Louis Viardot darf den Souffleur geben, Turgenjew selbst scheibt die Kulissen und hilft in der Garderobe. Doch letztlich dreht sich alles um die ominpräsente Gastgeberin- Pauline ist Regisseurin, Dirigentin und korrepetierende Pianistin in Einem, sie rennt plötzlich zum Singen auf die Bühne, tröstet oder ermutigt ihre spielenden Schülerinnen und ist sich auch nicht zu schade, in Verschnaufpausen mit Nadel und Faden Feenkostüme zu reparieren."Der Elfenchor
Der „Choeur des Elfes“ entsteht zunächst 1867 für eine intime Aufführung mit geladenen Gästen in der Villa Turgenjew, die meisten Rollen werden in der Familie Viardot-Garcia auf die Kinder verteilt. Die anwesende Augusta von Sachsen-Weimar-Eisenach ist derart begeistert, dass sie Ehemann Wilhelm I. von Preussen überredet, sich die folgende Aufführung doch auch einmal anzusehen. 1869 wird Viardots „Théâtre du Thiergarten“ mit der Kammeroper Musik feierlich eröffnet. Bei der folgenden Sondervorstellung dirigiert niemand geringerer als Johannes Brahms. Vocalensemble Rastatt Das Vocalensemble Rastattzählt mit Dirigent Holger Speck zur internationalen Spitzenklasse. Es steht für Exzellenz, Lebendigkeit und Authentizität. Zwingende, stilgetreue und historisch informierte Interpretationen haben den exzellenten Ruf ebenso begründet wie leidenschaftliches und emotionales Musizieren. Von der herausragenden Qualität der Ensembles zeugen vor allem die Grammy-Nominierung im Rahmen der CD-Produktion von Mozarts „Le Nozze di Figaro“ bei der Deutschen Grammophon und zahlreiche Produktionen nicht zuletzt für den SWR.
Geflügelte Gefährtinnen
Geliebte Schwestern,
Sanft gewiegt
Zum Gesang der Grillen!
O lachende Schar!
In den Nächten der Liebe,
In fröhlichem Reigen
Lasst uns drehen und tanzen!"Quelle: Auszug aus Ivan Turgenjews Libretto zu „Compagnes ailées, mes sœurs“
Sat, 28 Oct 2023 - 06min - 664 - Belcea Quartet & Quatuor Ébène spielen George Enescus Streichoktett C-Dur op. 7
Es war einmal…
Geboren wird George Enescu 1881 in Liveni, einem kleinen Dörfchen im Norden von Rumänien. Heute ist das Dorf nach dem Komponisten selbst benannt. Acht Kinder bekommen Enescus Eltern; er ist das einzige, das überlebt. Schnell wird klar: Der Junge ist musikalisch. Und so bringen ihn seine Eltern ans Konservatorium in Wien. Er lernt Geige, Klavier und Komposition. Dann folgt ein Studium in Paris. Es ist die Zeit der „Grands Boulevards“. Bald werden die ersten Metrolinien unterirdisch von Quartier zu Quartier rattern und die Stadt wächst und pulsiert. Enescu macht international Karriere: Als Geiger und Dirigent tritt er weltweit 2.000-mal auf. Enescu ist immer irgendwo unterwegs – ein wahrer Kosmopolit. Dazu kommen noch diverse Liebesaffären. Und dann ist da noch diese eine Frau. Ihr Name ist Maria Cantacuzino. Sie stammt aus gutem – wenn nicht sogar sehr gutem – Haus: Ihr Vater, Prinz Grigore Cantacuzino, war Ministerpräsident des Königreichs Rumänien und galt zu seinen Lebzeiten als der reichste Mann Rumäniens. 1937 heiratet George Enescu schließlich seine große Liebe, Maria Cantacuzino.Ein unersättlicher Komponist
Eines ist auf jeden Fall klar: Enescus Leben ist intensiv und er saugt alles in sich auf. Das hört man auch seinen Kompositionen an, in denen all diese Eindrücke zusammenfließen: Mal hört man spätromantischen Überfluss, mal strengen Kontrapunkt und ein andermal bedient sich Enescu an der Farbpalette des Impressionismus. Im Jahr 1900 schreibt Enescu sein Streichoktett in C-Dur op. 7. Mit gerade einmal 19 Jahren schafft er damit eine Komposition mit mehr als 40 Minuten Spieldauer. Das Werk besteht aus vier Sätzen, die fast nahtlos ineinander übergehen, sodass eine einzige Monumentalform entsteht. Außerdem hält das Oktett eine unglaubliche Fülle an Farben bereit: Eröffnet wird das Werk mit dem Hauptthema, das von den sieben Oberstimmen im Unisono gespielt wird, darunter ist nur das Tremolo des zweiten Cellos zu hören. Nach diesem Entrée folgt eine wunderbare Bratschenmelodie. Und im Hintergrund murmeln die Begleitstimmen. Ein wenig später verwandelt Enescu diese Melodie in ein tänzelndes Geigenmotiv. An jeder Ecke stößt man auf Neues, auf unerwartete Wendungen und auf jede Menge unterschiedlicher Ideen, Varianten und Spielarten.Belcea Quartet & Quatuor Ébène
Vier plus Vier ergibt acht. Dass vier und vier aber auch eins sein kann – zumindest musikalisch – das haben das Belcea Quartet und das Quatuor Ébène bei den Schwetzinger SWR Festspielen 2022 bewiesen. Zwei herausragende Streichquartette, ein Klangkörper. Das Belcea Quartet gründete sich 1994. Damals taten sich am Londoner Royal College of Music vier Studenten zusammen: Corina Belcea, Krzysztof Chorzelski, Axel Schacher und Antoine Lederlin. Gegenwärtig gehört das Belcea Quartet zu den leuchtenden Sternen am Streichquartetthimmel. 1999 haben die Mitglieder des Quatuor Ébène begonnen, gemeinsam Musik zu machen – sowohl klassisches Streichquartett als auch Improvisationen, die sie in die Grenzgebiete von Filmmusik und Jazz führen. Zuerst probten sie nur zum eigenen Vergnügen in den Räumen der Universität. Dann wurde aus dem Spaß Ernst. Und als sie 2004 den ARD-Musikwettbewerb gewannen, begann der rasante Aufstieg des Quatuor Ébène, der in zahlreichen weiteren Preisen und Auszeichnungen mündete.Sat, 21 Oct 2023 - 39min - 663 - Dover Quartet spielt „Lyric string quartets - Musical portraits of three friends“ von William Grant Still
„Wer Geige spielt, muss nicht putzen“
Der Komponist William Grant Still hatte im ersten Weltkrieg als einfacher Matrose auf Kriegsschiffen der US-Armee gedient. Während andere niedere Dienstgrade zu schweißtreibenden Diensten abkommandiert wurden, konnte er auf seiner Violine für die Offiziere fiedeln.Autodidakt und musikalischer Pionier
William Grant Still war 1936 der erste schwarze Amerikaner, der ein amerikanisches Symphonieorchester dirigiert, das Los Angeles Philharmonic. Still stammte aus Woodville, Mississipi, im amerikanischen Süden, der sich zur Zeit seiner Geburt noch fest im Griff der zynisch sogenannten Rassentrennung befand. Für einen afroamerikanischen Jungen war es beinahe unmöglich, in der traditionell vom weißen Bürgertum dominierten Orchesterwelt Karriere zu machen. Zudem wuchs William Grant Still als Halbwaise auf. Sein Vater starb, als der Sohn ein paar Monate alt war. Seine Mutter zog mit dem Jungen nach Arkansas, und hier brachte ihn der neue Stiefvater mit klassischen Schallplatten in Berührung. William Grants Musikleidenschaft war grenzenlos, mit Beginn der Pubertät brachte er sich gleich mehrere Instrumente mehr oder minder im Selbststudium bei. Als er später dann über ein Stipendienprogramm Medizin studieren konnte, nutzte er die Zeit an der Universität gleich, um das Studierendenorchester zu dirigieren.Erfolg gegen Rassismus
Still spielte in Bands in Harlem und begann, eigene Stücke zu arrangieren und zu komponieren. 1935 feierte seine Afro-American Symphony Premiere, was sie zum ersten Werk eines Schwarzen Komponisten machte, das von einem führenden US-Orchester erfolgreich aufgeführt wurde. Seine Oper „Troubled Island“ war ein Publikumserfolg bei der Premiere, obwohl mehrere Kritiker sich offenkundig verabredet hatten, das Werk in der Presse in Grund und Boden zu schreiben. Trotz der ständigen Aufführung seines Stücks „Song of a City" bei der New Yorker Weltausstellung 1939 konnte er das Gelände oft nur unter Polizeischutz betreten, da er aufgrund seiner Hautfarbe Angriffen von Rassisten ausgesetzt war. Still bewies außergewöhnliche Widerstandsfähigkeit. Als er 1978 im Alter von 83 Jahren verstarb, hinterließ er ein umfangreiches Werk, das nahezu alle klassischen und modernen Genres umspannte.3 Bilder, 3 Temperamente
Die „Lyric string quartets – Musical portraits of three friends“ sind Musik aus den 1960er Jahren. Gerade erst war für ganz Amerika institutionalisierter Rassismus für verfassungswidrig erklärt worden. Still zeichnet in der intimen Form der Kammermusik hier in drei Sätzen drei Typen menschlicher Temperiertheit: zuletzt den Jovialen, davor den Ruhigen, und ganz am Anfang den Sentimentalen.Dover Quartet
Das nach Samuel Barbers Komposition Dover Beach benannte Quartett ist eine der bemerkenswertesten jungen Formationen unserer Tage. Die Musiker, die sich bereits mit 19 Jahren zusammenschlossen, gewannen 2010 den Fischoff Wettbewerb, wurden beim Internationalen Wettbewerb der Wigmore Hall in London ausgezeichnet und konnten 2013 den Internationalen Wettbewerb im kanadischen Banff für sich entscheiden. Alle Mitglieder des Quartetts sind ebenfalls gefragte Solisten und konzertierten bereits mit renommierten Orchestern wie dem Philadelphia Orchestra, Tokyo Philharmonic, Kansas City Symphony und BBC Concert Orchestra.Sat, 14 Oct 2023 - 14min - 662 - Das Freiburger Barockorchester spielt Vivaldis „Herbst“
Immer dieselbe Leier?
Böse Zungen sagen, Antonio Vivaldi habe nur ein einziges Konzert komponiert – das aber gleich 500-mal. Die böse Zunge gehört in diesem Fall dem Komponisten Igor Strawinsky. Und er hat recht – zumindest teilweise. Denn Vivaldis Concerti folgen in aller Regel einem ähnlichen Muster: Sie bestehen aus drei Teilen, in der Mitte gibt es einen langsamen Satz und die beiden äußeren Sätze haben eine ganz bestimmte Form: Sie folgen dem Ritornellprinzip. Dabei wechseln sich Orchester-Passagen und solistische Zwischenspiele ab – mal dürfen alle spielen, mal steht nur einer oder eine Handvoll Musiker im Rampenlicht. Doch auch wenn Vivaldi regelmäßig diese Schablone auflegt, bedeutet das nicht, dass es immer gleich klingt. Im Gegenteil! In der Detailansicht weichen die Konzerte teils stark voneinander ab. Außerdem hatte Vivaldi ein Händchen für Ohrwurm-taugliche Melodien. Seine Konzerte stecken voller Motive und er verstand es, den Solisten ins rechte Licht zu rücken. Das lässt sich hervorragend an den Violinkonzerten aus den „Vier Jahreszeiten“ zeigen.Der komponierende Geschichtenerzähler
Die „Vier Jahreszeiten“ von Vivaldi erschienen erstmals um 1725 in der Sammlung „Il cimento dell’armonia e dell’inventione“, zu Deutsch: Die Erprobung der Harmonie und der Erfindung. Vermutlich sind die Violinkonzerte aber schon früher entstanden. Der Komponist schreibt nämlich in der Widmungsvorrede, er habe den bereits bekannten Concerti nun erklärende Sonette vorangestellt, damit die musikalischen Besonderheiten besser verstanden werden können. Und eben diese Gedichte erzählen von den Ereignissen und Stimmungen, die Vivaldi in Musik gesetzt hat.Konzert im Planetarium: Das FBO im Freiburger Planetarium mit Vivaldis „Vier Jahreszeiten“
Torkelnde Violinen und Flintenknall
Das Violinkonzert op. 8 Nr. 3, besser bekannt als der „Herbst“, beginnt mit einem Bauernfest. Es wird getanzt, gestampft, gesungen, gegessen und natürlich auch getrunken. Die Violinen tanzen ebenfalls mit. Doch der ein oder andere hat wohl zu tief ins Glas geschaut. In diesem Fall war es die Solovioline. Die bahnt sich im ersten Satz ihren Weg durch die Menge, sie kommt ins Torkeln, kreiselt um Hindernisse und um sich selbst. Manchmal hört es sich sogar so an, als ob dem Zechkumpan beinahe der Bogen aus der Hand rutscht. Das Feiern fordert seine Tribute. Und so gehört der zweite Satz des Violinkonzerts ganz allein den „Ubriachi“, den Betrunkenen. Musikalisch passiert folgendes: Die Streicher und das Cembalo stapeln ihre Töne aufeinander, die Klänge beginnen zu flirren und den angetrunkenen Bauern fallen die Augen zu.„Jedermann ist des Tanzens und Singens müde,
Nach dem Nickerchen bricht im dritten Satz ein neuer Tag an. Pünktlich zum Morgengrauen schultern die Jäger ihre Gewehre. Auch musikalisch kündigt sich die Jagdgesellschaft an: Zwar lässt Vivaldi keine echten Jagdhörner erklingen, gleichwohl befinden wir uns in F-Dur – in der typischen Horntonart. Mit punktierten Rhythmen geht es über Stock und Stein. Natürlich bleibt die Jagdgesellschaft nicht unentdeckt. Die Tiere haben schon ihre Ohren gespitzt. Aufgescheucht vom Tumult, macht sich das Wild in Dreiklangstriolen davon. Doch die Jäger sind ihm dicht auf den Fersen. Die Jagdhunde rauschen durchs Orchester und die Flinten werden abgefeuert. Schließlich erlegen die Jäger das Tier und ziehen mit der stolzen Melodie vom Satzbeginn wieder davon. Ja dann: Waidmannsheil!
die milde, angenehme Luft
und die Jahreszeit laden jeden ein,
sich der süßen Lust des Schlafes hinzugeben.“Quelle: Sonett, dieses stellte Vivaldi dem Violinkonzert voran
Das Freiburger Barockorchester
Seit über 30 Jahren gibt es das Freiburger Barockorchester – eines der renommiertesten Ensembles für historisch informierte Aufführungspraxis. Zu seinem Kernrepertoire gehört die Musik des Barocks und der Klassik. Auf dem Programm stehen aber auch immer wieder Werke der Romantik. Künstlerische Leiter des FBO sind Gottfried von der Goltz (Violine) und Kristian Bezuidenhout (Cembalo/Hammerklavier).Sat, 7 Oct 2023 - 13min - 661 - François-Xavier Roth dirigiert das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg mit Bruckners Sinfonie Nr. 8
Anton Bruckner wird von Selbstzweifeln gequält
Drei Jahre hatte Anton Bruckner an seiner achten Sinfonie geschrieben, von 1884 bis 1887. „Halleluja!“, schrieb Bruckner an Hermann Levi, den Uraufführungsdirigenten von Wagners Parsifal. Levi war ein Mentor, ein Vorbild, ein Mann, den Bruckner selbst als „künstlerischen Vater“ betrachtete. Er sollte der Erste sein, der die Sinfonie lesen dürfe, meinte Bruckner, und schickte ihm gleich die dicke Partitur. Levi würde das Stück doch sicher dirigieren wollen?Levi ist entsetzt
Wollte er nicht. Ganz im Gegenteil, Levi war entsetzt von dem monumentalen Riesenwurf, traute sich aber nicht recht, Bruckner seine Kritik direkt mitzuteilen. Ein Schüler Bruckners musste die Hiobsbotschaft stellvertretend überbringen. Was folgte, war eine häufige Reaktion Bruckners: Unsicherheit, Verzweiflung, ein wortwörtliches Ringen mit der Fassung. Denn nach der an Levi verschickten ersten Fassung der achten Sinfonie machte Bruckner sich an eine zweite. Zwischendurch schrieb er an Levi, wie sehr er sich schäme für den ersten Versuch. Nun endete der Kopfsatz nicht mehr krachend laut, sondern im Pianissimo, also ausgesprochen leise, „nach unser aller Wunsch“, wie Bruckners Schüler sofort feststellen durfte.Wer wollte was?
Aber wessen Wünsche waren bei den zahlreichen Änderungen berücksichtigt worden? Bruckners ureigene künstlerische Visionen? Oder doch „Aller Wünsche“, also jene Vorstellungen von Hermann Levi und von Bruckners Schüler? Und inwieweit hatte der selbstzweifelnde Bruckner verschiedene Ideale einer gelungenen Sinfonie eigentlich miteinander in Einklang bringen können?Das Ringen um die Fassung
Diese Frage beschäftigt Ausführende, Herausgebende und Verlage bis heute, und so existieren auch von Bruckners Achter verschiedene Fassungen, die man im Konzertsaal hören kann. Eine erste Fassung von 1887, eine Intermediärvariante von 1888 und gleich mehrere Fassungen, in denen sich Herausgeber direkt auf die 1890er Zweitfassung berufen, beziehungsweise diese wieder näher an die ursprünglichen Ideen Bruckners von 1884 annähern. Brucknerspezialist Günther Wand berief sich in gleich mehreren stilprägenden Einspielungen auf die im Musikwissenschaftlichen Verlag Leipzig von Robert Haas herausgegebene sogenannte „Originalfassung (1884-1890)“, welche zwischen Erst- und Zweitschrift vermittelt. Jener Ausgabe bedienten sich auch Herbert von Karajan, Pierre Boulez, Herbert Blomstedt oder, wie hier, François-Xavier Roth im SWR2 Musikstück der Woche.Harfen – eigentlich nicht, oder?
Im Adagio der Achten Symphonie setzte Bruckner sowohl in der ersten als auch in der zweiten Fassung Harfen ein. Kurios, denn Bruckner fand normalerweise: „A Harf’n g’hert in ka Symphonie“. Dass er sie dennoch einsetzte, kommentierte der Meister lapidar mit „i’ hab’ ma nöt helf’n könna!“Das SWR Symphonieorchester und François-Xavier Roth – eine lange Geschichte
1946 wurde das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg gegründet. Fortan identifizierte es sich mit den Idealen seiner "Gründerväter", die der festen Überzeugung waren, dass die engagierte Förderung der neuen Musik ebenso wichtiger Bestandteil des Rundfunk-Kulturauftrags ist wie der Umgang mit der großen Tradition. In diesem Sinne haben die Chefdirigenten von Hans Rosbaud über Ernest Bour bis zu Michael Gielen gearbeitet und ein Orchester kultiviert, das für seine schnelle Auffassungsgabe beim Entziffern neuer Partituren ebenso gerühmt wurde wie für exemplarische Aufführungen und Einspielungen des traditionellen Repertoires eines großen Sinfonieorchesters. Rund 400 Kompositionen hat das Orchester uraufgeführt und damit Musikgeschichte geschrieben. Michael Gielen prägte das Orchester als Chefdirigent in den Jahren 1986-99, dann übernahm Sylvain Cambreling, 2011-2016 François-Xavier Roth. Im September 2016 wurde das Orchester mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR zusammengeschlossen zum SWR Symphonieorchester, das ab 2025 nach Teodor Currentzis erneut François-Xavier Roth als Chefdirigenten begrüßen können wird.Sat, 30 Sep 2023 - 1h 14min - 660 - Das franz ensemble spielt Louise Farrencs Klavierquintett Nr. 1 a-Moll op. 30
Die Tücken der Pariser Musikwelt
Mit hochgezogenen Augenbrauen und zweifelnden Blicken kannte sich Louise Farrenc vermutlich bestens aus. Sie musste sich nicht nur als Komponistin im 19. Jahrhundert in einer Männerdomäne behaupten, sie komponierte auch noch Kammermusik. Dabei stand das französische Musikleben zur damaligen Zeit ganz im Zeichen des Musiktheaters. Wer erfolgreich werden wollte, der musste den Weg über eine der Pariser Bühnen nehmen. Später schilderte der Komponist Camille Saint-Saëns die Situation folgendermaßen: Wer „die Kühnheit hatte, sich auf das Gebiet der Instrumentalmusik zu wagen, konnte seine Werke lediglich in einem selbst veranstalteten Konzert zur Aufführung bringen, zu dem er seine Freunde und die Presse einlud. An das Publikum, das eigentliche Publikum war nicht zu denken; der bloße Name eines französischen Komponisten auf einem Plakat noch dazu eines lebenden genügte, um alle Welt in die Flucht zu schlagen.“Auf dem Weg zur angesehenen Komponistin
Louise Farrenc bahnte sich ihren Pfad durch die Pariser Musikszene. Sie hatte Talent und noch dazu das Glück, dass sie die richtigen privaten Voraussetzungen mitbrachte: Als Jeanne-Louise Dumont wurde sie 1804 in eine Pariser Künstlerfamilie hineingeboren. Sie war ein Bohemienkind. In einer Künstlersiedlung auf dem Gelände der Sorbonne verbrachte sie ihre Kindheit. Schon früh wurde sie gefördert und erhielt Privatstunden bei Koryphäen wie etwa Anton Reicha oder Johann Nepomuk Hummel. Von diesen Bedingungen konnten die meisten ihrer Kolleginnen nur träumen. Später veröffentlichte sie an der Seite ihres Mannes ihre Werke und dirigierte ihre Sinfonien. Außerdem unterrichtete sie dreißig Jahre lang als volltitulierte Professorin für Klavier am Pariser Konservatorium. Jahrelang kämpfte sie dafür, dass sie das gleiche Gehalt wie ihre männlichen Kollegen erhielt – und sie setzte sich letztlich auch durch. Ende der 1830er Jahre entstand das Klavierquintett Nr. 1 in a-Moll op. 30. In einem kleinen Konzertsaal in der Rue Taitbout in Paris feierte das Werk im Frühjahr 1840 seine Premiere. Aristide Farrenc, Louise Farrencs Ehemann und Verleger, veranstaltete dort jeden Montagvormittag Kammermusik-Matineen. Bei einem dieser Konzerte erklang auch das Quintett in a-Moll und am Klavier saß Farrencs damals 14-jährige Tochter Victorine.Franz Ensemble
Das Franz Ensemble ist eine Kammermusikformation, die aus jungen, international renommierten SolistInnen und KammermusikerInnen besteht. Es vereint Streicher, Bläser und eine Pianistin. Diese Besetzung ermöglicht ein enormes Spektrum, das von feinsten Kammermusikfarben bis hin zu orchestralen Klängen reicht. Die MusikerInnen fanden sich erstmals 2017 zusammen. Aus der Begeisterung gemeinsamer Konzerte mit dem Oktett von Franz Schubert, Namenspatron des Ensembles, entstand der Wunsch, regelmäßig gemeinsam aufzutreten und sich als festes Ensemble zu formieren.Sat, 23 Sep 2023 - 29min - 659 - Franziska Finckh spielt Demachy – Suite in A-Dur
Monsieur de Machy hat echtes Sendungsbewusstsein
„Warum wurden bis heute keine Bücher mit Stücken für Viola da Gamba geschrieben?“ fragt er, offenbar nicht unter Mangel an Selbstbewusstsein leidend, gleich zu Anfang seines Textes. Auf den folgenden Seiten elaboriert er dann geistreich und nicht ohne Humor, dass auf seinem Spezialgebiet bislang einfach zu viel Verwirrung herrsche. Er habe den Überblick. Ein wenig führt die Zuspitzung dabei in die Irre: tatsächlich sind bereits vorher Stücksammlungen für das Instrument erschienen. Aber eben nicht solche. Und Polemik belebt das Geschäft, das weiß auch Demachy.Gambenspielende – es gibt Solche und Solche
Demachy ist ein bekennender Konservativer, und als solcher ist er durchaus der Meinung, dass die jungen Leute es sich oft zu einfach machten mit der Gambe. Zarte Melodien spielen, wie es gerade in Mode sei… das könne ja jeder. Aber damit wolle man zu wenig. Es sei Wesen der Viola da Gamba, Harmonie und Melodie auf einem Instrument verbinden zu können. Melodie sei nur eine Stimme eines viel größeren Ganzen, denn „Harmonien… sind die Seele der Musik“. Und genau hier sieht Demachy den Vorteil der alten Schule: „Wer viel kann, kann auch wenig!“ Der wahre Könner beherrsche das Leichte, weil er das Schwere bewältigt habe.Tabulatur oder Notenschrift?
Zu Demachys Zeiten gibt es bei der Niederschrift von Werken für die Viola da Gamba noch zwei miteinander konkurrierende Notationsmethoden. Die sogenannte „Tabulatur“ bildet optisch nicht abstrakte Notenhöhen ab, sondern zeigt stilisierte Griffbilder der Hand, welche jedem einzelnen Finger oft eindeutige Aufgaben zuweisen. Während die modernere Notenschrift es den Spielenden in komplizierten Harmonien oft überlässt, die technischen Lösungen der Fingerpositionen aus den Kombinationen der Tonhöhen abzuleiten, liefert die Tabulatur gleich die Bedienungsanleitung mit: ein Bild der Gambensaiten erlaubt die genaue Lokalisierung jedes einzelnen Fingers. Malen nach Zahlen, nur eben mit Harmonien. Für Demachys Zweck, Gambeninteressierten möglichst schnell möglichst vollklingende Kniffligkeiten beizubringen, ist die Tabulatur daher die zweckmäßigere Art der Notation, Zitat Demachy: „Der kürzeste Weg ist immer der beste“.Demachy macht Kompromisse
Trotzdem veröffentlicht Demachy nur vier seiner Suiten, die zuletzt abgedruckten, in Tabulaturschrift. Die ersten vier Suiten setzt er in der Notenschrift, die zu seinem Missvergnügen gerade dabei ist, zum europäischen Standard zu werden. Der konservative Monsieur de Machy beugt sich dem Zeitgeist, schließlich will er, dass sein Gambenbuch Verbreitung findet. Und die jungen Leute wollen nun einmal die modernen Noten. So kommt es, dass man in Demachys Erstdruck, den man heute leicht im Internet einsehen kann, die ersten vier Suiten notenkundig einfach lesen kann, während die letzten vier Suiten in einem optisch sehr seltsamen Code abgefasst sind. Gambentabulatur sieht für die meisten Menschen aus wie Geheimschrift, zumal neben den Griffbildern viele Symbole zu dechiffrieren sind, die zusätzliche Verzierungsnoten andeuten. Andererseits sind gerade Demachys Hinweise zu Verzierungen für die heutige Forschung ein echter Quellenschatz.„Sie können mich mal samstags besuchen“
Es bleibt kompliziert, und Demachy weiß das. So ist er auch Service-Dienstleister im zeitgenössischen Sinn des Wortes. Im Vorwort seiner Suiten lädt er Spieler seiner Musik und Interessierte ein, ihn doch mal zu besuchen, um sich über die Musik auszutauschen.Ich werde sie jeden Samstag zwischen drei und sechs Uhr bei mir empfangen. Dort werde ich ihnen die Ausführung aller Regeln zeigen, von denen ich gesprochen habe.
Quelle: Demachy
Franziska Finckh hat den spielerischen Zugang zu Demachys Musik erleichtert
Unsere „Musikstück der Woche“-Solistin Franziska Finckh hat eine Gambenklasse am Conservatoire de Musique sowie an der Académie Supérieure in Straßburg und ist Spezialistin für Demachys Musik. Sie hat die Ruhe der Corona-Zeit genutzt: Während des Lockdowns hat sie die Suiten transkribiert, die bisher nur in Tabulatur vorlagen und 2020 im Hans-Rosbaud-Studio Baden-Baden für den SWR eingespielt. Sie ist damit Erstherausgeberin aller Demachy-Suiten in einheitlicher Notation, zudem die erste Künstlerin, die alle Suiten auf Tonträger eingespielt hat. Franziska Finckh studierte Viola da Gamba bei Pere Ros an der Staatlichen Hochschule für Musik in Karlsruhe und legte das Diplom mit Auszeichnung ab. In Basel setzte sie ihre Ausbildung bei Paolo Pandolfo (Viola da Gamba) sowie Christophe Coin (Barockcello) fort und erwarb 2000 das Solistendiplom der Schola Cantorum Basiliensis. Franziska Finckh gewann mehrere Wettbewerbe, u. a. 1999 den Förderpreis beim Kulturkreis des BDI sowie 2003 das Stipendium für Musik der Kunststiftung Baden-Württemberg. 2021 erhielt sie das Stipendium „Neustart Kultur“. Als Gambistin und Cellistin spielt sie in zahlreichen Ensembles, u. a. im Violenconsort Les Escapades.Sat, 16 Sep 2023 - 12min - 658 - Das Ensemble Reflektor spielt Emilie Mayers Sinfonie Nr. 2 e-Moll
Dem Chauvinismus trotzen
Die Komponistin Emilie Mayer wurde von ihren Zeitgenossen als „der weibliche Beethoven“ bezeichnet. Aus heutiger Sicht klingt das ein wenig nach: „Für eine Frau gar nicht so übel“. Womöglich waren die Herren schlichtweg überrascht, dass sich eine Frau im 19. Jahrhundert an die großen Formen, wie etwa Sinfonien, herantraute – schließlich war das eine Männerdomäne. „Das Weib gebiert Menschen, der Mann das Kunstwerk.“ Diese Meinung vertrat nicht nur der Philosoph und Physiker Johann Wilhelm Ritter. Das Schaffen ‚wahrer‘ Kunst war im 19. Jahrhundert den Männern vorbehalten – zumindest waren sie selbst dieser Ansicht. Frauen, die Salonmusik komponierten, ließ man sich gerade noch gefallen. Aber Emilie Mayer wollte mehr. Sie wollte groß besetzte Orchesterwerke schreiben. Und sie tat es auch.Hauptberuf: Komponistin
In Emilie Mayers Werkliste finden sich unter anderem acht Sinfonien, ein Klavierkonzert und fünfzehn Ouvertüren. Anders als viele ihrer Kolleginnen – wie etwa Clara Schumann – verstand sie sich in erster Linie als Komponistin und nicht als nebenbei komponierende Interpretin. Und so legte sie im 19. Jahrhundert eine außergewöhnliche Karriere hin: Ihre Kompositionen wurden in verschiedenen europäischen Städten, wie etwa Berlin, Leipzig, Wien, Brüssel oder Lyon, aufgeführt. Das war für eine Komponistin zur damaligen Zeit alles andere als selbstverständlich und das bekam Emilie Mayer auch zu spüren: Für die Aufführung ihrer Kompositionen musste sie zeitlebens kämpfen. Als sie 1883 in Berlin starb, geriet ihr Schaffen schnell in Vergessenheit.Auf eigenen kompositorischen Pfaden
Emilie Mayers zweite Sinfonie entstand vermutlich zwischen 1842 und 1847. Zu dieser Zeit studierte die Komponistin bei Carl Loewe – dem sogenannten „König der Balladen“ – in Stettin. In ihrer zweiten Sinfonie sucht Emilie Mayer nach eigenen kompositorischen Wegen. Das zeigt sich schon zu Beginn des Werks. Die langsame Einleitung des ersten Satzes ist mit insgesamt 40 Takten ungewöhnlich lang. Erst danach geht es so richtig los. Doch zunächst tastet sich die Musik allmählich an das Geschehen heran, ein paar Hinweise werden gestreut, vor allem aber wird die Neugier geweckt und Spannung aufgebaut. Spannungsaufbau – darin ist Emilie Mayer eine Meisterin und das belegt auch ihre zweite Sinfonie.Ensemble Reflektor
Das Ensemble Reflektor ist ein Kammerorchester, das die Musiklandschaft seit 2015 mit innovativen Konzertprogrammen bereichert. Dabei stehen Musikvermittlung und Partizipation im Fokus. Das Ensemble Reflektor tritt somit als Botschafter einer Musikkultur ohne Grenzen ein – egal, ob in Konzerthäusern, Clubs, Industriehallen oder Schulen. Seit 2021 steht Holly Hyun Choe als „Erste Dirigentin“ am vordersten Pult des Kammerorchesters. Eines ihrer großen Anliegen ist die Förderung und Sichtbarmachung von Komponistinnen.Sat, 8 Apr 2023 - 30min - 655 - Sontraud Speidel spielt Fanny Hensels „Suleika und Hatem“
Lieder von Mendelssohn? Dahinter muss doch der geniale Felix stecken!
Im Jahr 1827 wird Felix Mendelssohn Bartholdy 18 Jahre alt. Man weiß seit vielen Jahren um sein phänomenales Talent, es wird daher niemanden wundern, dass er just in diesem Jahr eine Sammlung von 12 Liedern veröffentlicht unter dem schlichten Titel 12 Gesänge op. 8. Herrliche Musik, so ist er halt, der Felix. Der Stern der Familie Mendelssohn. Die Schlussnummer des Zyklus op. 8 ist eine einfache Melodie auf ein einfaches Liebesgedicht von Goethe, „Suleika und Hatem“. Der poetische Hintergrund: Goethe hat sich als 65-Jähriger einmal mehr heftig verliebt, und schmachtet unter dem exotischen Decknamen Hatem eine 35-jährige Suleika an, die in Wirklichkeit Marianne von Willemer heißt.„Möge Wasser springend, wallend
Diese wunderschönen Worte richtet am Ende der schwer verliebte Hatem an seine Angebetete, also eigentlich Goethe an die verheiratete Marianne. Und aus dem Hause Mendelssohn stammt die schöne Melodie der Vertonung, so viel ist sicher.
Die Zypressen dir gestehn:
Von Suleika zu Suleika
Ist mein Kommen und mein Gehn.“Quelle: Johann Wolfgang von Goethe - West-östlicher Divan, 1819
Mendelssohn ist nicht gleich Mendelssohn
Gleich mehrere der Lieder aus op. 8 stammen nun aber nicht von Felix Mendelssohn Bartholdy, sondern von seiner Schwester Fanny, später verheiratete Fanny Hensel. So auch die Nummer 12, „Suleika und Hatem“. Obwohl Fanny Hensels Musik zu ihren Lebzeiten weitgehend nicht gedruckt und öffentlich aufgeführt wird, ist sie auf Grund ihrer Verbreitung durch Briefe, Stammbücher und Widmungsexemplare im Rahmen privater Öffentlichkeit bekannt. Auch von Fanny Hensels Beitrag zu den ersten Liedsammlungen ihres Bruders Felix, in denen mehrere ihrer Lieder erscheinen, wissen viele ihrer Zeitgenossen.Eine Ersteinspielung
Das SWR2 Musikstück der Woche ist insofern eine Ersteinspielung, als es vom gesungenen „Suleika und Hatem“, natürlich einige Aufnahmen gibt, aber die Übertragung für Klavier solo, die textlose Fassung des musikalischen Materials, erst nach Fanny Hensels Tod veröffentlicht wurde. Sie ist in der neuen Einspielung von Sontraud Speidel erstmals in dieser Form zu hören.Sontraud Speidel
Sontraud Speidel ist Pianistin und Pädagogin sowie Professorin für Klavier und Mitglied des Hochschulrates der Hochschule für Musik Karlsruhe. Sie gehört zu den namhaften Pianistinnen und Pädagoginnen der Gegenwart, hat über 40 Tonträger aufgenommen und wurde 2005 mit dem Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.Sat, 2 Sep 2023 - 03min - 654 - Pietari Inkinen dirigiert Antonín Dvořáks Serenade für Streicher E-Dur op. 22
Auf dem Boden geblieben
In der Musikgeschichte lassen sich einige aufregende Biografien entdecken. Da gibt es zum Beispiel den umtriebigen Mozart. Igor Strawinsky, dessen Ballett "Le Sacre du Printemps" einen Skandal auslöste oder die Komponistin Ethel Smyth, die Anfang des 20. Jahrhunderts für das Frauenwahlrecht auf die Straße ging. Für Musikwissenschaftlerinnen und Musikwissenschaftler sind solche Lebensläufe wahre Fundgruben für Anekdoten und allerlei Spekulationen. Daneben gibt es Antonín Dvořák. Seine Vita liest sich etwas unspektakulärer. Vielleicht war das auch der Grund, weshalb er für die Musikforschung lange Zeit nicht so attraktiv war. Dvořák war eben kein Wunderkind, Draufgänger oder Krawallbruder. Neben der Musik gehörte seine Leidenschaft der Familie, der Natur, den Lokomotiven, Dampfschiffen und seiner Taubenzucht.Sonnige Aussichten
Dvořák wächst als ganz gewöhnlicher Junge in Böhmen auf. Die Eltern erkennen sein musikalisches Talent und fördern ihn, so gut es geht. Nach seiner musikalischen Ausbildung hält sich Dvořák zunächst als Musiker einer Tanzkapelle über Wasser, etwas später wird er Solo-Bratscher im Theaterorchester. Er heiratet und erhält eine Anstellung an einer privaten Prager Musikschule. 1874 wird er zum Organisten an der Kirche St. Adalbert berufen. Um das Konto ein wenig aufzubessern, bewirbt sich Dvořák im selben Jahr für ein staatliches Künstlerstipendium des Wiener Unterrichtsministeriums. Über die Stipendiumsverteilung entscheidet eine Jury und in dieser sitzt unter anderem Eduard Hanslick, einer der einflussreichsten und zugleich gefürchtetsten Musikkritiker des 19. Jahrhunderts. Während sich zahlreiche Komponisten, wie etwa Wagner oder Tschaikowsky, vor Hanslicks spitzer Feder in Acht nehmen müssen, wird der Kritiker bei Dvořák ganz zahm. „In Dvořáks Musik scheint immer die Sonne“, schrieb Hanslick einmal. Kein Wunder also, dass Dvořák nicht nur einmal den Zuschlag bekommt. Fünf Jahre hintereinander erhält er das Künstlerstipendium. Und in einer seiner Bewerbungsmappen steckt die Serenade für Streichorchester in E-Dur op. 22.Eine runde Sache
In nur zwölf Tagen soll Dvořák das Werk geschrieben haben. Es steckt voller musikalischer Ideen. Da gibt es zum Beispiel den heiteren bis melancholischen ersten Satz oder den wehmütigen Walzer an zweiter Stelle. Es folgen noch ein munteres Scherzo und ein Larghetto. Die musikalische Wetterlage? Heiter bis locker bewölkt. Wobei der wehmütige Nebelschleier nie von Dauer ist. Dahinter schimmert immer die Sonne durch – ganz so wie Hanslick es formuliert hat. Im Finale lässt Dvořák die vier vorausgegangenen Sätze noch einmal Revue passieren. Ganz am Ende erklingt wieder das Thema des Kopfsatzes und der Kreis schließt sich – eine runde Sache.Pietari Inkinen und die Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern
Die Konzertsäle und Sendestudios in Saarbrücken und Kaiserslautern sind die zentralen Orchesterstandorte der Deutschen Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern (DRP). Als Rundfunk-Sinfonieorchester der ARD wird die DRP gemeinsam getragen vom Saarländischen Rundfunk (SR) und vom Südwestrundfunk (SWR). Seit 2017 steht Pietari Inkinen am Dirigentenpult des Orchesters. Daneben ist Inkinen auch Chefdirigent des Japan Philharmonic Orchestra in Tokio sowie Musikdirektor des KBS Symphony Orchestra in Seoul.Sat, 26 Aug 2023 - 31min - 653 - Mathias Johansen und Yukie Takai spielen Maria Bachs Cellosonate
Eine glückliche Kindheit in Schlössern und Burgen
Das Schloss Leesdorf in Baden bei Wien liegt zwischen Schwechat und dem Badener Mühlbach. Von einer dicken Mauer umgeben führt der Zugang durch ein schmiedeeisernes Tor über eine Steinbrücke zum zweigeschossigen Turm. Von da aus geht es dann noch einmal durch ein wunderschönes barockes Portal in den Innenhof, in dem die kleine Maria Bach als Kind gespielt hat, wenn sie nicht gerade im Musikzimmer Klavier übte. Maria Bach ist privilegiert aufgewachsen. Man könnte sogar auf den Gedanken kommen, das Schloss sei der Stammsitz der Familie gewesen, der „von Bachs“, aber damit läge man falsch. Zwischen 1850 und 1907 ist das Anwesen sage und schreibe siebenmal verkauft und renoviert worden, jedes Mal mit ein wenig Gewinn. Es war also weniger eine Heimat als ein Spekulationsobjekt für reiche Eliten. Auch die Familie von Bach wohnte nur gut 10 Jahre darin.Musik und Kulturgeschichte waren allgegenwärtig
Beide Eltern waren Instrumentalisten, Musikunterricht gab es quasi mit der Muttermilch. Als als die Eltern das Schloss Leesdorf verkauften, ging es gleich weiter zum nächsten höchst repräsentativen Wohnsitz: Schloss Braiten. Maria war 10 Jahre alt. Dort, im Schloss Braiten, habe sogar Ludwig van Beethoven einige Monate gewohnt und seine Klaviersonate op. 101 komponiert, hat Maria Bach selber später nicht ohne Stolz notiert. Sie schrieb die Erinnerungen als Kollegin, denn sie war zu ihren Lebzeiten eine durchaus erfolgreiche Musikerin im Wiener Kulturleben. Und eine folgenreiche: Maria Bach war Mitglied im Club der Wiener Musikerinnen, einem bis heute tätigen Verein, der sich für Sichtbarkeit von Komponistinnen einsetzt. Von 1924 stammt Maria Bachs Cellosonate, sie war 28 Jahre alt. Das Werk strotzt in den Ecksätzen vor Leidenschaft und hat einen wunderschön gesanglichen langsamen Satz.Zwei Kammermusiker*innen der Meisterklasse
Mathias Johansen war Hochbegabten-Stipendiat der Villa Musica Rheinland-Pfalz und ist ein weltweit gefragter Kammermusiker. Seit dem Wintersemester 2016/2017 kann er sich zu den jüngsten Professoren seiner Generation zählen, denn das Vorarlberger Landeskonservatorium Feldkirch (Österreich) berief ihn in diesem Jahr zum Celloprofessor. Meisterkurse in Nagoya (Japan) und in Stuttgart ergänzen seine Lehrtätigkeit. Er ist der Gründer der „Feldkircher Streichertage“. Yukie Takai begann mit 6 Jahren Klavier zu spielen. Sie studierte in Tokyo, Freiburg und Stuttgart.
Im Jahr 2000 gewann sie den 2. Preis beim „International Japan Kammermusikwettbewerb“, 2005 den 1. Preis beim „International Kuhlau Wettbewerb“. Sie ist eine gefragte Solistin, Kammermusikerin und gibt weltweit Konzerte. Sie ist Dozentin an der Musikhochschule Stuttgart und Lehrbeauftragte an der Musikhochschule Freiburg.Sat, 19 Aug 2023 - 20min - 652 - Mitglieder des SWR Symphonieorchesters spielen Maurice Ravels „Introduction et Allegro“
Eine ausgeklügelte Marketingstrategie
1905 wurde Maurice Ravel von Freunden auf einen Bootsurlaub eingeladen. Bevor er sich aber mit der schnittigen Luxusjacht davonmachen konnte, musste er noch ein paar Noten zu Papier bringen. Die Pariser Instrumentenbau-Firma Erard hatte ein Werk bei ihm in Auftrag gegeben, um ihre neueste Harfen-Errungenschaft zu bewerben. Die Harfe war damals ziemlich in Mode – vor allem in Frankreich. Allerdings tüftelten die Instrumentenmacher noch immer an der perfekten Harfe. Mit der sollten alle Halbtonschritte möglichst problemlos abgedeckt werden können. Aus dem Hause Erard kam eine sogenannte Doppelpedalharfe, bei der die Saiten durch Fußpedale verschieden gestimmt werden können. Damit konnte man ganz entspannt zwischen den Tonarten hin- und herwechseln. Die Firma Erard war mit ihrer Entwicklung aber nicht allein. Es tobte ein Konkurrenzkampf. Das Unternehmen Pleyel hatte ebenfalls eine neue Harfe auf den Markt gebracht. Um das neue Instrument zu bewerben, gab die Firma extra eine Komposition bei Claude Debussy in Auftrag – kein schlechter Einfall, fand auch das Konkurrenzunternehmen Erard. Das kopierte einfach die Marketingstrategie und beauftragte Maurice Ravel mit einem Werk. Und damit wären wir wieder bei unserem Ausgangspunkt: Die Sache mit den lästigen Aufgaben vor Urlaubsbeginn.Erst die Arbeit, dann das Vergnügen
Als lästig empfand Ravel den Kompositionsauftrag tatsächlich – schließlich saß er mehr oder weniger schon auf gepackten Koffern: In einem Brief an einen Freund erklärt er, dass eine Woche Arbeit und drei schlaflose Nächte genügen müssten, um das Stück zu beenden – sei es zum Guten oder Schlechten. Es ist offenbar zum Guten geschehen. Heraus kam die Komposition „Introduction et Allegro“ für Harfe, Flöte, Klarinette und Streichquartett – ein wahres Meisterwerk der Instrumentation. Doch die beschauliche Besetzung täuscht. Gekonnt spielt Ravel mit den Klangfarben: Mal entsteht ein filigranes Gewebe, ein anderes Mal scheint sich das Septett zu einem ausgewachsenen Orchester auszudehnen. Auf einmal ist man umhüllt von Musik. Überall sind Töne. Es findet sich kein freier Platz mehr im Takt. Und dazwischen heißt es natürlich immer wieder: Bühne frei für die Harfe – für die wurde das Stück schließlich auch geschrieben.Sat, 12 Aug 2023 - 11min - 650 - Belcea Quartet & Quatuor Ébène spielen Mendelssohns Oktett Es-Dur op. 20
Immer wieder sonntags…
Die Leipziger Straße Nr. 3 ist wahrscheinlich den meisten Berlinerinnen und Berlinern ein Begriff. Denn hier sitzt, tagt und beschließt der Deutsche Bundesrat. Im 19. Jahrhundert befand sich auf diesem Grundstück das Anwesen der Familie Mendelssohn – ein schmuckes Palais mit einer großen Parkanlage. Hier lebte der Teenager Felix Mendelssohn Bartholdy. Und genau dort – in der Leipziger Straße Nr. 3 – traf sich auch das ‚Who is who‘ der bürgerlich-intellektuellen Riege Berlins: Alexander von Humboldt richtete sich im Garten ein Observatorium ein. Philosophen und Literaten wie etwa Hegel, Schleiermacher und E.T.A. Hoffmann gaben sich die Klinke in die Hand. Außerdem traf man sich alle zwei Wochen im Hause Mendelssohn zwischen 14 und 16 Uhr zu den sogenannten „Sonntagsmusiken“ – eine Konzertreihe, die zur damaligen Zeit in Berlin legendär war. Bei einer dieser „Sonntagsmusiken“ erklang vermutlich auch das Streichoktett in Es-Dur op. 20 von Felix Mendelssohn Bartholdy.„Mein Felix fährt fort und ist fleißig“
Das Werk entstand im Oktober 1825. Zu diesem Zeitpunkt war Mendelssohn gerade einmal 16 Jahre alt. Sein Lehrer, Carl Friedrich Zelter, war äußerst zufrieden mit seinem Schüler. An Goethe schreibt er: „Mein Felix fährt fort und ist fleißig. Er hat soeben wieder ein Oktett für acht obligate Instrumente vollendet das Hand und Fuß hat.“ Hand und Fuß hat das Oktett allemal! Es scheint vor Melodien fast überzuquellen.An einigen Stellen klingt es so, als würde ein ganzes Orchester spielen – kein Wunder: Mendelssohn verdoppelt hier das klassische Streichquartett zu einem Oktett. Das heißt, es stehen ihm vier Geigen, zwei Bratschen und zwei Celli zur Verfügung. Mehr Instrumente bedeuten auch: mehr Kombinationen sind möglich. Damit lassen sich Lautstärke und Klangfarben viel feiner justieren.Abrakadabra, Simsalabim!
Inspirieren ließ sich Felix Mendelssohn Bartholdy von Goethes „Faust“ – besser gesagt von einer ganz bestimmten Szene, nämlich dem Walpurgisnachtstraum. In diesem kleinen Intermezzo feiern alle möglichen und unmöglichen Gestalten die goldene Hochzeit der beiden Elfenhoheiten, Oberon und Titania. Die liegen sich sonst gerne in den Haaren und ziehen dabei alle drum herum mit hinein in ihren Ehestreit. Aber in Goethes Walpurgisnachtstraum wird gefeiert. Da darf natürlich auch Musik nicht fehlen. Und das Festtagsorchester besteht aus ganz besonderen Musikanten: Mit dabei sind Fliegenschnauz und Mückennas, der Frosch im Laub und die Grill‘ im Gras. Am Ende dieser kleinen Szene spricht die Kreuch-und-Fleuch-Kapelle im Pianissimo: „Wolkenzug und Nebelflor
Erhellen sich von oben.
Luft im Laub und Wind im Rohr,
Und alles ist zerstoben.“ Diese Verse standen Pate für den dritten Satz des Oktetts. Fanny, Mendelssohns Schwester, beschrieb das quirlige Scherzo folgendermaßen: „Man fühlt sich so nahe der Geisterwelt, so leicht in die Lüfte gehoben, ja man möchte selbst einen Besenstiel zur Hand nehmen, der luftigen Schaar besser zu folgen. Am Schlusse flattert die erste Geige federleicht auf – und Alles ist zerstoben.“ – Na, dann mal rauf auf die Besen!Belcea Quartet
Das Belcea Quartet gründete sich 1994. Damals taten sich am Londoner Royal College of Music vier Studenten aus drei Nationalitäten zusammen: Die erste Geigerin Corina Belcea stammt aus Rumänien, der Bratschist Krzysztof Chorzelski aus Polen, Axel Schacher und Antoine Lederlin sind gebürtige Franzosen. Wichtige Impulse bekam das Quartett von den Mitgliedern des Alban Berg und des Amadeus Quartetts. Gegenwärtig gehört das Belcea Quartet zu den leuchtenden Sternen am Streichquartetthimmel.Quatuor Ébène
1999 haben die vier begonnen, gemeinsam Musik zu machen – klassisches Streichquartett und Improvisationen, die sie in die Grenzgebiete von Filmmusik und Jazz führen. Zuerst probten sie nur zum eigenen Vergnügen in den Räumen der Universität. Dann wurde aus dem Spaß Ernst: Die vier haben zusammen studiert, beim Quatuor Ysaÿe in Paris, bei Gábor Takács, Eberhard Feltz und György Kurtág. Und als sie 2004 den ARD Musikwettbewerb gewannen, begann der rasante Aufstieg des Quatuor Ébène, der in zahlreichen weiteren Preisen und Auszeichnungen mündete.Sat, 29 Jul 2023 - 33min - 649 - Das Dover Quartet spielt Haydns Streichquartett Es-Dur op. 33 Nr. 2 „The Joke“
Jungfernmusik?
Haydns Quartette aus den späten 1770er- und Anfang der 1780er-Jahre firmieren unter vielen Namen. „Russische Quartette“ heißen sie, weil sie dem russischen Großfürsten gewidmet sind, „Jungfernquartette“ nannte die Nachwelt die Werkreihe leider auch, weil Haydns Verleger meinte, auf die Titelseite der Erstausgabe eine völlig unpassend leichtbekleidete Frau drucken zu müssen, um den Absatz zu steigern. Dabei ist speziell das Es-Dur Streichquartett, das zweite Quartett aus Opus 33, auch ohne zweifelhafte Marketingaktionen ein Publikumsrenner, und das rein musikalisch.Wann darf ich klatschen?
Haydn lässt das Publikum nämlich mit einem vorgezogenen Schluss ins Leere klatschen oder vielmehr: ließ, damals, im Jahr der Uraufführung, 1781. Heute gibt es doch schon einige Streichquartettfans, die den Witz kennen und nicht zu früh klatschen. Dennoch sorgt das Werk zuverlässig für Lacher im Publikum, denn Haydn steuert die vier Streicher zuverlässig auf einen virtuosen Schluss zu, macht eine Pause… und lässt dann einfach immer wieder einzelne Bruchstücke von Phrasen fallen, die jedes Mal den Impuls zum jubelnden Applaus im Keim ersticken. Der eigentliche Schluss ist dann schließlich so unspektakulär lakonisch, dass es auch schon wieder an eine Frechheit grenzt. Beste Unterhaltung!Das Cuarteto mit dem dritten der „Russischen Quartette“
Junge Formation: Dover Quartet
Das nach Samuel Barbers Komposition „Dover Beach“ benannte Dover Quartet ist eine der bemerkenswertesten jungen Formationen unserer Tage. Die Musiker, die sich bereits mit 19 Jahren zusammenschlossen, gewannen 2010 den Fischoff Wettbewerb, wurden beim Internationalen Wettbewerb der Wigmore Hall in London ausgezeichnet und konnten 2013 den Internationalen Wettbewerb im kanadischen Banff für sich entscheiden. Alle Mitglieder des Quartetts sind ebenfalls gefragte Solisten und konzertierten bereits mit renommierten Orchestern wie dem Philadelphia Orchestra, Tokyo Philharmonic, Kansas City Symphony und BBC Concert Orchestra.Sat, 22 Jul 2023 - 17min - 648 - Das Freiburger Barockorchester spielt Vivaldis „Sommer“
Zwei Seiten einer Medaille
In unseren Breitengraden ist der Sommer so etwas wie der Sonnyboy unter den Jahreszeiten. Die Sonne scheint und bringt unsere Glückshormone ordentlich in Schwung, das Eis schmeckt jetzt besonders gut, auf dem Grill brutzeln die Würstchen und man selbst brutzelt auf der Sonnenliege vor sich hin. Es gibt wahrlich Schlimmeres! Der Sommer kann aber auch anders – und der menschengemachte Klimawandel verstärkt die Probleme: Dürre und ausgetrocknete Flüsse auf der einen, extreme Unwetter und Regenfälle auf der anderen Seite. Vorbei sind die Zeiten, als regenscheue Menschen das gute Wetter bedenkenlos begrüßen und Politikerinnen und Politiker das Thema bis zum nächsten Regen aussitzen konnten.Von wegen Eis am Stiel
Vom Klimawandel wusste Antonio Vivaldi noch nichts. Und trotzdem klingt der Sommer aus seinen „Vier Jahreszeiten“ nicht nach Eis am Stiel. Stattdessen bringt Vivaldi zu Beginn seines Violinkonzerts in g-Moll die drückende Hitze zum Klingen: Das ist alles andere als übersprudelnde Lebensfreude. Das ist Musik gewordene Trägheit vom Feinsten. Ja keine unnötigen Bewegungen machen und immer wieder Pausen einlegen. Diese Stimmung wird aber nicht nur musikalisch wiedergegeben. Vivaldi stellt dem Violinkonzert auch ein Sonett voran, das die Szenerie beschreibt. Und es beginnt folgendermaßen:„In der harten Jahreszeit, bei gleißender Sonne
Während sich Mensch und Musik nur schwerfällig voranschleppen, sorgen die Vögel für ein bisschen mehr Betriebsamkeit. Dafür schlüpft die Solovioline in unterschiedliche Federkleider. Zuerst tritt sie als Kuckuck auf. Ein wenig später gurrt die Turteltaube vom Baum herab. Und zu guter Letzt steigt der Stieglitz ins Gezwitscher ein.
schmachten Menschen und Herde, und die Pinie verbrennt.“Das erste der vier „Jahreszeiten“-Konzerte von Vivaldi
Die Ruhe vor dem Sturm
So schön dieses Vogelkonzert auch ist, irgendetwas liegt hier in der Luft. Und tatsächlich: Es braut sich etwas zusammen.„Der Zephir weht sanft, aber plötzlich
Bevor das Unwetter aber so richtig loslegt, gibt es eine kleine Verschnaufpause für den Hirten. Ihm fallen im zweiten Satz die Augen zu. Doch Ruhe kann er trotzdem nicht so recht finden. Immer wieder weckt ihn das ferne Donnergrollen aus seinem Schlaf. Und dann, im dritten Satz des Violinkonzerts, ändert sich schließlich die musikalische Wetterlage: Ein ausgewachsenes Sommergewitter bricht los, mit allem Drum und Dran: mit Blitzen, die aus den bedrohlich grollenden Tremolo-Passagen herausbrechen, und mit Sturmböen, die über die Saiten der Instrumente jagen. So mitreißend kann ein musikalisches Donnerwetter sein!
beginnt der Nordwind einen Streit mit seinem Nachbarn;
und der Hirte weint aus Furcht
vor dem aufziehenden heftigen Gewitter und um sein Schicksal.“Das Freiburger Barockorchester
Seit über 30 Jahren gibt es das Freiburger Barockorchester, Es gilt als eines der renommiertesten Ensembles für historisch informierte Aufführungspraxis. Zu seinem Kernrepertoire gehört die Musik des Barocks und der Klassik. Auf dem Programm stehen aber auch immer wieder Werke der Romantik. Künstlerische Leiter des FBO sind Gottfried von der Goltz (Violine) und Kristian Bezuidenhout (Cembalo/Hammerklavier). In seinem neuesten Studioprojekt hat das FBO Vivaldis „Die vier Jahreszeiten“ auch visuell reizvoll umgesetzt. Das Freiburger Planetarium lieferte die passende Kulisse dafür. ARD Mediathek: Vivaldi unter Sternen - Die vier Jahreszeiten im Freiburger PlanetariumSat, 15 Jul 2023 - 10min - 647 - Forceville, Kloeckner und Laloum spielen Clara Schumanns Klaviertrio op. 17
Schicksalhafter Aufenthalt auf Norderney
Clara Schumanns Klaviertrio op. 17 entsteht im Sommer 1846. Zwei Jahre zuvor ist die Familie von Leipzig nach Dresden gezogen, wo Robert Schumann nach einem körperlichen und geistigen Zusammenbruch langsam wieder zu Kräften kommt. Mit der größer werdenden Familie wachsen auch die Geldprobleme. Bei einem Aufenthalt auf Norderney schreibt sich die Pianistin selbstbewusst als „Kammermusikvirtuosin seiner Majestät des Königs von Österreich“ ins Gästebuch des Hotels. Wer weiß, vielleicht ergibt sich ja so eine Gelegenheit, hier aufzutreten und Geld zu verdienen. Doch sie erleidet eine Fehlgeburt im vierten Schwangerschaftsmonat. Im rauen Seeklima und der Einsamkeit der Insel gelingt ihr dennoch – mit vermutlich übermenschlicher Kraftanstrengung und Disziplin – ein musikalisches Wunder: ein Klaviertrio.„So ernst und tüchtig“
Wie immer bemüht sich Clara Schumann, bei ihrer Arbeit ihren eifersüchtigen Ehemann nicht zu stören. Obwohl das Trio bei seiner Uraufführung auf geteiltes Echo stößt, wird es schon von ihren Zeitgenossen als bedeutendes Werk erkannt. Der Stargeiger Joseph Joachim tut sich zunächst schwer damit, zu glauben, „eine Frau könne so etwas komponieren, so ernst und tüchtig“. Er gesteht Clara Schumann erst später, dass er ihr Werk lange Zeit unterschätzt hat. Heute wird das Klaviertrio op. 17 als ein Höhepunkt der kammermusikalischen Literatur des 19. Jahrhunderts betrachtet und gehört zum Standardrepertoire vieler bedeutender Ensembles.Sat, 8 Jul 2023 - 28min - 646 - Santiago Cañón-Valencia und das Cuarteto Casals spielen Franz Schuberts Streichquintett C-Dur D 956
Familiäre Jam-Sessions zu Beginn des 19. Jahrhunderts
Die Familie Schubert sitzt gemütlich beisammen, jeder mit einem Instrument ausgestattet: Geige, Bratsche oder Cello. Und mittendrin beugt sich Franz Schubert Junior über sein Notenblatt. Gespielt wird nicht im Konzertsaal, sondern bei Schuberts in der guten Stube, Säulengasse 3 in Wien. Heute befindet sich dort eine Autowerkstatt: die „Schubertgarage“. Wo heutzutage geschraubt, lackiert und ausgebeult wird, wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts kräftig in die Saiten gegriffen. „Hausmusik“ lautet das Stichwort – das heißt, Musik, die im Familien- oder Freundeskreis gespielt wird. Solche familiären „Jam Sessions“ waren im 19. Jahrhundert ein beliebter bürgerlicher Zeitvertreib. Auch bei Familie Schubert gehörte Hausmusik ganz selbstverständlich dazu. Schöner Nebeneffekt: Auf diese Weise lernte Franz Schubert viele Kammermusikwerke kennen, die ihm für seine eigenen Kompositionen als Vorbild dienten.Streichquintette mit neuer Rezepturund Besetzung
Unter Franz Schuberts heimischen Notenstapel befanden sich auch Mozarts Streichquintette. Er kannte sie also, vor allem die erste Bratschenstimme; die lag nämlich auf seinem Notenpult. Als er sich aber einige Jahre später an seinem eigenen Streichquintett in C-Dur zu schaffen macht, schert er sich nicht um Mozarts Herangehensweise. Zumindest, was die Besetzung anbelangt: Aus vier mach fünf. Das heißt bei Franz Schubert: Man nehme ein Streichquartett und statte es mit einem zweiten Cello aus. Schaut man sich aber Schuberts Vorbilder in Sachen Streichquartett an, dann fällt auf: Diese Rezeptur ist gar nicht so üblich, denn Mozart und seine Mitstreiter erweitern das Streichquartett nicht um ein zweites Cello, sondern um eine zweite Bratsche. Diese Standardbesetzung war Schubert schon aus Kindheits- und Jugendtagen bekannt, denn im familiären Hausmusik-Ensemble lagen eben solche Kompositionen auf dem Notenpult.Ein zweites Cello sorgt für Tiefgang und neue Duettmöglichkeiten
Bei seinem eigenen Streichquintett entscheidet sich Franz Schubert aber für eine andere Besetzungsvariante: Ein zweites Cello sollte also her und damit sorgte Schubert für ordentlich Tiefgang und unglaublich schöne Cello-Duette. Entstanden ist das Streichquintett in C-Dur 1828. Zu diesem Zeitpunkt war Franz Schubert 31 Jahre alt, aber seine Tage waren schon gezählt: Er litt an Syphilis und verstarb noch im selben Jahr. Bis das Streichquintett in C-Dur allerdings veröffentlicht wurde, dauerte es noch eine Weile. Erst 20 Jahre nach Schuberts Tod erschien das Werk im Druck und auf der Konzertbühne.Spaniens erstes Profi-Quartett: Cuarteto Casals
Als sich das Ensemble 1997 gründete, war es das erste spanische Profi-Quartett. Heute gehört das Cuarteto Casals zu den „Big Five“ der internationalen Quartettszene und tritt offiziell als Kulturbotschafter seiner katalanischen Heimat auf. Der Name der Formation ist eine Hommage an den spanischen Cellisten Pablo Casals.Kolumbianischer Cellist mit Weltkarriere: Santiago Cañón-Valencia
Santiago Cañón-Valencia, 1995 in Bogota geboren, gilt als einer der vielversprechendsten Cellisten seiner Generation. Er studierte in Kolumbien, Neuseeland, in den USA und an der Kronberg Academy for Young Soloists. Sein Cellospiel führte ihn um die ganze Welt mit Orchestern wie den Brüsseler und den Sankt Petersburger Philharmonikern, dem Radio-Sinfonieorchester Frankfurt und dem Münchener Kammerorchester.Sat, 1 Jul 2023 - 53min - 645 - Christina Landshamer singt Lili Boulangers „Pie Jesu“
Eine hochbegabte Familie
Marie-Juliette Olga Boulanger wird am 18. August 1893 in Paris geboren. Ihr Rufname wird „Lili“. Lilis Vater Ernest ist Dirigent, Komponist, Sänger und Professor am Konservatorium. Ihre Mutter Raïssa ist ebenfalls Sängerin und auch ihre 6 Jahre ältere Schwester Nadia hat sich ganz der Musik verschrieben. Weil Lili sich von einer Lungenentzündung in ihrer Kindheit nie wieder ganz erholt, wird ihr regelmäßiger Schulbesuch unmöglich. Sie stellt sich selbst einen autodidaktischen Lehrplan zusammen.Durchbruch als Teenager, frauenfeindliche Schmähungen der Presse
1913 wird Lili Boulanger mit 19 Jahren die erste Frau, die den wohl renommiertesten aller Kompositionspreise gewinnt, den Prix de Rome. Der selbstgewisse, männlich geprägte Musikjournalismus erleidet eine empfindliche Schlappe. Ein Kritiker schreibt sinngemäß, man gehe als Mann von nun an besser gar nicht mehr zu Wettbewerben, denn teilnehmende Frauen machten jede Konkurrenz zur unmännlichen Farce. Die Presse fragt misogyn, ob „echte Männer“ wirklich mit „Porzellanpüppchen“ kämpfen sollten, und gibt gleich die rhetorische Antwort: Wettkampf mit Frauen sei lächerlich. Ein anderer Schreiber bemerkt allerdings schon damals das Offensichtliche: Er erklärt hellsichtig, dass die Frauenfeindlichkeit der Jury so offen zu Tage trete, dass letztlich das Werk der jungen Boulanger plausiblerweise nur genial sein könne, haushoch überlegen, denn sonst hätte man ihren verdienten Sieg jedenfalls verhindert.Boulangers „Pie Jesu“ wird ihr eigenes Requiem
Mit dem Preis kommt der Ruhm für Lili Boulanger. Dann beginnt der Erste Weltkrieg, sie wird den Frieden nicht mehr erleben. Sie hat sich schon mit Anfang 20 mit Masern angesteckt, die Spätfolgen der Lungenentzündung zeitigen weitere Zusammenbrüche eines ohnehin geschwächten Systems, sie stirbt mit Mitte 20, im März 1918. Noch auf dem Totenbett schreibt sie das weltentrückte, schwebend zerbrechliche „Pie Jesu“ für Gesang, Streichquartett, Orgel und Harfe. Es wird ihr eigenes Requiem.Christina Landshamer und Olivier Latry mit dem SWR-Radio-Sinfonieorchester Stuttgart
Christina Landshamer ist Professorin für Gesang an der Musikhochschule Trossingen. Mit ihrer Vielseitigkeit in unterschiedlichstem Repertoire ist sie eine weltweit gefragte Konzert-, Opern- und Liedsängerin. Olivier Latrygehört zu den stilprägendsten Organisten der Welt. Er wurde 1985, damals 23 Jahre alt, zum Titularorganisten von Notre-Dame in Paris ernannt und ist Organist Emeritus des Orchestre National de Montréal. Das SWR Symphonieorchester hat sein künstlerisches Zuhause in der Liederhalle Stuttgart und im Konzerthaus Freiburg. Im September 2016 aus der Zusammenführung des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR und des SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg hervorgegangen, zählen Interpretationsansätze aus der historisch informierten Aufführungspraxis, das klassisch-romantische Kernrepertoire sowie Musik der Gegenwart gleichermaßen zu seinem künstlerischen Profil. 2013 entstand die Aufnahme von Lili Boulangers „Pie Jesu“ unter dem damaligen Chefdirigenten Stéphane Denève in der Stiftskirche Stuttgart.Sat, 24 Jun 2023 - 05min - 643 - Domkantorei St. Martin und Philharmonisches Staatsorchester Mainz mit Mendelssohns „Lauda Sion“ op. 73
Ein „Blutwunder“ gab den Ausschlag
Wegen der Herkunft Julianas wurde das Fest zunächst ab 1247 in Lüttich in der Basilika St. Martin gefeiert. 1264 erhob der amtierende Papst Urban IV. durch die Bulle Transiturus de hoc mundo die Feierlichkeiten zur Pflicht der Gesamtkirche. Ein sogenanntes Blutwunder in Prag hatte kurz vorher rote blutähnliche Flecken auf einer gebrochenen Hostie erscheinen lassen und schien damit die leibliche Anwesenheit Christi in der Kommunion energisch zu bestätigen. Thomas von Aquin wurde beauftragt, Texte zur Messgestaltung zu verfassen, darunter auch die sogenannte Sequenz, einen Gesang, der aufs Halleluja folgt.Die Uraufführung war in großen Teilen schrecklich missraten
1864, zum 600. Jubiläum des ersten offiziellen Fronleichnamsfestes, hat Felix Mendelssohn-Bartholdy die Verse atemberaubend schön vertont. Die Uraufführung in St. Martin in Lüttich muss aber entsetzlich gewesen sein: das Orchester furchtbar, die Kirche überakustisch, Solisten und Chor gar grauenhaft. Mendelssohn selbst hatte nicht dirigiert, sondern saß im Publikum. Er bemerkte später: Selbst wenn er die Aufführung geleitet hätte, wäre hier nichts zu retten gewesen. Irgendwann soll aber schließlich ein Sonnenstrahl von außen so malerisch während der Musik durch ein Kirchenfenster gefallen sein, dass der Weihrauch angefangen habe, zu leuchten … und da soll selbst der todunglückliche Mendelssohn gelächelt haben.Domkantorei St. Martin: über 100 Singende in Mainz
Die Domkantorei St. Martin am Hohen Dom zu Mainz wurde 1987 vom damaligen Domkapellmeister Professor Mathias Breitschaft gegründet. In ihren Reihen singen über 100 Sängerinnen und Sänger, die zum Teil als Jugendliche schon im Mainzer Domchor oder im Mädchenchor am Dom und St. Quintin ausgebildet wurden. Die Domkantorei singt im Wechsel mit dem Knabenchor und dem Mädchenchor regelmäßig am Mainzer Dom in der Liturgie der Gottesdienste.Sat, 10 Jun 2023 - 31min - 642 - Stefan Dohr und Lauma Skride spielen Beethovens Hornsonate F-Dur op. 17
Auf und davon
1768 ließ Graf von Thun und Hohenstein Steckbriefe verteilen. Ihm waren ein paar Musiker abhanden gekommen, sie hatten unerlaubt den Dienst bei ihm quittiert. Unter den Ausreißern befand sich auch Johann Wenzel Stich, einer der besten Hornisten seiner Zeit. Jetzt war er aber erst einmal auf der Flucht und wurde von Graf von Thun per Steckbrief gesucht. Darin wurde jeder aufgefordert, die Flüchtigen aufzugreifen oder, wenn man ihrer nicht habhaft werden könne, wenigstens ihrem Anführer die vorderen Zähne einzuschlagen. Es verwundert nicht, dass Stich nach dieser Ansage erst einmal einen großen Bogen um die Gebiete der Habsburger Monarchie machte. Immerhin behielt er seine Schneidezähne. Allerdings musste sich das Wiener Publikum noch ein wenig gedulden, bis es den Hornisten hören durften.Neuanfang unter neuem Namen
Nach seiner Flucht gab sich Johann Wenzel Stich erst einmal einen Künstlernamen: Er trat nun als Giovanni Punto auf. Das klingt nicht nur gut, es war auch eine ausgezeichnete Tarnung – man denke nur an den Grafen von Thun. Außerdem lag Punto damit ganz und gar im Trend: Unter Künstlern war es zu dieser Zeit gängige Praxis, sich einen italienischen Namen zu geben oder den Namen ins Italienische zu übersetzen. Aus Johann Wenzel Stich wurde Giovanni Punto. Als solcher trat er an verschiedenen Höfen in Europa auf und wurde zu einer Berühmtheit. Sogar Mozart, der bei der Beurteilung von Musikern nicht gerade zimperlich war, gab zu: „Punto bläst magnifique“.Endlich in Wien
Am 18. April 1800 war es dann endlich so weit: Nachdem die Habsburger Monarchie lange Zeit vermintes Gebiet für Punto war, gab er sein Konzertdebüt in Wien. Mit ihm auf der Bühne saß Ludwig van Beethoven, der ihn am Klavier begleitete. Außerdem komponierte Beethoven zu dieser Gelegenheit extra ein neues Stück: die Sonate für Horn und Klavier in F-Dur op. 17, ein maßgeschneidertes Werk für den Hornvirtuosen. Die Uraufführung war ein voller Erfolg. Es gab tosenden Applaus und das Stück wurde gleich noch einmal gespielt. Dabei hatte sich Beethoven erst zwei Tage vor dem Konzert überhaupt ans Komponieren gemacht. Doch der Erfolg gab ihm recht: Heute gehört die Sonate zum Standartrepertoire für Waldhorn!Stefan Dohr
„Das Horn klingt besser als meine Bratsche!“ – Das dachte sich Stefan Dohr, als er staunend ein Konzert des berühmten Hornisten Hermann Baumann verfolgte. Und so legte er die Viola erst einmal zur Seite, um Horn zu lernen. Eine gute Entscheidung: Seit 1993 ist Stefan Dohr Solohornist bei den Berliner Philharmonikern. Neben der Orchestertätigkeit ist Dohr aber auch in der Kammermusik zuhause.Lauma Skride
Lauma Skride ist eine der gefragtesten Pianistinnen, insbesondere wenn es um das deutsche klassische und romantische Repertoire geht. In ihrem Kalender stehen zahlreiche Kammermusikkonzerte und Gastspiele bei namhaften internationalen Orchestern. Zusammen mit ihrer Schwester Baiba Skride sowie Harriet Krijgh und Lise Berthaud ist sie Mitbegründerin des Skride Quartet.Fri, 2 Jun 2023 - 16min - 641 - Vokalensemble The Present singt Chiara Margarita Cozzolanis „Dixit Dominus”
Nach dem Tod des Vaters ins Kloster
Margarita Cozzolani wurde im November 1602 in eine ausgesprochen reiche Familie Mailands geboren. Noch während ihrer Kindheit verstarb ihr Vater. Sie verzichtete jedoch, damals für junge Frauen üblich, zugunsten ihrer Brüder auf jegliche Erbansprüche. Stattdessen handelte ihr Onkel für sie und ihre Schwester die nötige Mitgift zum Eintritt ins Kloster St. Radegonda aus. Das Kloster war weit in ganz Norditalien bekannt für die prachtvolle Musik innerhalb seiner Mauern. Die Benediktinerinnen galten damals als die besten Sängerinnen Italiens und traten vor höchsten Gästen des Mailänder Senats auf. Chiara Margarita wurde dabei als Äbtissin die weibliche Hauptfigur eines innerkirchlichen Streits um Konkurrenz, Eifersucht und männliches Dominanzstreben.Klangpracht vor Gericht
Dem Mailänder Erzbischof war die musikalische Pracht des Frauenklosters ein Dorn im Auge. Der konservative Hardliner wollte die mehrstimmige Musik aus dem Gottesdienst verbannen. Äbtissin Chiara Margarita musste sich sogar mehrfach vor Gericht verteidigen, weil sie die bischöflichen Verbote in ihrem Konvent übertreten hatte. Ihre Kompositionen sind in drei Sammlungen überliefert, die zwischen 1642 und 1650 gedruckt wurden. Das SWR2 Musikstück der Woche ist Cozzolanis Vertonung des Psalms, der mit den Worten des betenden Königs David anhebt: „Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich hinlegen werde deine Feinde als Schemel deiner Füße.“Vokalensemble The Present: Alte trifft Neue Musik
Das Konzept des solistischen Vokalensembles The Present aus Berlin ist es, Alte und Neue Musik miteinander zu verschränken, um sowohl die eine als auch die andere neu hörbar zu machen und unerwartete Verbindungen zum Klingen zu bringen. Das Ensemble gründete sich anlässlich der Schwetzinger SWR Festspiele 2017 für eine Uraufführung. Begleitet wurden die Sopranistinnen Hanna Herfurtner und Olivia Stahn, die Altistinnen Bernadette Beckermann und Amélie Saadia, die Tenöre Benjamin Glaubitz und Tim Karweick und die Bässe Florian Götz und Felix Schwandtke am 17. Mai 2022 in Schwetzingen von der Gambistin Juliane Laake, dem Lautenisten Lee Santana und der Organistin und Cembalistin Mira Lange.Sat, 27 May 2023 - 11min - 640 - Pietari Inkinen dirigiert Sergej Rachmaninows Sinfonische Tänze
Ein musikalischer Rückblick
1940 komponiert Sergej Rachmaninow seine „Sinfonischen Tänze“, seine letzte vollendete Komposition. Dieses Werk wird auch gerne als tönende Bilanz seines Lebens beschrieben. Das liegt zum einen an den Titeln, mit denen die Sätze ursprünglich überschrieben waren: „Mittag“, „Abenddämmerung“ und „Nacht“. Die Tageszeiten lassen sich ohne weiteres als Lebensphasen verstehen, aber auch in der Partitur geht die biografische Spurensuche weiter. Rachmaninow spickt das Werk mit verschiedenen musikalischen Zitaten: Am Ende des ersten Satzes greift er beispielsweise auf einen kurzen Abschnitt seiner ersten Sinfonie zurück.Ein traumatisches Erlebnis aus dem Jahr 1897
Deren Uraufführung fand 1897 statt und sie war ein Fiasko: Der Dirigent, Alexander Glasunow, war betrunken und auch das Premierenorchester lief nicht gerade zur Höchstform auf. Was für die Presse ein gefundenes Fressen war, war für Rachmaninow ein äußerst traumatisches Ereignis. Er selbst bezeichnete die Uraufführung der ersten Sinfonie als „schrecklichste Stunde“ seines Lebens. Und in seinem Testament verfügte er, dass die Komposition auch nach seinem Tod unter Verschluss bleiben sollte. So verwundert es nicht, dass Rachmaninow auch 40 Jahre nach der Uraufführung noch immer an dieser Niederlage zu knabbern hatte.Ein ungewöhnlicher Gast im Sinfonieorchester
In Rachmaninows „Sinfonischen Tänzen“ gibt es aber noch mehr zu entdecken. Ein, zumindest für klassische Orchesterliteratur, seltener Gast ist darin zu hören: Das Altsaxofon. 1840 wurde es von Adolphe Sax erfunden. Als Rachmaninow einhundert Jahre später seine „Sinfonischen Tänze“ schrieb, war es folglich keine wirkliche Neuerung mehr. Doch im Sinfonieorchester trifft man das Saxofon bis heute nicht allzu oft an. Ein Jammer, denn Rachmaninow zeigt, wie es sich gekonnt in Szene setzen lässt.Pietari Inkinen, Chefdirigent der Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern
Die Konzertsäle und Sendestudios in Saarbrücken und Kaiserslautern sind die zentralen Orchesterstandorte der Deutschen Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern (DRP). Seit 2017 steht Pietari Inkinen am Dirigentenpult des Orchesters. Daneben ist Inkinen auch Chefdirigent des Japan Philharmonic Orchestra in Tokio sowie Musikdirektor des KBS Symphony Orchestra in Seoul.Sat, 20 May 2023 - 39min - 639 - Alina Ibragimova und Cédric Tiberghien spielen Clara Schumanns 3 Romanzen
Eine Stadt, viele Wohnungen
Vier mal sind die Schumanns in Düsseldorf allein in den Jahren von 1851 bis 1854 umgezogen. In der ersten Wohnung, am Rande der Altstadt, störte sie der schreckliche Straßenlärm, in der zweiten Wohnung flogen die Schumanns raus, weil das Haus verkauft wurde. In der dritten Wohnung in der Herzogstraße klagte man über entsetzliche Nachbarn und von der vierten Wohnung aus in der Bilker Straße spazierte Robert am Rosenmontag 1854 los, um sich in den Rhein zu stürzen. Kurz zuvor hatte Clara Schumann aber endlich ein eigenes Arbeitszimmer bekommen, in dem sie üben und komponieren konnte.Aus dem Hinterzimmer an den Königshof
Die Romanzen für Violine und Klavier hat Clara Schumann in eben jenem privaten Hinterzimmer des Hauses in der Bilker Straße in Düsseldorf komponiert, das ihr endlich wieder zu arbeiten erlaubte. Räumlich von Roberts Arbeitsbereich getrennt, wollte sie ihren Mann auf keinen Fall stören. Er sollte möglichst wenig von ihrer Erwerbstätigkeit bemerken. Robert war ehrgeizig, aber Clara war Spitzenverdienerin. Klavierspielend gehörte sie immerhin zu den virtuosesten Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts. Sie hatte schon als Kind in ganz Europa konzertiert. Und man darf davon ausgehen, dass Robert, der ältere Ehemann und definitiv weniger konzerterfahrene Klaviervirtuose, eifersüchtig war. Es kann nicht immer einfach gewesen sein im Hause Schumann. Berühmt wurden die Stücke auch am Hannoveraner Hof. Der König war von Clara Schumanns Romanzen "entzückt" und erklärte, indem er sie gleich zu neuen Kompositionen animierte, er könne es "kaum erwarten", wieder in den Genuss eines solchen "wunderbaren, himmlischen Genusses" zu kommen.„Eine irrsinnige Kraft des Ausdrucks“
„Alina Ibragimova und Cédric Tiberghien: Eine irrsinnige Kraft des Ausdrucks“, urteilte 2020 Musikkritiker Udo Badelt im Berliner Tagesspiegel. „Aufeinander hören, das müssen alle Musiker. Doch wie sie miteinander konzertieren, geht weiter über das Übliche hinaus.“ 2021 traten Ibragimova und Tiberghien für SWR2 bei den Ettlinger Schlosskonzerten gemeinsam auf. Dabei spielten sie auch das SWR2 Musikstück der Woche ein.Sat, 13 May 2023 - 11min - 638 - Das Apollon Musagète Quartett spielt Griegs Streichquartett g-Moll op. 27
Inmitten von Fjorden, Bergen und Schreibblockaden
Wir schreiben das Jahr 1877. Der Komponist Edvard Grieg packt seine Koffer. Er hat vorerst genug von dem geschäftigen Treiben der Stadt. Grieg verlässt also Christiania, das heutige Oslo, und geht nach Hardanger – eine Region mit malerischen Fjorden, an deren Ufern sich die Berge in die Höhe strecken, dazu gesellen sich dramatische Wasserfälle und Gletscher. Kurzum: Es ist die ideale Umgebung für einen ausgewachsenen Kreativitätsschub! Grieg hat auch schon einen Plan: Er möchte die Volksmusik seiner Heimat mit der Form des Streichquartetts verknüpfen. Das Ideengerüst steht also bereits, nur mit der Ausführung tut sich Grieg zu Beginn ein wenig schwer. Zur Schaffenskrise kommt dann auch noch eine Ehekrise. Es könnte durchaus besser laufen für den Komponisten.Mehr als nur ein paar Tropfen Herzblut
Schließlich bringt Edvard Grieg seine Idee dann aber doch noch zu Papier. 1878 wird sein Streichquartett in g-Moll in Köln uraufgeführt. Und der Komponist ist recht zufrieden mit dem Ergebnis. Etwas später schreibt er: „Mir gefällt das Gefühl, dass in diesem Werk Herzblut steckt, wovon die Zukunft hoffentlich mehr als nur Tropfen sehen wird.“ Geprägt wird das Streichquartett vor allem von einem Motiv, das gleich zu Beginn erklingt. Im Verlauf des Streichquartetts taucht dieses Thema immer wieder auf. Es bildet gewissermaßen das Motto, das die einzelnen Sätze miteinander verbindet. Dabei zitiert sich Grieg selbst, denn das Thema stammt aus seinem 1876 komponierten Spielmannslied („Spillemænd“) nach einem Gedicht von Henrik Ibsen. Darin geht es um eine verlorene Liebe und die Macht der Kunst. So viel zum Thema Herzblut.Apollon Musagète Quartett
Das polnische Streichquartett, das als Namenspatron den griechischen Gott und Führer der Musen Apoll wählte, gründete sich 2006 in Wien. Der erste Preis und eine Reihe von Sonderpreisen beim ARD-Musikwettbewerb 2008 machten das Apollon Musagète Quartett schnell international bekannt. Es folgten 2010 die Nominierung als ECHO Rising Star, 2012 als BBC New Generation Artist und 2014 die Auszeichnung mit dem Borletti-Buitoni Trust Award. Konzerte führten das Quartett seither um die ganze Welt.Sat, 6 May 2023 - 36min - 637 - Olivier Latry spielt Francis Poulencs Orgelkonzert g-Moll
Ein Förderin mit Glamourfaktor und Privatorgel
Winaretta Singer war eines der jüngeren unter den zwanzig Kindern des Nähmaschinenmagnaten Isaac Merritt Singer. Sie war die steinreiche Erbin des genialen Erfinders, der nach einer ärmlichen Jugend als Tagelöhner sein Vermögen mit der Gründung der Nähmaschinenfabrik I.M. Singer & Company begründet hatte. Nach dem Tod ihres Vaters und ausgestattet mit einem riesigen Erbanteil, wurde Winaretta zur Prinzessin Polignac. Sie heiratete Prinz Edmond de Polignac, der den Deckmantel einer Ehefrau brauchte, seiner strafbaren Homosexualität wegen. Winaretta ihrerseits war lesbisch, die beiden führten aber eine ausgesprochen harmonische Beziehung und gründeten den einflussreichen Pariser Salon de Polignac zur Förderung der Künste. Als Musikmäzenin vergab Winaretta Prinzessin Polignac viele Auftragsarbeiten an Komponisten. Maurice Ravel widmete ihr seine „Pavane pour une infante défunte“ (Pavane für eine verstorbene Prinzessin). In ihrem Salon verkehrten Marcel Proust, Jean Cocteau oder Claude Monet. Außerdem hatte sich Prinzessin Polignac in ihren privaten Salon, in dem sie oft Künstler empfing, ihre eigene Monumentalorgel bauen lassen. Von niemand geringerem als dem wichtigsten Orgelbauer der Zeit: Aristide Cavaillé-Coll.Ein Auftragswerk auf Umwegen
Prinzessin Winaretta konnte wohl selbst Orgel spielen und beauftragte in den 1930er-Jahren Jean Françaix damit, ihr ein leichtes Stück zu schreiben. Francaix hatte aber offenbar trotz Madames Geldbergen keine Lust dazu und gab den Auftrag weiter an Francis Poulenc, der kurz vorher ein religiöses Wiedererweckungserlebnis gehabt hatte und Orgelwerken sehr aufgeschlossen gegenüberstand. Poulenc komponierte aber nichts Einfaches, sondern etwas Hochvirtuoses. Die Prinzessin spielte das Riesenwerk dann doch lieber nicht selbst. Dafür war Poulencs Orgelkonzert mit klangmächtiger Beteiligung von Solopauken ein echtes Stück für die Ewigkeit. Uraufgeführt wurde das Stück denn auch nicht an der Privatorgel der Mäzenin, sondern an der Orgel der Salle Gaveau in Paris.Einspielung eines der stilprägensten Organisten der Welt
Olivier Latry gehört zu den stilprägendsten Organisten der Welt. Er ist Gast führender Orchester unter namhaftesten Dirigenten, hat für große Labels wichtiges Orgelrepertoire eingespielt und viele druckfrische Werke uraufgeführt. Latry wurde 1985, damals 23jährig, zum Titularorganisten von Notre-Dame in Paris ernannt und ist Organist Emeritus des Orchestre National de Montréal. Das SWR Symphonieorchester hat sein künstlerisches Zuhause in der Liederhalle Stuttgart und im Konzerthaus Freiburg. Im September 2016 aus der Zusammenführung des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR und des SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg hervorgegangen, zählen Interpretationsansätze aus der historisch informierten Aufführungspraxis, das klassisch-romantische Kernrepertoire sowie Musik der Gegenwart gleichermaßen zu seinem künstlerischen Profil. 2013 entstand die Aufnahme des Orgelkonzerts von Poulenc unter dem damaligen Chefdirigenten Stéphane Denève in der Stiftskirche StuttgartSat, 29 Apr 2023 - 24min - 636 - Jörg Halubek und das Freiburger Barockorchester spielen Händels Orgelkonzert Nr. 13 F-Dur
Gefiederte Berühmtheit
Ein Aberglaube besagt: Wenn man im Frühling den ersten Kuckuck rufen hört, sollte man im besten Fall ein paar Münzen in der Tasche haben, denn dann ist der Geldsegen für das Jahr gesichert. Und hier ein kleiner Tipp: Die Kuckuck-Saison startet demnächst. Der Kuckuck gehört zu den Berühmtheiten der Vogelwelt. Er ist zum Beispiel das Aushängeschild der Schwarzwälder Uhrmacherkunst. Außerdem hat er es in Volklieder, in die Literatur und in zahlreiche Sprichwörter geschafft. Dabei bekommt man den scheuen Vogel nicht allzu oft zu Gesicht. Dafür hört man ihn aber umso besser – vor allem den Ruf des Männchens: zweisilbig und eine kleine Terz abwärts, „Kuckuck“ eben. Was man diesem charmanten Ruf nicht anhört: Das Männchen lässt hier ordentlich die Muskeln spielen, denn es steckt damit sein Revier ab. Der Kuckuck ist allerdings nicht das ganze Jahr über zu hören, denn ab Anfang August zieht er in sein Winterquartier. Erst in der zweiten Aprilhälfte kehrt der Kuckuck nach Mitteleuropa zurück. Und dann erklingen auch bei uns wieder die Rufe des gefiederten Frühlingsboten.Ein Orgel- und Vogelkonzert
In Georg Friedrich Händels Konzert für Orgel und Orchester Nr. 13 in F-Dur hat es sich der Kuckuck schon einmal bequem gemacht. Er versteckt sich im zweiten Satz. Darin sind in der Orgel ständig abfallende Intervallsprünge zu hören. Dazu gesellt sich auch noch die Nachtigall, die ihre trillernden Wechselnoten zwitschert. Wenn man diesem Orgel- und Vogelkonzert lauscht, verwundert es auch nicht, dass das Werk im 20. Jahrhundert den Beinamen „The Cuckoo and the Nightingale“ („Der Kuckuck und die Nachtigall“) erhielt. Wie es klang, als Händel selbst in die Tasten griff, können wir heute nicht mehr rekonstruieren. Schließlich war er bekannt für seine Improvisationskunst und das, was in den Noten stand, wurde kräftig ausgeschmückt und verfeinert. Vielleicht ließ Händel ganz spontan auch noch weitere Vögel durch das Stück fliegen.Jörg Halubek musiziert mit dem Freiburger Barockorchester
Jörg Halubek ist Organist, Cembalist, Dirigent und Professor für Historische Tasteninstrumente an der Musikhochschule Stuttgart. Seine Expertise im Umgang mit Alter Musik belegen die preisgekrönten Einspielungen von Werken für Tasteninstrumente und Violine Johann Sebastian Bachs (2016) und Carl Philipp Emanuel Bachs (2014) mit der Barockgeigerin Leila Schayegh. Seit rund 30 Jahren gibt es das Freiburger Barockorchester – eines der renommiertesten Ensembles für historisch informierte Aufführungspraxis. Zu seinem Kernrepertoire gehört die Musik des Barock und der Klassik. Auf dem Programm stehen aber auch immer wieder Werke der Romantik. Künstlerische Leiter des FBO sind Gottfried von der Goltz (Violine) und Kristian Bezuidenhout (Cembalo/Hammerklavier).Sat, 22 Apr 2023 - 14min - 635 - ARD Preisträger spielen Helena Munktells Kleines Trio
Das „Kleine Trio“ hat Helena Munktell in jungen Jahren komponiert
Anders als andere hochtalentierten Frauen des 19. Jahrhunderts wurde Helena Munktells Begabung nicht gebremst. Sie durfte studieren, reisen, Erfolg haben, denn schon die Mutter war eine im zeitgenössischen Sinn emanzipierte Frau. Sie verwaltete nach dem Tod ihres Mannes, von dem sie schon vorher getrennt gelebt hatte, Familienbesitz und Geschäfte, pflegte aber auch weiterhin die Salonkultur, die die Familie im Sommerhaus etabliert hatte. Namhafte Musiker und Künstler gaben sich die Klinke in die Hand, wenn die Munktells einluden. Möglicherweise für solch ein Konzert im heimischen Salon hat die ganz junge Helena Munktell das „Kleine Trio“ geschrieben, genauere Umstände der Entstehung liegen bislang im Dunkeln.Helena Munktell liebte Paris
Später war Paris die eigentliche Heimat der schwedischen Komponistin. Munktell hat die längste Zeit ihrer Laufbahn als Komponistin an der Seine verbracht. Und obwohl sie regelmäßig im Sommer zurück nach Schweden kam, schrieb sie 1897 an eine Freundin:„Es wäre dumm, zu Hause zu bleiben, wo kein Platz für einen ist! Besser im Ausland bereitwillig empfangen zu werden, als zu Hause gnädiger Weise geduldet zu sein.“
Wie andere Komponistinnen, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf Bekanntwerdung hofften, fühlte sich Helena Munktell vom schwedischen Musikleben entmutigt. Und das, obwohl sie immerhin die erste Schwedin war, von der jemals eine Oper öffentlich aufgeführt worden ist, in Stockholm. Dennoch: In Frankreich war alles leichter.Quelle: Helena Munktell
Hoffnung auf künstlerische Sichtbarkeit in Paris
Paris, das war nicht musikalische Provinz, sondern Welthauptstadt. Kulturell der spannendste Ort Europas: Wer anders war, fiel auf, und Helena Munktell wollte auffallen, zwischen all den männlichen Kollegen. Sie wurde die erste Frau in der Pariser Société national de musique. Leider war ihre fragile Gesundheit schon früh durch eine Augenerkrankung angegriffen. Oft hatte Helena Munktell Kopfschmerzen, später musste ein Glasauge eingesetzt werden. Herzprobleme kamen dazu, sie starb mit 67 Jahren.Alexandra Tirsu, Friedrich Thiele und Nika Melnikova spielen Munktell
Verschiedene ARD-Preisträger:Innen vorangegangener Wettbewerbe waren im Frühjahr 2022 bei den Schwetzinger SWR Festspielen, wo sie in wechselnden Kammermusikformationen zusammen auftraten. Geigerin Alexandra Tirsu wurde 1992 in eine moldawische Musikerdynastie in Chisinau geboren und verfolgt seit ihrem 7. Lebensjahr den Plan, eine internationale Spitzengeigerin zu sein. Cellist Friedrich Thiele ist nach Spitzenplatzierungen in zahlreichen Wettbewerben seit 2021 Solocellist der Staatskapelle Dresden. Pianistin Nika Melnikova verkörpert die eine Hälfte des international höchst erfolgreichen Melnikova-Morozova Pianistinnen-Duos, das nicht nur weltweit gefragt ist, sondern während der Kontaktbeschränkungen der Corona-Pandemie auch eine Online-Konzertreihe ins Leben gerufen hat.Sat, 15 Apr 2023 - 09min - 633 - ARD Preisträger spielen Fanny Mendelssohns Klavierquartett As-Dur
Das Klavierquartett As-Dur schrieb Fanny mit 17 Jahren
Am Sonntagmorgen war es im Speisezimmer des Berliner Hauses der Familie von jeher Brauch, kleine musikalische Aufführungen im privaten Kreis zu geben, ab 1822 begannen dann die als „Sonntagsmusik“ bekannt gewordenen wöchentlichen Matinéen mit professionellen Musikern der königlichen Hofkapelle. Mit 17 Jahren hat Fanny Mendelssohn für eine dieser Matinéen ihr Klavierquartett geschrieben, nicht ohne ihren kleinen Bruder Felix damit herauszufordern, denn der versuchte sich 1824 ebenfalls an der Gattung.Lebenslang litt Fanny Mendelssohn an Selbstzweifeln
Fanny Mendelssohns Klavierquartett entstand nun nicht nur dank, sondern in gewisser Weise auch trotz dieses extrem inspirierenden Umfelds. Denn die familiäre Beurteilung der beiden hochbegabten Geschwister fiel denkbar unterschiedlich aus. Während Lehrer Carl Friedrich Zelter, der beide Geschwister seit 1819 unterrichtete, zunächst dazu neigte, die ältere Fanny sogar für das größere der beiden phänomenalen Talente zu halten, schrieb Vater Mendelssohn später apodiktisch an seine Tochter: „Für Felix wird die Musik vielleicht Beruf, für Dich stets nur Zierde...“, und später: „Du musst dich ernster und emsiger zu deinem eigentlichen Beruf, zum einzigen Beruf eines Mädchens, zur Hausfrau bilden.“ Fanny selbst schrieb noch in ihrem letzten Lebensjahr selbstzweifelnd an ihren Bruder: „Du hast Dich durchgelebt u. durchgeschrieben, u. ich bin drin stecken geblieben, …diesem Mangel zufolge sterben meine längern Sachen in ihrer Jugend an Altersschwäche, es fehlt mir die Kraft, die Gedanken gehörig festzuhalten, ihnen die nöthige Consistenz zu geben.“ Außerhalb des Elternhauses ist das SWR2 Musikstück der Woche, Fanny Mendelssohns Klavierquartett, wohl erst 1989 zum ersten Mal öffentlich gespielt worden. Vier ARD-Preisträger waren im Frühjahr 2019 in Süddeutschland on Tour. Vita Kan, Marina Grauman und Marius Urba standen als Trio Marvin kurz vorher schon beim internationalen Wettbewerb in Melbourne auf dem Treppchen, als sie von Diyang Mei (Viola) verstärkt wurden beim Konzert der Schwetzinger SWR Festspiele. Neben mehreren anderen Wettbewerben gewann der Bratscher 2018 den ersten Preis beim Internationalen Musikwettbewerb der ARD. Im Jahr darauf erhielt Diyang Mei die Stelle des Solobratschers bei den Münchner Philharmonikern. 2022 wechselte in gleicher Position zu den Berliner Philharmonikern.Sat, 1 Apr 2023 - 18min - 632 - Christopher Park spielt Debussys „Children's Corner“
Emma und Miss Dolly
Debussy hat eine Tochter, Claude-Emma. Er nennt sie zärtlich Chouchou – Schätzchen. Sie stammt aus seiner Beziehung zu Emma Bardac, seiner letzten großen Liebe (von denen es viele gab); bis zu seinem Tod ist er mit ihr zusammen. Claude-Emma ist drei Jahre alt, als ihr Vater ihr einen Zyklus von sechs Klavierstücken schenkt. Sie beschreiben Claude-Emmas Kuscheltiere und Spielsachen und tragen englische Titel. Der Franzose Debussy liebte alles, was englisch war, außerdem hatte Chouchou eine englische Gouvernante, Miss Dolly Gibbs, vielleicht auch eine Widmung an sie!Von Elefanten und tanzenden Schneeflocken
Auf der Erstausgabe von „Children's Corner“ sieht man einen Plüschelefanten, das dürfte Jimbo sein, Chouchous Elefant. Ihm komponiert Debussy im zweiten Stück ein Schlafliedchen. Davor eine kleine pianistische Fingerübung, Debussy nennt sie „Doktor Gradus ad Parnassum“, so hieß schon ein (eher trockenes) barockes Kontrapunkt-Lehrbuch von Johann Joseph Fux – Debussy spart nicht an Humor! Dann folgen ein Abendständchen für Chouchous Puppe, ein Blick in die Schneekugel („The snow is dancing“). Ein kleiner Hirte – eine Spielfigur, die „nach Harz und frischem Lack“ riecht – bekommt ein Stück, und zum Schluss tanzt noch Golliwogg, eine kleine Puppe mit dunkler Hautfarbe, einen Cakewalk.Kaleidoskop einer Kindheit
„Meiner lieben kleinen Chouchou, mit den liebevollsten Entschuldigungen ihres Papas für das, was folgt“. Auch das steht auf dem Autografen. Nun, es gibt schlimmere Vergehen, als die, wofür Debussy sich hier entschuldigt. Ja, wofür eigentlich? Vielleicht dafür, dass Claude-Emma diese Stücke – zumindest im Alter von drei - nicht wird spielen können, sie sind viel zu schwer. Vielleicht dafür, dass er Fux‘ Lehrstücke auf die Schippe nimmt? Das wird Chouchou egal sein. Der Rest aber ist einfach nur schön für Kinderohren, und nicht nur die. Debussy leuchtet die Gemütszustände eines Kindes in allen Schattierungen aus: Begeisterung, Ungeduld, Neugier, Schüchternheit.„Sie haben gelacht!“
Zur Uraufführung am 18. Dezember 1908 im Pariser „Circle musical“ erscheint Debussy nicht – wie üblich übrigens. Er kann nicht gut umgehen mit Kritik oder gar Buh-Rufen. Skeptisch darf er diesmal ja wirklich sein, immerhin hat er musikalisch einige Parodien in seine Klavierstücke eingebaut. Der Pianist der Uraufführung, Harold Bauer, trifft Debussy nach dem Konzert. „Und – wie hat man´s aufgenommen“, fragt ihn Debussy nervös. „Sie haben gelacht“, antwortet Bauer. Und Debussy fällt ein Stein vom Herzen! Die Uraufführung wurde bejubelt.Christopher Park
Christopher Park ist 1987 in Bamberg geboren und hat deutsch-südkoreanische Wurzeln. Mit 12 wurde er Jungstudent an der Saarbrücker Musikhochschule, später studierte er in Frankfurt. Wettbewerbe passen für ihn nicht zur Idee von Kunst, darum meidet er sie. Sein Credo: „Ich versuche immer, mit Zeit und Ruhe auf meine Arbeit zuzugehen“. Ein Lehrer habe ihm mal gesagt: „Christopher, du musst mit dem Stück spazieren gehen!“. Das versuche er jedes Mal neu umzusetzen.Sat, 25 Mar 2023 - 18min - 631 - Maria Teresa Agnesis „Non piangete, amati rai” mit Eva Zaïcik und Le Consort
Bis heute hängt Maria Teresa Agnesis Porträt im Theatermuseum der Mailänder Scala. Wer aber war Maria Teresa Agnesi, die heute kaum noch jemand kennt? Sie widmete ihre Werke, darunter mindestens sieben Opern, gerne den bedeutenden politischen Autoritäten ihrer Zeit. Die „Arie con Istromenti“ von 1749 – eine Sammlung, die auch „Non piangete, amati rai“ enthält – sind Maria Antonia Walpurgis Symphorosa von Bayern gewidmet, der Gattin des sächsischen Kurfürsten Friedrich Christian von Sachsen, die selbst eine musisch äußerst begabte Frau war. Die Prinzessin aus dem Hause der Wittelsbacher bewunderte die zwölfteilige Ariensammlung und bedankte sich bei Maria Teresa Agnesi in einem persönlichen Dankesbrief mit einem herzlichen Lob.
Aufstieg und Fall
Früh zeigte sich das Talent des Mädchens bei häuslichen Zusammenkünften, bei denen sie auch schon eigene Kompositionen vortrug. Bald war sie ähnlich berühmt wie ihre ältere Schwester Maria Gaetana in den Fächern Mathematik und Philosophie. Maria Teresa vertraute man dem Geiger und Komponisten Carlo Zuccari an, der Verfasser einer eigenen Violinschule und so etwas wie ein komponierender Altersrekordler seiner Zeit war. Sie wurde in die Accademia dei Trasformati aufgenommen, einer aus Adligen, Geistlichen, aber auch Bildungsbürgern bestehenden Formation, die sich 1743 in Mailand gegründet hatte. Um 1745 gewann Maria Teresa Agnesi das Mäzenat des österrreichischen Gouverneurs von Mantua, Gian-Luca Pallavicini. Gleichzeitig war sie auch im Ausland bekannt und geschätzt, vor allem an den Höfen von Sachsen und Österreich, wo ihre Werke aller Gattungen begeistert aufgenommen wurden. 1752 heiratete sie Pier Antonio Pinottini, was zu einer Entfremdung mit ihrer Familie führte. Nach dessen Tod 1793 geriet die Komponistin in große Armut.Wundervoll expressive Musik
Mitte des 18. Jahrhunderts entstand die Vertonung nach Texten von Pietro Metastasio „Non piangete, amati rai“. Metastasios Texte dienten einer prominenten Vielzahl von Komponisten als Grundlage ihres musiktheatralischen Schaffens im 18. und 19. Jahrhundert. „Non piangete, amati rai“ erschien in einer Sammlung von zwölf einzelnen Arien für Sopran, Streicher und Basso continuo. In ihren Arien für Maria Antonia Walpurgis beweist Maria Teresa Agnesi ihre Fähigkeit, die Affekte einer dramatischen Situation durch Harmonik, vokalen Satz und Instrumentation zu spiegeln. Der Text erzählt von Liebes- und Todessehnsucht. Über einem in Vierteln ehern schreitenden Bass kommen die oberen Stimmen expressiv in Linien zusammen und entfernen sich wieder voneinander. Trotz aller f-Moll-Trauerarienstimmung erscheint das ganze Gefüge aufgelockert und wird vor allem durch charakteristische Melodielinien des Soprans beherrscht. Das auskomponierte zögernde "Stottern" ist von großer Wirkung innerhalb dieser wunderbaren Arie.Sat, 18 Mar 2023 - 10min - 630 - Das Freiburger Barockorchester spielt Vivaldis „Frühling“
Der Natur abgelauscht
Ein Programm, sprich konkrete Inhalte, war zur Barockzeit vor allem für die Oper vorgesehen. Bei Vivaldi aber bekommt auch reine Instrumentalmusik eine Geschichte. In seinen vier Violinkonzerten aus op. 8 mit dem Titel „Die Vier Jahreszeiten“ berichtet er haarklein über Vorgänge in der Natur zur jeweiligen Jahreszeit. Ihnen zugrunde liegen Sonette, die Vivaldi vermutlich selbst geschrieben hat. Instrumentalkonzerte mit Programm – das war damals eine kleine Revolution.Frühlingsgefühle
Worum's im Frühling geht, liegt auf der Hand: Die Vögel zwitschern – drei Soloviolinen erledigen das in einem Kanon. Quellen plätschern mithilfe des ganzen Streichorchesters. Es gewittert. Ein Hirte döst vor sich hin – markiert von den ruhigen Bögen einer Geige. Sogar ein Hund bellt - das besorgt die Bratsche, die „molto forte e strappato“ – also so laut wie möglich und abgerissen – spielen muss. Zum Schluss feiern Schäfer und Nymphen den Frühling mit einem Tanz zum Klang des Dudelsacks, imitiert von einem Bordunbass.Das lichte Grün
Vivaldi hatte ein Händchen für musikalische Stimmungen. Das fing bei der Tonart an. Für den „Frühling“ hat Vivaldi das helle, lichte E-Dur gewählt, die Farbe des ersten lichten Grüns. Die bringen die Geigen besonders strahlend zur Geltung. Dazu kommen Vivaldis perfekte Satztechnik und sein Erfindungsreichtum. Und diese beiden liegen, so suggeriert Vivaldi im Untertitel der „Jahreszeiten“ – „il cimento dell'armonia e dell'invenzione“ –, im Wettstreit miteinander. Es siegt am Ende natürlich Vivaldis Ideenreichtum – so plastisch und fantasievoll hatte es in der Musik noch nie geblitzt und gedonnert.Beeindruckende Klickzahlen
Vivaldis Jahreszeiten waren zur Entstehungszeit sehr beliebt. Nicht nur in Italien, auch in Frankreich, Ludwig XV. liebte sie genauso wie der Philosoph Jean-Jacques Rousseau. Dann wurde es ruhig um sie, die Autographe galten als verschollen und wurden erst Anfang des 20. Jahrhunderts in Italien wieder entdeckt. Seither ist kein Halten mehr: Jedes Jahr erscheinen Neueinspielungen, die „Vier Jahreszeiten“ gibt es in allen nur vorstellbaren Varianten, und auf YouTube sind sie die meistangeklickten Werke der Alten Musik!Freiburger Barockorchester
Das FBO gibt es seit gut 25 Jahren, es ist eines der renommiertesten deutschen Alte-Musik-Ensembles. Mit Barockmusik haben die Musiker*innen begonnen, heute reicht ihr Repertoire bis tief hinein ins 19. und 20. Jahrhundert. Künstlerische Leiter des FBO sind Gottfried von der Goltz (Violine) und Kristian Bezuidenhout (Cembalo/Hammerklavier). ARD Mediathek: Vivaldi unter Sternen - Die vier Jahreszeiten im Freiburger PlanetariumSat, 11 Mar 2023 - 10min - 629 - Das Trio E.T.A. – SWR2 New Talent mit Mendelssohns Klaviertrio c-Moll
„Ohne Frack“
Es fängt alles friedlich an: 1844 verbringt Felix Mendelssohn-Bartholdy zwei entspannte Ferienmonate im idyllischen Taunusstädtchen Bad Soden, der Heimat seiner Frau. Es war stressig in der Zeit davor, Mendelssohn beruflich aufgerieben zwischen Leipzig, Berlin und London. Endlich ein Leben „ohne Frack, ohne Klavier, ohne Visitenkarten, ohne Wagen und Pferde, aber auf Eseln, mit Feldblumen, mit Notenpapier und Zeichenbuch, mit Cécile und den Kindern“, wie er notiert. Familienglück und Ruhe. Hier entsteht sein 2. Klaviertrio c-Moll.Hexenritt in g-moll
Das Werk ist dramatisch angelegt, das macht schon der Kopfsatz deutlich: Allegro energico e con fuoco, ein in weiten Teilen düster klingender Satz. Der 2. Satz ist ein Andante espressivo, ein Lied ohne Worte, schlicht, innig, fließend-melodiös und berührend – so kann nur Mendelssohn schreiben! Im 3. Satz begegnen wir einer Art Elfenreigen in Form eines Scherzos, auch das typisch Mendelssohn. Da flackern wild die Sechzehntel der Streicher, Finger huschen übers Klavier, düstere Akkorde brechen plötzlich auf. Hier spukt es schon fast. Danach dann ein leidenschaftliches Finale: Allegro appassionato.„Ein bisschen eklig“ zu spielen
Mendelssohn widmet sein Klaviertrio dem Pianisten Louis Spohr und erfüllt damit eine Dankesschuld, denn Spohr hatte ihm kurz davor eine große Klaviersonate zugeeignet. Beim Komponieren des Klavierparts ist er aber im Herzen und in Gedanken ganz bei seiner Schwester Fanny, der er das Trio auch zu ihrem 40. Geburtstag, im November 1845, schenkt. Es sei, schreibt er ihr, „ein bisschen eklig“ zu spielen, womit er die halsbrecherischen Stellen in den schnellen Sätzen meint. Eine klare Untertreibung!Das Trio E.T.A. – SWR2 New Talent
SWR2 fördert die drei jungen Musiker:innen als „New Talent“ drei Jahre lang mit Studioproduktionen, Konzerten, Musikvideos und Medienpräsenz. Das Trio besteht aus Elene Meipariani (Geige), Till Schuler (Cello) und Till Hoffmann (Klavier). 2019 haben sie sich an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg zusammengeschlossen. Ihr Name – Trio E.T.A. – bezieht sich auf den Schriftsteller und Komponisten E.T.A. Hoffmann, der ihnen mit seiner Liebe zur Musik und seiner Vielseitigkeit Vorbild ist. 2021 gewann das Ensemble den Preis des Deutschen Musikwettbewerbs. 2022 hat es beim SWR für ARD Klassik Musikvideos mit Trios von Mendelssohn und Schostakowitsch aufgenommen. Seine Debüt-CD erscheint im Januar 2023.Sat, 28 Jan 2023 - 26min - 628 - Respighis „Il Tramonto“ mit SWR2 New Talent Valerie Eickhoff und Adelphi Quartett
Romantische Verse von Percy Shelley
Respighis „Pini di Roma“ (Pinien von Rom) werden auch heute noch in Konzertprogrammen rauf und runter gespielt und hatten einen ebenfalls erfolgreichen Vorgänger, die „Fontane di Roma“ (Römische Brunnen). Zur Trilogie ergänzte der Komponist 1928 seine römischen Werke mit den „Feste romane“. Respighi wollte auf diese Art das Problem aller um 1880 geborenen italienischen Komponisten lösen, nämlich das große musikgeschichtliche Erbe aufzuarbeiten und damit die Anknüpfung an die instrumentalen italienischen Traditionen des 16. und 17. Jahrhunderts und damit auch an die sinfonischen Traditionen zu vollziehen. Er blieb jedoch letztlich dem Orchesterstil von Claude Debussy, Richard Strauss und Nikolai Rimski-Korsakow, später von Igor Strawinsky verhaftet. Den tiefgreifenden Wandlungen der Jahre um den Ersten Weltkrieg folgte er nicht.Respighis unbekannte Seite – Kammermusik
Die meisten seiner anderen Werke werden nur selten gespielt. Eine Einschätzung seines Œuvre wird dadurch gerade beim Publikum ziemlich beeinträchtigt. Als gelernter Streicher (Violine und Viola) schrieb er eine Reihe von Streichquartetten, die sich erheblich von seinem üppig überbordenden sinfonischen Stil unterscheiden. Ein kühler, subtiler und geschmackvoller Diskurs der vier Instrumente steht im Vordergrund, und in dem reifen Quartetto dorico von 1924 scheint seine Beschäftigung mit der Gregorianischen Musik, ein Sonderaspekt in Respighis Schaffen, an vielen Stellen durch. Seine Quartette sind lange Zeit unbekannt geblieben, nicht jedoch sein Poemetto lirico „Il Tramonto“ (Der Sonnenuntergang) für Mezzosopran und Streichquartett nach Versen des britischen Romantikers Percy Bysshe Shelley, das eines seiner repräsentativsten Werke für diese Gattung geblieben ist. Die unterschwellige Dramatik der Mezzosopran-Partie hat das das Herz vieler Sängerinnen erobert und sicherte damit dem Werk einen Platz im Repertoire.Schwellenwerk zwischen Tod und Leben
Das Lied erzählt die Geschichte eines jungen Liebespaares, deren Wunsch, gemeinsam den Sonnenuntergang zu betrachten, durch den plötzlichen Tod des Mannes unerfüllt bleibt. Isabella wandelt seitdem freudlos und ruhelos auf der Erde dahin und wünscht sich nur, dass einst auf ihrem Grabstein das Wort „Frieden“ stehen möge. Während Respighi in den Augustwochen des Jahres 1914 dieses Werk schrieb, brach der Erste Weltkrieg aus. Unter dem Eindruck des Weltgeschehens wirkt die Komposition introvertiert und beschwörend, ein Schwellenwerk zwischen Nacht und Licht, Tod und Leben. Die intime kammermusikalische Besetzung mit Streichquartett und Singstimme war um 1914 noch völlig unüblich, nur Arnold Schönberg hat in seinem 2. Streichquartett fis-Moll die Singstimme mit dem Quartettsatz verknüpft. Respighi und den frühen Schönberg verband die unterschwellige Fin-de-Siècle-Atmosphäre ihrer Werke zu dieser Zeit. Die Uraufführung von „Il Tramonto“ mit Chiarino Fino Savio fand im Mai 1915 im Konzertsaal der Accademia di Santa Cecilia in Rom statt. Im selben Monat trat Italien in den Ersten Weltkrieg ein.Sat, 4 Mar 2023 - 16min - 626 - Faurés Orchestersuite „Pelléas et Mélisande“ mit der DRP und David Reiland
Symbolismus in Reinkultur
Das 1893 in Paris uraufgeführte Drama des belgischen Dichters Maurice Maeterlinck gilt als eines der Hauptwerke des Symbolismus. Die viersätzige Fassung von Gabriel Faurés Orchestersuite op. 80 wurde 1912 uraufgeführt. Der hier zusätzlich eingefügte Satz, die „Sicilienne“, sollte sich zu einer von Faurés beliebtesten Kompositionen entwickeln und existiert heute in zahlreichen Bearbeitungen. Nach der Premiere und weiteren Aufführungen machte sich der Komponist daran, das musikalische Material des Werkes für eine Orchestersuite umzuarbeiten.Am Pariser Conservatoire
Fauré bemühte sich Ende der 1890er-Jahre intensiv um eine Professur am Pariser Conservatoire, obwohl er vorher dort nicht studiert hatte und deswegen eigentlich chancenlos war. Der damalige Direktor Ambroise Thomas bevorzugte für die Kompositionsklasse denn auch einen konventioneller ausgerichteten Komponisten, erst nach dessen Tod konnte Fauré die Leitung der Klasse übernehmen, die er bis zu seiner Berufung als Direktor 1905 ausüben sollte. Trotz erzwungener Beschäftigung mit vielfachen Verwaltungsaufgaben konnte der Komponist innerhalb eines einzigen Monats, im Mai 1898, die vollständige Bühnenmusik zu „Pelléas“ als Particell fertigstellen. Die Instrumentation übergab er allerdings seinem Schüler Charles Koechlin, ein Verfahren, das Fauré häufiger anwendete. Bei der Bearbeitung zur Orchestersuite mit großem Orchesterapparat legte Fauré allerdings selbst Hand an: Er wählte drei der gelungensten und umfangreichsten Sätze, das Prélude, das die Entdeckung Mélisandes durch Golaud untermalt, die „Fileuse“ (Die Spinnerin), die Mélisande am Spinnrad begleitet, sowie das Molto adagio, eine ausführliche Zwischenmusik, die dem Tod Mélisandes am Anfang des 5. Akts vorausgeht. 1909 wurde die Suite um den vierten Satz, die berühmte Sicilienne, erweitert.Zeugnis des individuellen Personalstils
Bei dem Bühnenwerk Maeterlincks handelt es sich um ein düsteres Drama von verbotener Liebe in Tristan-Manier, das in einem erfundenen mittelalterlichen Königreich während einer nicht näher bestimmten Zeit des Untergangs und der Hungersnot spielt. Auf dieser Basis entstand Faurés großer Orchestersatz, in dem das Prélude zunächst das allgemeine Stimmungsbild vermittelt und in einigen Motiven auf die kommende Handlung hinweist. „La Fileuse“ (Die Spinnerin) beschreibt die wartende Mélisande am Spinnrad, wobei Fauré nicht nur die Schönheit der jungen Frau schildert, sondern mit seiner Musik auf deren Zerbrechlichkeit und kommende tragische Verstrickung hinweist. Im dritten Teil dominieren Abschied, Trauer und Tod. Die acht Jahre später hinzugefügte graziöse „Sicilienne“ ging ursprünglich als reines Violoncellostück dem zweiten Akt des Dramas voraus. Bemerkenswert an der jetzt viersätzigen Suite ist vor allem die unsentimentale, nie aufgesetzt wirkende Expressivität und die changierende mystische Abgründigkeit, die das Drama so intensiv wie ergreifend deuten. Das weltentrückte, symbolistische Stück konnte fast parallel drei unterschiedliche Meisterwerke von drei Komponisten anregen: Neben Faurés Orchestersuite entstand 1903 die brillante Tondichtung Arnold Schönbergs über den Pelléas-Stoff, die seine künstlerische Entwicklung in Richtung Atonalität und Expressionismus vorantrieb, und mit seiner Umsetzung als Opernstoff setzte Claude Debussy einen Meilenstein in der Operngeschichte. Fauré vertonte jedoch den Text mit einer ganz transparenten und bis ins Detail nuancierten Musik, die einen intensiven und besonderen Blick auf seinen individuellen Personalstil wirft.Sat, 18 Feb 2023 - 18min - 625 - Vivaldis Flötenkonzert "La Notte" mit Isabel Lehmann und dem Freiburger Barockorchester
„Tod in Venedig“
Der Reiz Venedigs liegt nicht zuletzt in seiner Morbidität: Verfallene Paläste, wabernder Nebel in dunklen Gassen, eine Friedhofsinsel (auf der auch Strawinsky begraben ist) und Geheimgänge im Dogenpalast, in denen Intrigen geschmiedet wurden (und die Casanova zur Flucht verhalfen). In Venedig trifft man auf Vergänglichkeit und Geheimnisvolles – idealer Schauplatz für Filme wie „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ oder „Tod in Venedig“. Und an solch einem geheimnisumwobenen Ort befinden wir uns auch in Vivaldis Konzert „La Notte“.„Fantasmi“. Gespenster.
Vivaldi, ein Meister der Programmmusik, erzählt auch in „La Notte“ eine Geschichte, eine Spukgeschichte, sie spielt in einem Palazzo am Canal Grande. Das Grauen kommt auf leisen Sohlen: Fahles Unisono, leise, punktierte Rhythmen - die Geister rüsten sich. Der Held tritt aus dem im Nebel liegenden Palazzo und die Gespenster fallen über ihn her („Fantasmi“). Gerippe klappern. Flucht, kurzes Verschnaufen – dann fällt der Held in tiefen Schlaf („il sonno“). Alpträume plagen ihn. Die Gespenster kehren wieder in immer neuen (Allegro-)Wellen. Ende offen.Ein Held im Flötenkostüm
Dieses aufwühlende Konzert „La Notte“ existiert in drei verschiedenen Fassungen. In der frühesten Fassung setzt Vivaldi eine Flöte ein, die die Rolle des Helden übernimmt, Geigen flankieren, ebenso ein Fagott. Vivaldi hat das Konzert vermutlich für die vorzüglichen Bläser der Hofkapelle in Mantua geschrieben, wo er Kapellmeister war. Dann gibt es eine Version für drei Geigen, Cello und Cembalo und die gängigste Fassung ist die als Flötenkonzert mit Streichorchester. Vivaldi dachte an eine Querflöte. Isabel Lehmann spielt die heutzutage favorisierte Fassung für Blockflöte.Isabel Lehmann
Blockflöte, Querflöte, Klavier oder Geige? Isabel Lehmann konnte sich lange nicht entscheiden, welchem Instrument sie den Vorrang geben soll. Die „größte Liebe“ aber, sagt sie, war die Blockflöte. Sie wird Jungstudentin an der Freiburger Musikhochschule, studiert nach dem Diplom in den Niederlanden, inspiriert vom Spiel des Flötisten Frans Brüggen. Sie ist festes Mitglied des Freiburger Barockorchesters und unterrichtet an der Freiburger Musikhochschule.Sat, 11 Feb 2023 - 09min - 624 - Christine Busch und ihr Ensemble spielen Maria Bachs Streichquintett
Nicht verwandt mit Johann Sebastian
Maria Bach stammte aus einer für Kunst aufgeschlossenen Familie: Ihr Vater, Robert Freiherr von Bach, war begeisterter und begabter Hobbymusiker, ihre Mutter Eleonore Sängerin und Malerin impressionistisch-romantischer Landschaftsbilder. In den Hauskonzerten der Familie machte Maria Bekanntschaft mit u. a. Arthur Nikisch, Johannes Brahms, Hugo Wolf und Gustav Mahler. Als eine der ersten Studentinnen in Wien bei Joseph Marx konnte sich die Komponistin ab den 1920er-Jahren mit seriösen und bei der Kritik und beim Publikum erfolgreichen Werken etablieren, einige ihrer Kompositionen wurden verlegt. Ihr Opus wuchs bis gegen Ende ihres Lebens auf um die 400 Werke an, darunter 250 Solo- und Chorlieder, aber auch Orchesterwerke und Klavier- und Kammermusik.Russische Moderne und Impressionismus
In die Zeit der ersten großen Erfolge fällt ihre Beziehung zum russischen Komponisten und Dirigenten Ivan Boutnikoff, der sie in Instrumentation unterrichtete und mit dem sie Reisen durch ganz Europa unternahm. Maria Bach schrieb unglaublich virtuos und anspruchsvoll für Klavier, dabei geht es ihr nie um Effekte, sondern um klanglichen Reichtum und kompositorische Wucht, auch in ihren Kompositionen für Streichinstrumente. Die äußerst differenzierten Klangfarben ihres Streichersatzes lassen auf ein profundes Verständnis für die technischen und klanglichen Möglichkeiten der Instrumente schließen. Joseph Marx hatte sie mit der russischen Moderne und dem Impressionismus bekannt gemacht, der auch bis zu ihrem Tod ihre bevorzugte Musiksprache blieb.Poetisch inspiriert und von eigentümlichem Reiz
Denn obwohl Maria Bach zeitlebens der Tonalität verpflichtet blieb, verströmt ihre Musik doch einen eigentümlichen Reiz, der zwischen den Polen „modern" und „traditionell“ schwankt. Auf der Grundlage einer üppigen, klangmächtigen Spät(est)romantik ist auch ihr Streichquintett von 1936 stark von der Musik des Impressionismus beeinflusst. Das Werk, vor allem der Kopfsatz „Bewegt energisch“, orientiert sich an den Streichquartetten von Claude Debussy und Maurice Ravel. Episodisch in Art einer Fortspinnung wirken die Variationen über ein bretonisches Fischerlied im Andante sostenuto. Im Finalsatz wiederum komponiert Maria Bach einen effektvollen, originellen und ungewöhnlichen „Sakralen Tanz“ (Thema und Variationen) voller Exotismen (Ostinati, orientalisierende Skalen), der aber mit einer eher konventionellen g-Moll-Kadenz abgeschlossen wird.Sat, 4 Feb 2023 - 21min - 622 - Beethovens „An die ferne Geliebte“, interpretiert von Werner Güra und Christoph Berner
„Verdrießlich über vieles empfindlicher als alle andern Menschen, und mit der Plage meines Gehörs finde ich oft im Umgange andrer Menschen nur Schmerzen“, schrieb Ludwig van Beethoven deprimiert an seinen Freund Joseph Xaver Brauchle im September 1815. Beethoven befand sich in diesen Jahren in einer tiefgreifenden Krise, die sowohl sein privates Gefühlsleben als auch seine kompositorische Arbeit betraf. Seit der Vollendung der 8. Sinfonie (Oktober 1812) und der Violinsonate op. 96 (Februar 1813) war kein gewichtiges größeres Werk mehr entstanden. Liedkompositionen dagegen, die bei Beethoven häufig biografische Bezüge und bekenntnishaften Charakter haben, sind in dieser Zeit besonders zahlreich. Nach dem schweren Jahr 1815 ringt Beethoven sich wieder zu neuer Schaffenskraft durch: Ein neuer Lebens- und Werkabschnitt beginnt, das Spätwerk.
Beginn des Spätwerks
Kein anderes Werk der vokalen Kammermusik zeigt Beethoven so sehr auf neuen Wegen wie der 1816 entstandene und im selben Jahr veröffentlichte Liederkreis „An die ferne Geliebte“. Diese Lieder hat man gerne mit den berühmten Briefen vom Juli 1812 in Verbindung gebracht, in denen Beethoven die - unbekannte - Adressatin als seine „unsterbliche Geliebte“ bezeichnet hatte. Im Ungewissen liegt auch Beethovens Quelle der Liedtexte; verbürgt ist nur der Name des Dichters: Alois Jeitteles, ein Medizinstudent und Schriftsteller, der möglicherweise zu Beethoven in persönlichen Kontakt getreten und ihm die Gedichte im Manuskript übergeben hat. Die Lieder wurden lange Zeit als Ausdruck der Seelenlage des Komponisten gedeutet, der sich innerlich von einer unerfüllbaren Liebe verabschiedet. Neuere Forschungen lassen jedoch darauf schließen, dass die Lieder der fernen Geliebten nicht etwa Beethovens eigene Beziehungen illustrieren, sondern vielmehr der im Januar 1816 verstorbenen Ehefrau des Widmungsträgers Fürst Franz Joseph Maximilian Lobkowitz, eines wohlmeinenden Mäzens von Beethoven, ein Denkmal setzen.„Nimm sie denn hin, diese Lieder ...“
Das Material für alle Liedmelodien des Zyklus liefert gleich die Anfangsmelodie „Auf dem Hügel sitz‘ ich spähend in das blaue Nebelland“, die auch am Schluss wiederkehrt und so einen Bogen zum Anfang herstellt. Sie wird von Beethoven in vielen Skizzen sorgfältig modelliert. Dadurch sind die sechs Lieder enger miteinander verbunden als in jedem anderen Zyklus der Romantik. Das erste und das sechste Lied sprechen die Geliebte unmittelbar an. Die Lieder 2 und 5 haben mit ihren je sechszeiligen Strophen eher erzählenden Charakter und stehen in den helleren Tonarten G-Dur und C-Dur. Die beiden mittleren Gedichte (3 und 4) korrespondieren durch Versmaß und Strophenbau, entsprechend ähnlich hat Beethoven die beiden Gedichte vertont. In ihrer Mitte jedoch hat er mit drei Strophen in as-Moll („Wird sie an den Büschen stehen, die nun herbstlich falb und kahl ...“) ein Zentrum geschaffen, um das sich der ganze Zyklus symmetrisch gruppiert. Der Anfang des sechsten Liedes ist weltberühmt geworden: „Nimm sie hin denn, diese Lieder, die ich dir, Geliebte, sang.“ Sowohl Robert Schumann als auch Felix Mendelssohn Bartholdy haben Beethovens Melodie immer wieder in ihren Werken zitiert, Mendelssohn unter anderem in seiner 2. Sinfonie op. 52 „Lobgesang“.Sat, 21 Jan 2023 - 13min - 621 - Die DRP und David Reiland mit der 3. Sinfonie von Louise Farrenc
Musikverlegerin und Klavierprofessorin
Ihr Weg zum Erfolg ist geradlinig und unerschrocken. Jeanne-Louise Dumont, Kind einer bekannten Bildhauerfamilie, beginnt mit 15 ein Kompositionsstudium bei Anton Reicha am Pariser Konservatorium. Sie heiratet mit 17 den Flötisten Aristide Farrenc, gründet mit ihm einen Musikverlag. Dort werden ihre Werke gedruckt und finden damit breite Öffentlichkeit. Mit 38 wird sie zur ersten Klavierprofessorin in der Geschichte des Conservatoire ernannt und unterrichtet 30 Jahre lang junge Mädchen und Frauen.Kampf um Gleichberechtigung
Zum Gendern hat es für Louise Farrenc noch nicht gereicht. In der Pariser Presse wird sie unter „Komponist“ oder „Autor“ geführt. Wenngleich auch mit großer Wertschätzung. Dennoch ist es bezeichnend, dass gerne ihre „männlichen“ Eigenschaften hervorgehoben werden („Sie ist eine große Frau mit vergeistigten Zügen, fast männlicher Erscheinung“). Sie heiratet einen Mann, für den Gleichberechtigung offensichtlich selbstverständlich ist. Und sie kämpft in ihrer Zeit am Conservatoire darum, dasselbe Gehalt wie ihre Kollegen zu bekommen. Mit Erfolg!Die Sinfonie – eine männliche Domäne?
Wenn man bedenkt, wie schwer es bis heute Dirigentinnen haben, ins Licht der Öffentlichkeit zu treten, dann wundert es wenig, dass vor 200 Jahren komponierende Frauen als solche nicht wahrgenommen wurden. Wenn sie es taten, taten sie es im Verborgenen und möglichst bescheiden: Lieder, Klavierstücke, ein bisschen Kammermusik. Nicht so Louise Farrenc. Mit der ihr eigenen Unbeirrtheit steuert sie nicht nur viele großartige Klavier- und Kammermusikwerke zum Kanon der damaligen Musikliteratur bei, sondern auch Orchesterwerke, wie etwa drei Sinfonien. Dafür erhält sie 1862 den begehrten „Prix Chartier“ der Akademie der Künste.Der „Duft einer guten Schule“
Mit ihrer 3. Sinfonie g-Moll schafft Louise Farrenc ein großes 4-sätziges romantisches Werk, das seine Vorbilder in den deutschen Meistern findet – wie „Le Ménestrel“ im Mai 1849 schreibt: „Das Werk enthält Schönheiten erster Ordnung. Die Orchestrierung ist reichhaltig, originell und die Melodien werden mit bemerkenswertem Talent entwickelt. Diese Symphonie strahlt den Duft einer guten Schule aus, die in Frau Farrenc ein langes und ernstes Studium der großen deutschen Meister zeigt.“ Da finden sich Anklänge an Mozart, Mendelssohn und Beethoven. Mit besonderem Gewicht auf den Bläsern – Louises Mann war Flötist!David Reiland
Der Dirigent David Reiland stammt aus Belgien. Er hat in Paris, Vilnius und Salzburg studiert. Seit 2018 leitet er das Orchestre National de Metz Grand Est und seit 2021 zusätzlich das Korean National Symphony Orchestra. Er setzt sich gerne für vergessenen Komponist*innen ein. Im Konzert im April 2022 in der Fruchthalle Kaiserslautern mit der DRP nahm er in einem französisch inspirierten Programm die 3. Sinfonie von Louise Farrenc mit ins Programm.Sat, 14 Jan 2023 - 34min - 620 - Claire Huangci spielt Liszts Transkription der „Tannhäuser“-Ouvertüre
Wagners „Tannhäuser“ erlebte seine Uraufführung am 19. Oktober 1845 in Dresden, und einige Jahre später besserte sich das Verhältnis zwischen den beiden Komponisten. Im Februar 1849 dirigierte Liszt in Weimar die zweite Inszenierung des „Tannhäuser“ und schrieb an Wagner voller Begeisterung:
„Ein für allemal, zählen Sie mich von nun an zu Ihren eifrigsten und ergebensten Bewunderern – aus der Nähe oder aus der Ferne, zählen Sie auf mich und verfügen Sie über mich“.
Quelle: Franz Liszt im Brief an Richard Wagner
Vorbehaltlose Begeisterung
Liszts Einsatz für Wagners Opern und Musikdramen, für die er vorbehaltlose Begeisterung empfand, kannte keine Grenzen, während Wagner Liszts Werke, von den Symphonischen Dichtungen abgesehen, kaum zur Kenntnis nahm und allenfalls aus Dankbarkeit für die ihm zuteil gewordene Hilfe lobend anerkannte. So wundert es nicht, dass unter Liszts rund 70 Operntranskriptionen (überwiegend für Klavier solo) Wagners Bühnenwerke mit insgesamt 19 Arrangements breiten Raum einnehmen.Konzertparaphrase oder Transkription?
Einige Monate vor der Weimarer Inszenierung hatte Liszt eine Klavierbearbeitung der Ouvertüre und der „Abendstern“-Arie aus „Tannhäuser“ geschrieben. Die Bearbeitung der Ouvertüre, die Liszt 1849 veröffentlichte und seinem Gönner Großherzog Carl Alexander widmete, enthielt neue technische Herausforderungen. Deren Ausführungen erforderte neben beachtlichem Ausdauervermögen auch technische Geschicklichkeit und großes pianistisches Können. Liszt selbst war angesichts dieser hohen Ansprüche der Meinung, dass nur wenige Pianisten dem Werk gewachsen sein würden. Liszt bezeichnete die Bearbeitung der Ouvertüre zu „Tannhäuser“ auch als Konzertparaphrase. Doch abgesehen von kleinen Ausnahmen läuft sie Takt für Takt parallel zu Wagners Partitur. Als einziges von Liszts Werken enthält seine Partitur überhaupt keine Pedalbezeichnungen, wobei jedoch der Spieler angewiesen wird, in dieser Sache nach eigenem Ermessen vorzugehen. An der Oberfläche soll ganz offensichtlich eine Klangfülle wie die eines Orchesters erreicht werden, wobei die Akkorde der Blechblasinstrumente des Originals das wichtige Fundament bilden.Sat, 7 Jan 2023 - 15min - 619 - Die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz und Karl-Heinz Steffens mit Strawinskys „Feuervogel“
Wie der Vogel ins Ballett kam
Sergej Diagilews Ziel ist es, russische Kunst in Europa bekannt zu machen. Als er seinen 27-jährigen Landsmann Igor Strawinsky fragt, willigt der sofort ein. Denn Strawinsky liebt wie Diaghilew und auch wie sein Lehrer Rimski-Korsakow – dem damaligen Zeitgeist folgend – die Dichtung und Volksmusik seines Heimatlandes.Pechvogel Ljadow
Strawinsky ist zweite Wahl. Diaghilew fragt als erstes Anatolij Ljadow, dessen Musiksprache ihn fesselt. Monatelang wartet er auf einen ersten Entwurf. Als er nachhakt, erklärt Ljadow, es dauere nicht mehr lange, er habe immerhin schon das Notenpapier gekauft! Soweit die Anekdote. Den Tatsachen entspricht, dass Ljadow ein erklärtermaßen fauler Mensch war. Der Rest ist Musikgeschichte. Die Chance auf Weltruhm – denn Strawinsky wird ihn erlangen mit seinem Ballett – hat Ljadow damit verpasst.Ein Prinz und dreizehn Prinzessinnen
Es ist ein Märchen, das alle Zutaten zum Glücklichmachen hat und bei dem nicht nur Kinder lange Ohren kriegen: Prinz Iwan fängt einen wunderschönen Feuervogel, aber bringt es nicht übers Herz, den stolzen Vogel im Käfig zu sehen. Er lässt ihn frei , behält aber eine Feder zurück, die den Feuervogel bei Gefahr herbeiruft. Dann entdeckt der Prinz dreizehn junge Prinzessinnen, die von einem Zauberer gefangen gehalten werden. Er verliebt sich in die Schönste, wird selbst gefangen, aber der Feuervogel rettet alle. Finale aus der Suite mit dem SWR Symphonieorchester:Exotische Klangwelt
Auch wenn das Märchen uns an die vertraute Märchenwelt der Brüder Grimm erinnert, macht der magische Feuervogel die Geschichte exotisch. Und dieses Exotisch-Magische spielt Strawinsky in seiner Musik voll aus. Noch lange bevor er zum Zwölftonmusiker wird, schöpft er im „Feuervogel“ aus den schier unendlichen Klangmöglichkeiten eines spätromantisch-impressionistischen Orchesters und malt sowohl die dunkle Klangwelt des Zauberers, als auch die exotisch schillernde des Feuervogels. Eine Magie, die auch ohne Tänzer – in Form einer rein konzertanten Suite – perfekt funktioniert.Karl-Heinz Steffens und die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz
Ein Orchester mit langer Tradition: 2019 hat die Deutsche Staatsphilharmonie ihr 100. Jubiläum gefeiert. Ihr Sitz ist Ludwigshafen am Rhein. Chefdirigent war von 2009 bis 2018 Karl-Heinz Steffens, ehemaliger Soloklarinettist der Berliner Philharmoniker. Ein Heimspiel für den gebürtigen Rheinland-Pfälzer, er kommt aus Trier. Unter seiner Leitung hat die Staatsphilharmonie 2015 den Echo Klassik als „Orchester des Jahres“ erhalten. Steffens ist seit 2019 Musikdirektor an der Staatsoper Prag.Sat, 31 Dec 2022 - 21min - 618 - Das Klavierduo Jacopo Giovannini und Yi Lin Jiang spielen Tschaikowskys Nussknacker-Suite
Die letzten Lebensjahre des russischen Komponisten Peter Tschaikowsky waren geprägt von Erfolgen, Ehrungen und internationalem Ruhm. Trotzdem machten ihm auch noch in dieser Zeit, wie sein Leben lang zuvor, seine Selbstzweifel zu schaffen, und nur wenige Werke hielten seiner eigenen Beurteilung stand. So hielt er seinen „Nussknacker“, der ein Jahr vor seinem Tod uraufgeführt wurde, für sehr viel schlechter als sein „Dornröschen“-Ballett von 1888/89.
„Wenn ich die Überzeugung gewinnen sollte, dass ich auf meinen musikalischen Tisch nur Aufgewärmtes hinsetzen kann, so werde ich mit dem Komponieren aufhören.“
Dabei hat er mit beiden Balletten seine musikalisch reichsten und instrumentatorisch reifsten Partituren geschaffen, ohne die es den Erfolg der großen Ballette des 20. Jahrhunderts, speziell der berühmten Pariser Ballets Russes, nicht gegeben hätte.Quelle: Tschaikowsky über seinen Nussknacker in einem Schreiben an seinen Neffen Wladimir Dawidow, 25. Juni 1891
Einem größeren Publikum bekannt gemacht
Noch während er die Musik zum Ballett orchestrierte, schrieb Tschaikowsky die Nussknacker-Suite im Januar und Februar des Jahres 1892. Er stellte acht besonders gelungene und farbig orchestrierte Sätze aus dem Ballett – vor allem aus dem 2. Akt – zusammen, die er bereits mehr als ein halbes Jahr vor der Uraufführung des gesamten Balletts in Sankt Petersburg dirigierte. Die hier gebotene vierhändige Klavierbearbeitung basiert auf der Konzertfassung des gleichnamigen Balletts.Ein musikalisches Märchenwunder
Aus dem ersten Akt des Balletts stammen die Ouvertüre und der Marsch, der die Reihe der charakteristischen Tänze eröffnet. Die übrigen Tänze finden sich im zweiten Akt: der kurze „Tanz der Zuckerfee“, dessen führende Stimme im Original bezeichnenderweise fast durchgängig die Celesta hat; der feurige „Trepak“, der an Tschaikowskys nationale Zugehörigkeit erinnert; der „Arabische Tanz“ mit seinem leisen melancholischen Einschlag; der im ostinaten Tripelrhythmus gesetzte „Chinesische Tanz“; der graziöse „Pfeifertanz“ und endlich das längste Stück der Suite, der „Blumenwalzer“, mit dem Tschaikowsky noch im letzten Lebensabschnitt seine musikalische Verbundenheit mit Johann Strauß bekundete. Die Suite wurde zum ersten Mal am 7. März 1892 im neunten Symphoniekonzert der Russischen Musikalischen Gesellschaft in Petersburg aufgeführt und trat seitdem ihren Siegeszug in der ganzen Welt an, als ein musikalisches Märchenwunder vor allem für die Weihnachtszeit.Sat, 24 Dec 2022 - 21min - 617 - Das Stuttgarter Kammerorchester spielt Bachs Orchesterouvertüre Nr. 3 (samt Air!)
Pars pro toto – ein Teil für das Ganze
Bei Bachs Orchesterouvertüren reihen sich Tanzsätze aneinander. Darum heißen sie auch gerne „Orchester-Suiten“. Den Tanzsätzen vorangestellt ist immer eine Ouvertüre. Weil sie der längste und anspruchsvollste Teil der Werke ist, hat man die Gattung einfach nach diesem gewichtigen 1. Satz genannt: „Orchester-Ouvertüre“. Aber das ist letztendlich nur Wortgeklingel. Viel entscheidender ist die Musik!Das berühmte „Air“
Ja, dahin gehört es, in Bachs Orchesterouvertüre Nr. 3, das weltberühmte Air, von dem viele glauben, es sei ein eigenständiges Stück Musik. Nach der gravitätischen und üppig orchestrierten Ouvertüre schwebt da aus dem Nichts dieses elegante, stimmungsvolle Musikstück, das überall hin zu passen scheint – zu Hochzeit, Beerdigung oder romantischem Date. Gefolgt von richtigen Tanzsätzen, um dann der Orchestersuite doch noch Ehre zu machen: Gavotte I und II und Gigue.Endlich ein Orchester!
Als Bach 1723 seinen Dienst in Leipzig als Thomaskantor antritt, erwarten ihn schlechte Bedingungen: Die Thomasschule, in der Bach unterrichtet, ist in erbärmlichem Zustand, für die Aufführungen stehen ihm nur eine Handvoll Stadtmusiker zur Verfügung. Die Bezahlung ist schlecht - Leipzig ist teuer, die Obrigkeit ignorant. So ist er heilfroh, als er die Leitung des Collegium musicum übernehmen kann, ein Studentenorchester, das seine Werke im Café Zimmermann probt und aufführt – wohl auch die Orchesterouvertüre Nr. 3.Bach am Neckar
Tübingen hat Bach wohl nie gesehen. Aber die Neckarstadt ist bachbegeistert, in der Stiftskirche etwa findet seit 1945 jede Woche die „Tübinger Motette“ statt, eine liturgisch-musikalische Abendveranstaltung nach dem Vorbild der Leipziger Motette. 2018 hat Tübingen das „Bachfest“ ausgetragen, das seit 1901 jedes Jahr in einer anderen Stadt stattfindet. Damals wollte man – man reibt sich heute die Augen – Bachs Musik bekannter machen. Heute verdanken wir aber den Bachfesten schönste Aufnahmen!Das Stuttgarter Kammerorchester
Das SKO ist 1945 von Karl Münchinger gegründet worden. Heute gibt es ein musikalisches Führungsduo: Thomas Zehetmair, Chefdirigent und Jörg Widmann, sein Künstlerischer Partner. Beide treten auch als Solisten vorm Orchester auf.Susanne von Gutzeit
Susanne von Gutzeit ist 1982 in Bochum geboren, liebt alle Streichinstrumente und spielt sie auch. Beim SKO ist sie aber erste Konzertmeisterin und leitet dort auch künstlerische Projekte. Ein Kammerorchester, sagt sie, sei im Idealfall nichts anderes als ein vergrößertes Streichquartett mit dem sympathischen Unterschied, dass man sich in einem größeren Ensemble einfach besser aus dem Weg gehen könne, „wenn sich mal etwas reibt“. Sie träumt davon, dass ihr Ensemble „unabhängig wird von einer Autorität, die vorne steht“.Sat, 17 Dec 2022 - 19min - 616 - Das Else Ensemble spielt Robert Kahns Quintett
1865 wurde Robert Kahn in Mannheim geboren. Die Zahl seiner renommierten Kompositionslehrer ist zahlreich, angefangen mit Vincent Lachner, der Kahn schon zu Schulzeiten unterrichtete, über Friedrich Kiel und Woldemar Bargiel später an der Musikhochschule in Berlin bis hin zu Josef Rheinberger an der Akademie der Tonkunst in München. In Wien traf er mehrfach mit Johannes Brahms zusammen, der ihm ebenfalls ein Unterrichtsangebot unterbreitete, das Kahn aber aus mangelndem Selbstvertrauen oder Bescheidenheit ablehnte. Kahn wurde ein einflussreicher Musikprofessor an der Berliner Hochschule, unter seinen Schülern waren Wilhelm Kempff und Arthur Rubinstein. Während seiner gesamten Berliner Zeit war er als Liedbegleiter und Kammermusikpartner mit den berühmtesten Solisten der Zeit zu erleben, darunter die Sopranistin Emmy Destinn, die Geiger Joseph Joachim und Adolf Busch oder der Klarinettist Roland Mühlfeld. Im Alter von über 70 Jahren musste er schließlich nach England emigrieren. Er wurde aus einem erfüllten Leben gerissen: Das erfolgreiche Mitglied der Preußischen Akademie der Künste wurde von den Nationalsozialisten gezwungen, das Land zu verlassen.
Anerkennung und Erfolg
Kahn wuchs in einer der wohlhabendsten jüdischen Familien Mannheims auf. Früh erhielt er Klavierunterricht, schon aus seiner Schulzeit stammen die frühesten nachgewiesenen Manuskripte, worauf die vom 14-Jährigen überlieferten Werke im Nachlass hinweisen. Der knapp 20-jährige Kahn fand dann schnell persönlichen Kontakt, Anerkennung und Förderung bei den maßgeblichen Repräsentanten des romantischen Klassizismus wie Joseph Joachim, Hans von Bülow, Clara Schumann und Johannes Brahms. Bald ergaben sich daraus in Berlin auch einige größere Aufführungen. In der Berliner Hochschule wurden 1890 etwa die „Zwei Gesänge“ für Soli, Frauenchor und Orchester op. 10 aufgeführt; ebenfalls 1890 spielte das Berliner Philharmonische Orchester unter Hans von Bülow seine Serenade „Aus der Jugendzeit“, und das Joseph-Joachim-Quartett brachte sein erstes Streichquartett A-Dur op. 8 zur Uraufführung. Im Urteil der Zeitgenossen wurde der junge Kahn mit Komponisten wie Robert Franz und Robert Schumann in Verbindung gebracht. Zugleich erkannte man aber auch seine eigenständige Schaffenskraft, wie es etwa Clara Schumann in ihren Tagebuchnotizen über Kahns erste Violinsonate g-Moll op. 5 (1886) zum Ausdruck brachte. Seine Instrumentalmusik dieser Jahre wurde von der Kritik aufgrund ihrer unprätentiösen Ernsthaftigkeit und Qualität des Stils gewürdigt.Wie aus der Zeit gefallen
Nach der Jahrhundertwende widmete sich Kahn überwiegend der Kammermusik. Seine noch im wilhelminischen Deutschland entstandenen Werke umfassen Violinsonaten und Cellosonaten, Klaviertrios (beide 1902), sein Klarinettentrio (1906) und die Klavierquartette op. 30 und op. 41 (1904). Das Klavierquintett op. 54 - das auch in alternativen Besetzungen gespielt werden kann, am reizvollsten aber in der mit Klarinette klingt - gehört zu den gelungensten, melodienseeligen und meisterhaft entwickelten Werken des Komponisten. Es ist allerdings überwiegend geprägt durch die Begegnung mit Johannes Brahms, was in fast jedem Takt unüberhörbar ist. Wie aus der Zeit gefallen wirken daher die Kompositionen von Kahn dieser und der darauf folgenden Jahre und Jahrzehnte. Das Verharren in der Spätromantik machte ihn spätestens ab den 1920er Jahren zu einem „Konservativen“, der den Aufbruch nach dem Ersten Weltkrieg nicht mitgehen wollte oder konnte.Sat, 10 Dec 2022 - 21min - 613 - Elgars Enigma-Variationen mit dem Staatsorchester Rheinische Philharmonie und Paul Goodwin
Warum denn so rätselhaft?
„Enigma“ ist griechisch und heißt „Rätsel“. Das Wort fügt Elgar im Nachhinein seiner Partitur hinzu. Aber wo steckt es denn, das Rätsel? Denn eines lüftet Elgar später selbst. Nämlich, welche Personen hinter den Variationen stecken. Verbirgt sich das Rätsel vielleicht in der Musik? Das Thema für die Variationen stammt von Elgar selbst, er erklärt aber, es gäbe aber noch ein „größeres“ Thema, das aber nicht gespielt würde. Ein Musikstück, dessen eigentliches Thema nie gespielt wird? Wenn es so wäre, dann hätte Elgar allen musikalischen Forschern, die sich seither daran abarbeiten, damit eine lange Nase gedreht.Ein Thema, 14 Freunde und ein Hund
Edward Elgar sitzt nach einem langen Unterrichtstag am Klavier und klimpert vor sich hin. Eine kleine Melodie schält sich heraus, der Elgar keine Beachtung schenkt, aber seiner Frau Alice gefällt sie – der Grundstein für die Variationen ist gelegt. Die „Entdeckerin“ des Themas, Alice, wird die erste Porträtierte in Elgars Zyklus sein. Es folgen Bekannte, Freunde, Mitarbeiter von Elgar – und eine Bulldogge. Sie alle dezent getarnt hinter Spitznamen oder den Anfangsbuchstaben ihrer Namen.C.A.E. und G.R.S.
Klar, die erste Variation geht an C.A.E. – Caroline Alice Elgar, die Ehefrau und der wohl wichtigste Mensch in Elgars Leben. Dann gibt es Arthur Troyte Griffith, Architekt und Klavierschüler von Elgar. In „seiner“ Variation kann man hören, dass er das Klavier nicht eben sensibel behandelt, am Schluss gibt's einen lauten Orchesterschlag, da ist wohl der Klavierdeckel zugeschlagen worden? Oder George Robertson Sinclair. Die Musik erzählt allerdings eher von seiner Dogge Dan, die in einen Fluss fällt und gegen den Strom anpaddelt. Glücklich an Land, bellt sie laut.Geadelt für seine Musik
Die Enigma Variationen sind für Elgar der große Durchbruch. Die Menschen lieben dieses große sinfonische Werk, die prachtvolle, farbenfrohe Instrumentierung, den pfiffigen, „very british“ anmutenden Humor. Elgar ist nach der Uraufführung in der Londoner St. James's Hall ein Star und wird 5 Jahre später zum „Ritter der britischen Krone“ geschlagen. Ein Autodidakt, aus einer Familie, in der das Geld nicht reichte für den begehrten Studienaufenthalt auf dem Kontinent, in Leipzig. Seine Musik spricht für sich.Paul Goodwin
Paul Goodwin ist 1956 in der englischen Kleinstadt Warwick geboren. Lange Zeit war er einer der führenden Barockoboisten seiner Zeit und hat bei den großen englischen Originalklangensembles The English Concert und den London Classical Players gespielt. Mit seinem 40. Lebensjahr wechselt er ins Dirigentenfach. Seine Liebe gilt der historisch informierten Aufführungspraxis und der zeitgenössischen Musik.Staatsorchester Rheinische Philharmonie
Das Staatsorchester Rheinische Philharmonie mit Sitz in Koblenz ist eines der drei Sinfonieorchester des Landes Rheinland-Pfalz. Die Wurzeln des SRP reichen zurück bis ins Jahr 1654.Sat, 19 Nov 2022 - 31min - 612 - Barbara Strozzis Kantate „Hor che Apollo“ mit Eva Zaïcik und Le Consort
Barbara Strozzi war nicht nur eine produktive Komponistin, sie war zudem bekannt für ihre hervorragende Sopranstimme und begleitete sich selbst auf der Gambe. Als zunächst illegitime Tochter von Giulio Strozzi, der aus einem alten florentinischen Patriziergeschlecht stammte und sie später adoptierte, wuchs Barbara in dessen Haushalt auf und kam schon im Kindesalter mit venezianischen Intellektuellen, Dichtern, Komponisten und Musikern zusammen. Ab 1634 trat sie auch bei den in Strozzis Haus veranstalteten Soireen auf. In der Folge entstanden zahlreiche Kompositionen von angesehenen Musikern der Accademia degli Incogniti für ihre ausgezeichnete Sopranstimme, die ihr auch gewidmet sind.
Auf musikalische Darbietungen spezialisierte Kurtisane
Im libertinären Zirkel von Akademikern und Musikern herrschte ein eher freizügiges Liebesleben, das Barbara Strozzi mehrere illegitime Kinder bescherte, die väterlicherseits nicht anerkannt wurden. Als Sopranistin trat sie nach der Geburt ihrer Kinder jedenfalls nicht mehr auf. Wann Barbara Strozzi mit dem Komponieren angefangen und ob sie bereits für die genannten Soireen Werke beigesteuert hat, ist unklar. Über einen Zeitraum von ein paar Jahren scheint sie jedoch Kompositionsunterricht von Francesco Cavalli erhalten zu haben. Werke für die seit den 1630er-Jahren aufstrebende venezianische Oper sind allerdings nicht nachzuweisen. So ist davon auszugehen, dass sie über viele Jahre das Leben einer auf musikalische Darbietungen spezialisierten Kurtisane führen musste. Im Gegensatz zu ihren Kolleginnen war sie aber in der Lage, vor allem in den 1650er-Jahren ihre Kompositionen, überwiegend einstimmige Werke für Sopran und Basso continuo, in rascher Folge hintereinander drucken zu lassen.Persönlicher Stil und hohe Qualität
Anders als die Komponistinnen ihrer Zeit war Barbara Strozzi also in der Lage, ein umfangreiches Werk zu veröffentlichen, das sowohl von sehr persönlichem Stil als auch von hoher kompositorischer Qualität geprägt war. Bei der musikalischen Umsetzung der Textvorlagen der später entstandenen weltlichen Drucke sucht sie nach neuartigen und unkonventionellen formalen Lösungen, die affektbetonten Wortausdeutungen sind oft dramatisch zugespitzt, hier bedient sie sich moderner Techniken und Stilmittel, die auch von anderen Komponisten entwickelt wurden. Ihre Serenata „Hor che Apollo è a Theti in seno“ aus den Arie op. 8, gedruckt 1659, überrascht den Zuhörer bis heute durch die verfeinerte Raffinesse in der Sprachumsetzung und einen am Wortausdruck orientierten intensiven Ausdruck.Video-on-Demand Schlosskonzert Ettlingen: Eva Zaïcik und Le Consort in der ARD Mediathek
Sat, 12 Nov 2022 - 14min - 610 - Haydns Cellokonzert C-Dur, gespielt von Lionel Martin und dem Württembergischen Kammerorchester Heilbronn
Die 1961 im Prager Nationalmuseum gefundene Kopie eines Cellokonzerts passte genau zu Haydns Eintragungen in seinem „Entwurfs-Katalog“. Ein musikalischer Schatz wurde geborgen, der sich letztlich als eines der anspruchsvollsten Cellokonzerte überhaupt erwies. Außerdem ergaben sich hieraus Einblicke in Haydns Leben und Arbeiten. Er schrieb das Konzert wohl in den Jahren nach 1761, als er Vizekapellmeister am Hof des Fürsten Nikolaus Esterházy, auf Schloss Esterháza im damals noch zu Ungarn gehörenden Eisenstadt, war. Die dort entstandenen Werke „gehörten“ eigentlich dem Fürsten, unter ihnen viele Auftragswerke für bestimmte Besetzungen. Da sich Haydns Ruhm aber unaufhaltsam vermehrte, kursierten Abschriften - und unautorisierte Drucke - in ganz Europa, an denen Haydn, mit stillschweigender Kenntnis des Fürsten, gut verdiente.
Der Liebling der Nation
„Joseph Hayden, der Liebling unserer Nation“ wurde der Komponist im Wiener Diarium vom 16. Oktober 1766 gelobt. Ein Kenner seiner Person und seiner Werke verteidigte ihn damit gleichzeitig gegen die konservativen Kreise in Sachsen und Norddeutschland, die seine Musik als viel zu neumodisch und unseriös tadelten. Während aber seine in Esterháza komponierten Sinfonien von Anfang an weit über die österreichisch-ungarischen Grenzen hinaus auf lebhaftes Interesse stießen, war die Resonanz der meisten von Haydns 24 Konzerten für die verschiedensten Instrumente weit begrenzter. Sie entstanden in unregelmäßigen Abständen zwischen 1756 und 1796 (also vor Mozarts Konzerten) und halten sich alle an das traditionelle Satz-Schema schnell - langsam - schnell. Die Besetzung ist meist klein: zwei Oboen, zwei Hörner und einige Streicher, ein eher kammermusikalischer Aufbau. Beim C-Dur-Konzert dürfte Joseph Weigl als Solist am Cello gesessen haben. Er war Erster Cellist beim Fürsten von Esterházy und mit Haydn eng befreundet. Solokonzerte hatten für den Komponisten an einer höfischen Kapelle einen grundsätzlich anderen Status als die übrige symphonische Musik. So wurde für den Tag, den Anlass und vor allem den Solisten geschrieben, maßgeblich war der individuelle Leistungsstandard des Instrumentalisten.Leidenschaftliches Virtuosentum
Erstaunlich und bezeichnend für die Qualität der Haydn'schen Musiker war die große Virtuosität vor allem der Cellokonzerte. Die verlangten technischen Fähigkeiten gehen weit über den damaligen Standard hinaus. Der schnelle dritte Satz des C-Dur-Konzertes gehört zum schwersten, was die Celloliteratur zu bieten hat. Von barocker Feierlichkeit ist hier nichts mehr zu spüren, die technischen Ansprüche sprengen den bis dahin gekannten üblichen Rahmen. Cellist und Orchester stacheln sich in einer Art Wettlauf gegenseitig an. Somit spricht aus diesem Konzert beides: mit dem ersten Satz der gesetztere höfische Rahmen des Spätbarock und, zum Ende hin, das in der Wiener Klassik immer beliebter werdende moderne, leidenschaftliche Virtuosentum.Sat, 29 Oct 2022 - 24min - 609 - Marzena Diakun dirigiert Brahms' Haydn-Variationen
Brahms und Haydn – oder doch Brahms ohne Haydn?
Johannes Brahms stößt 1870 im Wiener Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde auf sechs Bläserdivertimenti, volkstümlich „Feld-Parthien“ genannt. Komponist: Joseph Haydn. „Das war ein Kerl! Wie miserabel sind wir gegen sowas!“, sagt Brahms. Und notiert in sein Skizzenheft eine Melodie aus der 6. Feld-Parthie, in der Haydn einen Choral verarbeitet, den „Chorale St. Antoni“. Jedoch: Diese heute berühmte Melodie stammt ziemlich sicher nicht von Haydn, sondern ist ein altes Wallfahrtslied.Auf dem Weg zur Sinfonie
Drei Jahre trägt Brahms diesen Choral des Heiligen Antonius mit sich herum, bis er 1873, in der Sommerfrische in Tutzing am Starnberger See, acht „Variationen für Orchester“ darüber schreibt. Ein komplett neues Genre, das er da bedient. Klaviervariationen hatte er schon komponiert, aber großangelegte Orchestervariationen, das ist neu. Es sind Gehversuche auf dem Weg hin zur symphonischen Orchestermusik, die er – Beethovens gewaltiges Werk auf diesem Gebiet vor Augen – bisher gescheut hat.Ehre für den, der zu den Fischen predigte
Der „Chorale St. Antoni“ ist ein seltsam schöner, würdiger und ruhiger Bläserchoral, ein wenig melancholisch. Im Laufe der acht Variationen taucht Brahms diesen Choral in eine hochromantische Aura zarter Orchesterfarben. Bis auf wenige Ausnahmen reinste Wiener Spätromantik. Brahms steht höchstpersönlich bei der Uraufführung seiner „Haydn-Variationen“ am 2. November 1873 in Wien am Pult. Ob er sich hätte vorstellen können, dass dieses so populäre Werk knapp 150 Jahre später von einer Frau dirigiert wird?Marzena Diakun
Das Radio hat die 1981 geboren polnische Dirigentin bekannt gemacht, als sie 2015 mehrere Konzerte mit dem Orchestre Philharmonique de Radio France in Paris dirigierte. Marzena Diakun hat in Musikwissenschaften promoviert, engagiert sich sehr für zeitgenössische Musik und verantwortet etliche Uraufführungen. Seit September 2021 ist sie Chefdirigentin des Orquesta de la Comunidad de Madrid.Sat, 22 Oct 2022 - 19min - 608 - Mélanie Bonis: Klavierquartett Nr. 1, gespielt von Clémence de Forceville, Léa Hennino, Benedict Kloeckner und Adam Laloum
Die in eine kleinbürgerliche Familie hineingeborene Komponistin Mel Bonis, eigentlich Mélanie Hélène Domange, erfuhr in ihrem Umfeld zunächst wenig Verständnis für ihre musikalische Leidenschaft. Bis ein Freund der Familie dafür sorgte, dass Mélanie schließlich César Franck vorgestellt wurde, der ihr 1876 die Türen des Conservatoire Supérieur National öffnete. Eine ganze Reihe von Preisen und Auszeichnungen der Konservatoriumszeit belegen eindrucksvoll den glänzenden Verlauf ihres Studiums. In der anbrechenden Belle Epoque war jedoch für eine Frau eine Existenz als freie Komponistin unvorstellbar. So kam es, dass die hochbegabte, sogar unter Claude Debussy und Gabriel Pierné, ihren Mitschülern am Conservatoire, noch positiv auffallende Mel Bonis von ihren wohlmeinenden Eltern zum Abbruch des Studiums gezwungen wurde. In einer auch auf Drängen der Eltern arrangierten Vernunftehe mit einem älteren Industriellen war zunächst von Musik kaum noch die Rede.
„Dass eine Frau fähig ist, so etwas zu schreiben ...“
Um 1890 führt der Zufall Mel Bonis erneut mit ihrer früheren Konservatoriums-Liebe, Amédée Hettich, zusammen. Hettich, mit dem sie ein heimliches Liebesverhältnis begann, konnte sie wieder zur Komposition animieren. Ihre Musik gelangte in der Folge, vor allem in den Jahren zwischen 1900 und 1914, zur eigentlichen Reife. Es entstanden ihre bedeutendsten Kammermusikwerke, aber auch eindrucksvolle, lyrische Klavierstücke, weltliche und geistliche Lieder und Orgelkompositionen. Ihre Werke wurden in der Musikwelt wahrgenommen, aufgeführt und, dank ihrer eigenen Bemühungen, von bedeutenden Verlegern herausgegeben. Eine umfangreiche Korrespondenz mit bekannten Interpreten und Komponisten ihrer Zeit zeigt, wie sehr ihre Werke geschätzt wurden. Bezeichnend ist eine Bewertung von Camille Saint-Saëns, nachdem er bei einem Hauskonzert ihr 1. Klavierquartett gehört hatte: „Ich hätte nie geglaubt, dass eine Frau fähig ist, so etwas zu schreiben. Sie kennt alle Tricks unseres Handwerks.“ Das zeugt einerseits von aufrichtiger Bewunderung, bestätigt aber auch sämtliche Klischees über vermeintliche Schwächen weiblicher Komponisten.Eine Suite in vier Sätzen?
Das Klavierquartett op. 69, eines gefeierten und meistgespielten ihrer mehr als 300 Werke, komplettierte Mel Bonis im Jahr 1905. Die Uraufführung fand in ihrem Salon statt, mit ihr am Klavier und den berühmten Streichern Louis Duttenhofer an der Violine, Pierre Monteux an der Viola und Louis Feuillard am Cello. Die Kritik bescheinigte dem Werk eine progressive Tonalität und bemerkenswerte experimentelle Strukturen, die nicht mehr den Gesetzen der Sonatensatzform folgten, sprach ihm aber auch eine gewisse Ernsthaftigkeit ab: Es sei eher eine locker aneinandergereihte Suite in vier Sätzen, bei der das Klavier die vorherrschende Rolle spiele.„Ein Meer von Unverständnis“
Trotz des Erfolges wurde das Klavierquartett, wie so viele andere Werke der Zeit, nach dem Ersten Weltkrieg schnell vergessen. Mélanies Urenkelin und Biographin Christine Géliot berichtet von einem „Meer von Unverständnis“, dem die Musik ihrer Urgroßmutter vor allem in ihrem letzten Lebensabschnitt gegenübergestanden habe. Zwar war sie stets offen für Neues: Ihre an melodischer und harmonischer Inspiration reiche Musik nimmt im Laufe der Jahre raffinierte impressionistische Färbungen an, greift zu neuen rhythmischen Mustern und wagt hin und wieder kühne Ausflüge in tonale Grenzbereiche – Atonalität allerdings bleibt ihrem Wesen fremd. Trotzdem können ihre Werke mit den Kammermusikkompositionen der damaligen französischen Schule verglichen werden, sie können mühelos neben den Meisterwerken von Gabriel Fauré, Camille Saint-Saëns und Claude Debussy bestehen.Sat, 15 Oct 2022 - 23min - 606 - Helsinki Baroque Orchestra spielt Joseph Martin Kraus: Sinfonie c-Moll
Es gibt nur wenige Portraits von Joseph Martin Kraus. Eines davon zeigt ihn mit Pfeife und Studentenorden über ein Notenblatt gelehnt, das Hemd lässig über der Brust geöffnet. So verwegen wie sein Konterfei ist auch seine Musik. Rund 200 Kompositionen sind erhalten: Opern und Geistliches, Kammermusik, Lieder und, besonders geschätzt von seinen Komponistenkollegen, Sinfonien. „Glauben Sie mir, es gibt wenige, die ein ähnliches Werk schreiben können“, sagte Joseph Haydn, als er die c-Moll-Sinfonie von Kraus in Esterháza dirigierte.
Ein Stürmer und Dränger
Kraus' Sinfonie in c-Moll ist ein hervorragendes Beispiel für eine in Ton gesetzte Vision des Sturm und Drang. 1777 verfasste er auch seine einzige musikästhetische Abhandlung über diese Epoche. In Deutschland konnte er jedoch nicht so recht Fuß fassen, er verließ daher seine Uni-Stadt Göttingen, hängte sein Jura-Studium an den Nagel und zog nach Stockholm: „Meinem Vaterland bin ich keinen Dank schuldig. Patriotismus ist Thorheit, und lange hat der lezte Funke verglüt. An fremden Ufern soll das Glük mich erwarten. Tref ichs da nicht an: was thuts?“Mehr zu Kraus' Sinfonie c-Moll KWV 142
Das Glück ließ allerdings lange auf sich warten und Kraus war jahrelang in Geldnöten. „Ich bin eine lebendige Hypothek“ schrieb er in einem der vielen Bettelbriefe an seine Eltern. Dann wurde der Schwedische König auf ihn aufmerksam und gab ihn einen Kapellmeisterposten bei Hofe. Fünf Jahre später, 1783, schrieb er seine c-Moll Sinfonie während einer ausgedehnten Europareise nieder und traf im Schlepptau von König Gustav III. sogar en passant Papst Pius VI. So aufgewühlt sein Leben schien, so dramatisch ging es auch zu Ende. Den Tod seines geliebten Königs soll er nur schwer verwunden haben, und wenige Monate darauf starb er an Tuberkulose. Sein reichhaltiges Œuvre zeigt ihn als wichtigen Wegweiser hin zu Beethoven. Seine Sinfonien stecken voller Verve, Überraschungen und farbenreichem, kontrapunktischen Geschick.Sat, 2 May 2020 - 23min - 605 - Das Trio Gaspard spielt Lili Boulangers 2 Stücke für Klaviertrio
Die Boulanger-Schwestern
Lili Boulanger wurde 1893 in eine Musikerfamilie hineingeboren, die aktiv das Pariser Musikleben bestimmte. Ein Freund der Familie, Gabriel Fauré, bemerkte als erster das außerordentliche Talent des Kindes. Mit fünf Jahren nahm Lili, zusammen mit ihrer sechs Jahre älteren Schwester Nadia, ihre Ausbildung am Pariser Konservatorium auf. Sie lernte dort Violine, Cello, Harfe und Orgel, Improvisation und Komposition, während sich ihre Schwester bald ganz auf das Unterrichten konzentrierte. Nadia wurde ab 1920 Professorin für Komposition an verschiedenen Institutionen, nach dem zweiten Weltkrieg auch am Conservatoire, und unterrichtete eine ganze Generation von bedeutenden Komponisten und Dirigenten, u. a. Aaron Copland, Leonard Bernstein, Elliott Carter und Daniel Barenboim. Sie widmete einen großen Teil ihres Erwachsenenlebens Lili und unterstützte die zeitlebens von Krankheit gezeichnete Schwester physisch, mental und finanziell. Nadia gründete 1939 die Lili-Boulanger-Gedächtnis-Stiftung, um sicherzustellen, dass die Werke ihrer jüngeren Schwester nie in Vergessenheit gerieten.Ein Leben geprägt von der Krankheit
Lili Boulangers Leben wurde von zwei Themen geprägt: ihrem außergewöhnlichen Talent und ihrer Krankheit. Ihr Gesamtopus entstand innerhalb von nur einem Jahrzehnt und umfasst 40 Werke, die verschiedene Stilphasen durchlaufen. Als Vorlagen für ihre Vokalmusik dienten biblische Texte, aber auch Dichtungen der französischen Symbolisten. Der Ausdrucksbereich dieser Werke liegt eher in der Farbmalerei als in plakativer Programmatik, und die verhaltene, leise Dynamik überwiegt. So stehen ihre intimen, in der Harmonik noch durch Debussy geprägten Instrumentalwerke im Gegensatz zu der zunehmend kraftvollen Art und ab 1916 auch Monumentalität, die besonders den Psaume 130 prägt. Dieses 1917 entstandene Werk weist schon auf die geistlichen Werke Arthur Honeggers (Roi David) hin. Mit 20 Jahren erhielt Lili Boulanger als erste Komponistin überhaupt den „Prix de Rome“, den damals begehrtesten Kompositionspreis, der zu einem Stipendium für ein Jahr in der Villa Medici in Rom berechtigte. Schon das Rom-Stipendium musste mehrmals wegen nötiger Sanatoriumsaufenthalte unterbrochen werden.Zwischen Freude, Schmerz und Trauer
Lili war 22, als die Ärzte ihr mitteilten, dass sie nichts mehr für sie tun könnten. Das wirkte sich unmittelbar auf ihre Musik aus. Die Kranke komponierte zunehmend Werke mit religiösem Charakter, darunter Hymnen und Texte aus dem Alten Testament. 1918 starb Lili Boulanger mit 24 Jahren an Tuberkulose. Wenige Wochen vor ihrem Tod vollendete sie die beiden Stücke für Klaviertrio, „D’un soir triste“ („Von einem traurigen Abend“) und „D'un matin de printemps“ („Von einem Frühlingsmorgen“), deren letzte Änderungen sie ihrer Schwäche wegen Nadia diktieren musste. Beide Stücke changieren hochexpressiv zwischen Freude, Schmerz und Trauer, die innigen und kühnen Stücke zeugen zudem von Originalität und echtem harmonischen Genie. Nadia überlebte ihre Schwester um 61 Jahre.Sat, 1 Oct 2022 - 17min - 604 - Karel Mark Chichon dirigiert die Suite Española von Isaac Albéniz
Ein Zyklus für Klavier
Isaac Albéniz war ein pianistisches Ausnahmetalent. Er gibt mit vier Jahren sein erstes Konzert, mit sieben besteht er die Aufnahmeprüfung am Pariser Konservatorium. Folgt später seinem Idol Franz Liszt nach Budapest. Er tourt als Klaviervirtuose durch die halbe Welt, stets das eigene Bett mit dabei. Seine Musik hat er ausschließlich für sein Instrument, das Klavier, komponiert! Berühmt geworden sind trotzdem die Gitarrenbearbeitungen, die er im Übrigen sehr geschätzt hat.Ein Denkmal für die Heimat
Mit Mitte zwanzig trifft Albéniz den Komponisten und Lehrer Felip Pedrell in Barcelona. Der kommt wie er aus Katalonien und gilt als Vater der spanischen Nationalmusik. Alle bedeutenden spanischen Komponisten, wie etwa Granados oder de Falla, haben bei ihm studiert. Er inspiriert Albéniz dazu, in seinen Klavierwerken die Rhythmik spanischer und andalusischer Volksmusik zu verarbeiten. Die Suite Española wird eine Hommage an bekannte Regionen und Städte seines Heimatlandes.Ein Welthit: Asturias
Granada, Cataluña, Sevilla, Cádiz, Asturias, Aragón, Castilla und Cuba. Sie alle verewigt Albéniz in seiner Klaviersuite. Die Orchesterfassung, die die Deutsche Radio Philharmonie spielt, beinhaltet nur noch vier der ursprünglich mal acht Sätze. Mit dabei natürlich der berühmteste Satz daraus, Asturias, der in der Gitarrenfassung ein Welthit ist. Er steht an dritter Stelle der Suite. Den Anfang aber macht Granada, ein imposanter Auftakt mit voller Orchesterwucht und natürlich – vielen Kastagnetten!Karel Mark Chichon
Chichon ist 1971 geboren, seine Eltern stammen aus Gibraltar, wo er auch aufgewachsen ist. Er ist britischer Staatsbürger und hat seit 2020 auch einen lettischen Pass, da er zum Teil in Lettland lebt. Chichon ist mit der lettischen Mezzosopranistin Elīna Garanča verheiratet. Bis 2017 war er Chefdirigent der Deutschen Radio Philharmonie, im Anschluss daran hat er den Posten des Künstlerischen Leiters des Orquesta Filarmónica de Gran Canaria übernommen.Sat, 24 Sep 2022 - 21min - 603 - Gülru Ensari & Herbert Schuch spielen Brahms’ Walzer aus op. 39 in Verbindung mit Hindemiths Walzer op. 6
Im 19. Jahrhundert vergnügte sich das Wiener Bürgertum gerne beim walzerseligen Tanzen im Dreivierteltakt. Man ging auf den Tanzböden der Habsburgermonarchie auf Tuchfühlung und kreiste paarweise übers Parkett. Auch Johannes Brahms erwies der Gattung des Walzers seine Reverenz: mit den so populären 16 Walzern op. 39, was den Wiener Kritikerpapst Eduard Hanslick zu der süffisanten Frage veranlasste: „Der ernste, schweigsame Brahms, der echte Jünger Schumanns, norddeutsch, protestantisch und unweltlich wie dieser, schreibt Walzer? Ein Wort löst uns das Rätsel, es heißt: Wien.“ Rund 50 Jahre später wandte sich der junge Paul Hindemith der Gattung zu. Trotz aller Distanz und Ironie bemerkt man bei tieferem Hineinhorchen und Hinsehen in seinen Walzern die Nähe zu denen von Johannes Brahms.
„Mehr als ein gutes Geschäft“
Brahms lag viel an einer Verbindung von populärer und kunstvoller Musik, die er vor allem im hausmusikalischen Musizieren verbinden wollte. Die damals beliebte wie gängige Form hierfür war die Besetzung für Klavier zu vier Händen, die den Walzer in einer Art von ungebrochener Natürlichkeit wiedergeben konnte, aber auch zunehmend in den Konzertsaal übernommen wurde. Der Komponist bot die Werke in weiteren, unterschiedlichen Besetzungen u.a. dem Verleger Rieter-Biedermann an, der, wie Clara Schumann später schrieb, damit „mehr als ein gutes Geschäft“ machte. Brahms mit seinem Hang zum Walzer schätzte die entsprechenden Werke von Franz Schubert und Johann Strauß sehr, sein op. 39 beschrieb er denn auch gegenüber Hanslick als „zwei Hefte kleiner unschuldiger Walzer in Schubertscher Form“. Doch enthalten die Walzer bereits eine Vielzahl an kompositorischen Finessen, die in überkommener Walzerseligkeit schwelgen, diese aber gleichzeitig bereits demontieren: Sie irritieren durch rhythmische Unregelmäßigkeiten, chromatische Harmonik und Melodik und sogar polyphone Strukturen.Von Wien in den Schwarzwald
Paul Hindemith hat Irritationen – wie er selbst sagt, die „Gabe des Zweifels“ – als Teil seiner schöpferischen Arbeit verstanden und sie für sein musikalisches Denken fruchtbar gemacht. Seine Kompositionen stehen im Spannungsfeld von avantgardistischer Provokation, „Neuer Sachlichkeit“ und der Suche nach einer allgemeingültigen Musiksprache. In seinem Frühwerk bis 1918, in das auch die Walzer op. 6 (1916) fallen, verstand er sich allerdings noch keineswegs als Komponist, sondern wollte eine mögliche Begabung nur planvoll ausprobieren. So entstanden die Walzer für das gemeinsame Musizieren am Konservatorium, und doch zeigen sie bereits eine sichere musikalische Faktur sowie ein Adaptieren verschiedener Stile, die er dann auch schalkhaft bis ironisch beleuchtet: Vom Wienerischen ist hier wenig übrig geblieben, betitelt sind die Walzer denn auch mit „Drei wunderschöne Mädchen im Schwarzwald“. Hindemith bricht mit dem reinen Dreivierteltakt, bewegt sich in spätromantischer Harmonik, emanzipiert die Walzer-typische Begleitstimme. Auf der anderen Seite wurde die Sammlung auf dem Höhepunkt des Ersten Weltkriegs komponiert, der bei dem Komponisten traumatische Erfahrungen hinterließ. Die Walzer vermitteln insofern auch ein klares Gefühl der Trauer, insbesondere der siebte, in einer stacheligen, polytonalen und polyrhythmischen Sprache geschrieben, die sowohl innovativ als auch tragisch ist.Sat, 17 Sep 2022 - 21min - 602 - Das Trio Gaspard spielt Mozarts Klaviertrio C-Dur KV 548
Das liebe Geld
Mozart hatte nie genug Geld. Das ist 1788 auch nicht anders, als er – wieder einmal – in Wien sein Quartier räumt. Sein Vermieter ist ihm wegen Mietsäumnissen aufs Dach gestiegen, Mozart zieht in eine billigere Wohnung, in das Gartenhaus „Zu den drei Sternen“ im Wiener Bezirk Währing. Dort ist es ruhiger als im Stadtzentrum. Mozart freut sich auf weniger Besuche und mehr Zeit zum Komponieren. So kommt es auch: Mozart schreibt hier seine drei letzten Symphonien und das Klaviertrio C-Dur KV 548, das ihm sicher auch als Einnahmequelle gedient hat.Klavier geht immer
Das Klavier war das Lieblingsinstrument zu Mozarts Zeit, längst stand es nicht mehr nur in adligen Salons, sondern auch in vielen gutbürgerlichen Wohnstuben. Wer auf sich hielt, spielte Klavier. Mozart konnte also davon ausgehen, dass er seine Klaviertrios, darunter auch das in C-Dur KV 548, gut unter die Leute bringen konnte. Trotzdem hat er keine Kompromisse gemacht, was etwa das technische Niveau angeht. Manch ein klavierspielender Laie dürfte sich darum mit dem Werk überfordert gefühlt haben. Wer es aber hinbekam, wurde mit schönster Musik belohnt.„Für fröhliche Sachen und solche, die Größe haben“
Genau so charakterisiert der Philosoph Jean-Jacques Rousseau die Tonart C-Dur. Oh ja, möchte man beipflichten, trifft beides zu bei Mozarts Klaviertrio C-Dur – und man versteht eigentlich nicht, warum dieses Trio so wenig gespielt wird. Mit einem reinen C-Dur Dreiklang beginnt auch das Werk und läutet eine frische und heitere Musik ein, die sich durch das ganze Trio zieht und oft an Mozarts Arien erinnert. Nur über dem zweiten Satz, einem zarten Andante cantabile, liegt ein Hauch von Melancholie. C-Dur: eine Tonart, die bei Mozart nie naiv oder eindimensional wirkt, sondern stets „Größe“ hat.Trio Gaspard
Der Geiger Jonian Ilias Kadesha wurde 1992 in Athen geboren, er hat albanisch-griechische Wurzeln, hat in Deutschland bei Grigori Zhislin und in Italien beim Paganini-Spezialisten Salvatore Accardo studiert. Er spricht vier Sprachen, interessiert sich sehr für Literatur und Philosophie und ist Mitbegründer des preisgekrönten Trio Gaspard.
Die Cellistin Vashti Hunter ist in London geboren, lebt in Berlin und Budapest und ist gefragt als Kammermusikpartnerin. 2010 hat sie zusammen mit Jonian Ilias Kadesha das Trio Gaspard gegründet, 2020 wurden die beiden auch Mitglieder des Kelemen Quartet.
Die Pianistin Hyo-Sun Lim wurde 1981 in Korea geboren. Mit 3 Jahren begann sie mit dem Klavierspiel. Sie hat in Philadelphia und an der Musikhochschule Hannover studiert. In dieser Aufnahme aus dem Jahr 2012 Pianistin im Trio Gaspard.Sat, 10 Sep 2022 - 20min - 601 - Das Trio Gaspard spielt Fanny Mendelssohns Klaviertrio d-Moll
„Komponiert habe ich in diesem Winter rein gar nichts. Was ist auch daran gelegen, kräht ja doch kein Hahn danach und tanzt niemand nach meiner Pfeife“, bekannte Fanny Mendelssohn-Hensel 1840 in einem Brief an einen Freund. Diese resigniert wirkenden Worte äußerte die Künstlerin nach Jahrzehnten des Bemühens um Anerkennung nicht nur als ausgezeichnete Pianistin und hochgeschätzte Dirigentin, sondern auch als Komponistin.
„Komponiert habe ich in diesem Winter rein gar nichts. Was ist auch daran gelegen, kräht ja doch kein Hahn danach und tanzt niemand nach meiner Pfeife“
Im Gegensatz zu ihrem schnell berühmt werdenden Bruder Felix Mendelssohn Bartholdy, den sie inniglich liebte und unterstützte, befand sich Fanny Mendelssohn, wie auch andere Frauen jüdischer Herkunft, in einem persönlichen Dilemma: Sie wurde zwar intellektuell gefördert und künstlerisch ausgebildet, durfte aber ihre Fähigkeiten nur eingeschränkt weiterverfolgen, da sie von ihrer Familie auf ein bürgerliches Rollenverständnis festgelegt wurde. Erst spät rang sie sich zur Veröffentlichung ihrer Werke durch, und ihr früher Tod verhinderte weitere Publikationen, die die ganze Bandbreite ihrer Werke hätten deutlich machen können.Quelle: Fanny Mendelssohn-Hensel
Geschätzt als Musikerin und Salonière
In den seinerzeit berühmten „Sonntagskonzerten“ im Berliner Haus der Bankiersfamilie Mendelssohn, halböffentlichen Veranstaltungen unter Beteiligung professioneller Musiker, wurden hauptsächlich Kammermusiken aufgeführt. Aber auch Werke in kleinen Orchesterbesetzungen, Vokalkompositionen und sogar Opern standen auf dem Programm, wozu sich die gesamte gesellschaftliche und geistige Elite Berlins traf. Nachdem Felix 1829 das Elternhaus für seine Bildungsreisen durch Europa verlassen hatte, übernahm Fanny die Leitung der Reihe, die sie bis zu ihrem überraschenden Tod im Mai 1847 innehatte. Die Sonntagskonzerte waren fast der einzige Ort, an dem man ihre Kompositionen hören konnte. Mit dem Klavierquartett As-Dur (1822) und der Klaviersonate c-Moll (1824) wagte sich Fanny in den 1820er-Jahren auf ein Gebiet, das damals noch als männliche Domäne galt. Ihr Mann, der Maler Wilhelm Hensel, stand ihren kompositorischen Ambitionen anfangs skeptisch gegenüber. Doch war er mehr und mehr von ihrem Talent überzeugt, unterstützte sie, wo er konnte, und sorgte dafür, dass einige ihrer Werke auch posthum veröffentlicht wurden.Nicht die nötige „Consistenz"?
„Ich habe nachgedacht, wie ich eigentlich gar nicht excentrische oder hypersentimentale Person zu der weichlichen Schreibart komme? Ich glaube, es kommt daher, daß wir gerade mit Beethovens letzter Zeit jung waren [...] ich bin drin stecken geblieben [...] meine längern Sachen [sterben] in ihrer Jugend an Altersschwäche, es fehlt mir die Kraft, die Gedanken gehörig festzuhalten, ihnen die nötige Consistenz zu geben." Diese illusionslose Selbstkritik, geschrieben in einem Brief, den Fanny am 17. Februar 1835 ihrem Bruder Felix schrieb, hat viel zur Verkennung der Komponistin Fanny Mendelssohn beigetragen. Auf der einen Seite lässt sich Fannys in mancherlei Hinsicht berechtigter Eigentadel nicht ganz entkräften. Doch ohne Zweifel spielte in Fannys musikalischer Entwicklung auch ihr Verhältnis zu ihrem jüngeren Bruder Felix die zentrale Rolle, dessen geniale Leichtigkeit des Komponierens sie zu seiner glühendsten Bewunderin machte. Fannys letztes größeres Werk war das Klaviertrio d-Moll von 1847. Es folgt im äußeren Zuschnitt ganz dem berühmten Trio ihres Bruders, ist in der Schreibart aber von diesem deutlich verschieden. Das Klaviertrio zeigt eine Komponistin auf der Höhe einer kraftvollen und „konsistenten“ Schreibweise: Das weiträumige Hauptthema des Kopfsatzes, das Lied (anstelle eines Scherzos) und das rhapsodische Finale offenbaren eine eigenständige Komponisten-Persönlichkeit mit entschieden expressiven Qualitäten.Sat, 3 Sep 2022 - 24min - 600 - Prokofjews Violinkonzert Nr. 1 mit Sergey Malov und der DSP Rheinland-Pfalz - zum kostenlosen Download
Inspiriert von der Wiener Klassik
Prokofjew ist 26, als er sein 1. Violinkonzert vollendet. Er komponiert große Teile auf dem Gut Sonzowka, das seine Eltern verwalten. Damals gehört es zum Russischen Kaiserreich, heute liegt es in der umkämpften Region Donezk in der Ukraine. Es sind unbeschwerte Tage und das Werk atmet auch, wie Prokofjews „Symphonie Classique“, den Geist der Wiener Klassik. Prokofjew selbst nennt es ein „lyrisches“ Werk.„Sognando“ – „verträumt“
Die Geige spielt gleich zu Beginn eine ätherische Melodie über dem Tremolo der Bratschen. In der Partitur notiert Prokofjew „verträumt“ und „sehr leise“. Angeblich hat ihn eine Liebesaffäre zu diesem Thema angeregt. Der Mittelsatz ist dann kein langsamer Satz, sondern ein flirrendes Scherzo. Nur knappe vier Minuten, die Violine rast förmlich durch den Satz, er schäumt über vor Vitalität. Der 3. Satz hält Rückschau und erinnert an die Welt der ersten beiden Sätze. Das Konzert hat allerdings ein Problem: Keiner will die Uraufführung spielen.Weit und breit kein Solist
1917, in dem Jahr, in dem das Konzert vollendet wird, beginnt in Russland die Oktoberrevolution. An eine Uraufführung ist erstmal nicht zu denken. Erst nachdem sich Prokofjew, 1923, bis auf weiteres in Paris niederlässt, geht er das Projekt an. Allein: es fehlt jemand, der es aufführen will. Mit Paul Kochanski, der Prokofjew beim Violinpart beraten hat, hat Prokofjew keinen Kontakt mehr, Nathan Milstein ist in Russland, vielen ist der Solopart zu kompliziert und sentimental. Letztendlich spielt ihn der Konzertmeister des Pariser Opernorchesters Marcel Darrieux.Die Pariser Uraufführung floppt
Der Grund dafür, dass keiner sich recht anfreunden kann mit dem Konzert, liegt auf der Hand: Paris erwartet von moderner Musik eine Schockwirkung. Man hat sich inzwischen an die provokanten Töne eines Strawinsky gewöhnt. Und im gleichen Konzert der Uraufführung hat auch das Bläseroktett von Igor Strawinsky Premiere und wird sogar vom Komponisten höchstpersönlich dirigiert. Mit sowas kann Prokofjew nicht aufwarten. Wie die Zeiten sich ändern: Längst zählt Prokofjews erstes Violinkonzert zur Grundausstattung großer Geigenvirtuos:innen.Sergey Malov
Sergey Malov stammt aus St. Petersburg und ist ein Multitalent. Er spielt Geige, Bratsche, Barockvioline und das „Violoncello da spalla“, ein kleineres, 5-saitiges Cello, das man auf der Schulter spielt, alle gleichermaßen virtuos und mit großem Erfolg. Davon sprechen die vielen hochkarätigen Preise, wie etwa der beim ARD Wettbewerb in München, den er mit der Bratsche gewann. Seine Internetauftritte mit dem „Schulter-Cello“ sind millionenfach angeklickt. Seit 2017 ist Sergey Malov Professor an der Zürcher Musikhochschule.Sat, 27 Aug 2022 - 22min - 599 - Peter-Philipp Staemmler und Hansjacob Staemmler spielen George Enescus Cellosonate Nr. 2
Mit 14 Jahren ging George Enescu nach Paris, um bei Ambroise Thomas, Jules Massenet und Gabriel Fauré zu studieren. Seine prominenten Mitschüler waren Maurice Ravel, Florent Schmitt und Charles Koechlin. Zunächst reiste er als Violinvirtuose durch Europa und gab Violin-Unterricht, sein bedeutendster Schüler war Yehudi Menuhin. 1902 gründete er mit Louis Fournier und Alfredo Casella ein Klaviertrio, 1904 das Enescu-Quartett. Kammermusik bildete schon früh den originellsten Teil seines Œuvres. Doch ist dieser Musiker der typische Fall eines Komponisten, dessen Bedeutung schon zu Lebzeiten nicht verstanden wurde.
Missverständnisse und Neubewertungen
Schon seine ersten Werke heben Enescu aus dem allgemeinen Kontext der rumänischen Musik des ausgehenden 19. Jahrhunderts heraus, die zwischen naivem Nationalcharakter und ebenfalls naivem Streben nach Universalismus pendelte. So wurde dem Komponisten Enescu eine exotische, folkloristische Qualität zuerkannt und kurzerhand geschlussfolgert, er müsse ein pittoresker Vertreter einer „nationalen Schule“ sein. Das allein ist jedoch unweigerlich zu wenig und grundsätzlich falsch. Denn während er in jungen Jahren zwischen vielen Stilrichtungen pendelte, die er nacheinander ausprobieren musste (Neoklassizismus, impressionistische Färbungen, Neoromantik, Verwertung von Volksmusik, Neobarock), suchte er später nach einem ganz eigenen Profil. Die radikale Umgestaltung in Stil und Technik rief jedoch zunächst Unverständnis bei Publikum und Kritik hervor. So wandlungsfähig Enescus Musik auch immer bleibt, so schwer greifbar ist sie im späteren Stadium.Zwischen Romantik und Moderne
Enescus Cellosonaten sind beide erst 1935 unter der Opuszahl 26 veröffentlicht, doch trennen sie vom Kompositionsdatum her beinahe 40 Jahre. Gemeinsam ist ihnen der viersätzige Aufbau mit dem Scherzo an zweiter und dem langsamen Satz an dritter Stelle. Doch während die erste Sonate von 1898 tief in der Romantik verwurzelt und Johannes Brahms und seinen französischen Zeitgenossen verpflichtet ist, zeigt die zweite, Pablo Casals gewidmete C-Dur-Sonate eine große Vielschichtigkeit, Weite und Gedankentiefe. Im Tonfall mutet das Werk deutlich moderner an, im Duktus ist es bisweilen fast aphoristisch, mit der Volksmusik entsprechender heterophoner Themengestaltung, aber auch grüblerisch und drängend. Hier hat sich der Komponist intensiv und im Sinne Béla Bartóks mit der Erforschung der authentischen volksmusikalischen Wurzeln seiner Heimat auseinandergesetzt.Sat, 20 Aug 2022 - 28min - 598 - András Schiff spielt Schuberts Klaviersonate in a-Moll
Ein kurzes, produktives Leben
Franz Schubert stirbt mit 31 Jahren an der Syphilis. Einige Jahre zuvor hat er sich angesteckt. Die Symptome sind schlimm und er spürt sie früh. Etwa Schwindel und starkes Kopfweh. Auch Ausschlag. Dennoch komponiert Schubert unverdrossen. 30.000 Stunden, hat ein Zahlenfreak mal errechnet, soll Franz Schubert in seinem kurzen Leben mit Komponieren zugebracht haben, selbst beim Schlafen soll er seine Brille nie abgezogen haben, um sofort Einfälle notieren zu können. Seine Klaviersonate a-Moll legt auch Zeugnis ab von seinen körperlichen Leiden.Seelendrama
Es ist immer wieder Schuberts unglaubliche Fähigkeit, mit wenigen Noten eine große Intimität herzustellen, so viel auszusagen. Auch über sich selbst. Auch über seine Not in dieser Zeit. Im Kopfsatz hört man das. Da hat einer schwer zu tragen. Franz Schubert kann 1823, als er die Sonate schreibt, wegen seiner Erkrankung das Haus nicht verlassen Aber Schubert wäre nicht Schubert, wenn er nicht mitten in dieser Trostlosigkeit nicht auch kleine idyllische Inseln aufleuchten ließe, etwa im 2. Satz, einem Andante. Die Sonate schließt mit einem Allegro vivace, das seinen Namen wahrlich verdient.Zen in der Kunst des Klavierspielens
András Schiff ist vom Zen beeinflusst. Er kennt Japan gut, ist mit einer Japanerin verheiratet. Aber vor allem sei die Haltung des Zen gerade fürs Musizieren wichtig und hilfreich. Viele Musiker:innen hetzten von Wettbewerb zu Wettbewerb, wären an Erfolgen orientiert, an Ergebnissen interessiert, daran perfekt zu spielen. Sie hätten aber das Spirituelle, das Musikmachen vermitteln könne, nicht erfahren. „Musik kommt aus der Stille und endet auch wieder dort“, sagt er. Das meint man zu hören bei András Schiff. Sein Schubert berührt, wirkt natürlich und spontan - und atmet. Wie man es eben auch in der Zen-Meditation erleben kann.András Schiff
András Schiff ist 1953 in Budapest in ein musikbegeistertes Elternhaus hinein geboren. Mit 14 wird er Jungstudent an der Franz-Liszt-Musikakademie Budapest. Einige Jahre später entdeckt er die Musik Bachs für sich und lehnt ab da rein technische Übungen am Klavier ab. Bach habe alles, was ein Pianist brauche, sagt er. Bach ist auch nach wie vor sein Lieblingskomponist. 2014 wurde Schiff in den englischen Ritterstand erhoben und heißt seitdem Sir András Schiff. Er arbeitet auch als Dirigent.Sat, 13 Aug 2022 - 22min - 597 - La Cetra Barockorchester Basel spielt Bachs Brandenburgisches Konzert Nr. 3
Die neun Musen
Bach, damals Kapellmeister in Köthen, widmet seine Brandenburgischen Konzerte dem Markgrafen Christian Ludwig von Brandenburg. 1721 überreicht sie ein reitender Bote dem Markgrafen im Berliner Stadtschloss. Allesamt in einer demonstrativ schön geschriebenen Partitur. Weil der Markgraf nicht nur kundig im Bereich der Infanterie ist, sondern auch einiges von der Kunst versteht, will Bach vermutlich mit seinen 3+3+3=9 Streichinstrumenten die neun Musen aus der griechischen Mythologie symbolisieren und dem Markgrafen huldigen: Ein Förderer der Künste umringt von den neun Musen.Diplomatischer Schachzug
Bach führt dieses Konzert schon ein Jahr früher auf, an seinem Dienstort, dem schönen Wasserschloss des Fürsten zu Anhalt-Köthen. Dem Fürsten ist es nur recht, dass Bach seine Brandenburgischen Konzerte dem Markgrafen in Berlin widmet: Ein kulturelles Geschenk aus Köthen könnte den Markgrafen günstig stimmen und Unterstützung bringen im ewigen Machtpoker, den der Fürst in Köthen mit Mutter und Bruder austrägt. Seine Position ist geschwächt, auch weil der Fürst kränkelt. Bach dürfte die Konzerte oft genug am Prunkbett des Fürsten aufgeführt haben.Ein rasendes Orchester
Bach sitzt dabei am Cembalo, dazu, um die Continuo-Gruppe komplett zu machen, ein Kontrabass, und natürlich die neun Streicher. Die Besonderheit des 3. Konzerts ist, dass es nur zwei Sätze hat, es fehlt der langsame Mittelsatz. Die beiden Sätze sind durch eine Kadenz von zwei Tönen verbunden – wie ein tiefes Ein- und Ausatmen, bevor der rasante 2. Satz folgt. Er ist geprägt von Sechzehntelnoten und schon Bach selbst soll ihn in einem Affenzahn aufgeführt haben. Darum ist das, was das La Cetra Barockorchester Basel hier abliefert, tatsächlich nichts anderes als „historisch informiert“.La Cetra Barockorchester Basel
Rasante Tempi und federnder Schwung sind das Markenzeichen des La Cetra Barockorchesters, gegründet 1999 in Basel. Der Name ist Antonio Vivaldis Violinkonzert-Sammlung op. 9 entlehnt mit dem Titel „La Cetra“ – die Leier – und deutet auf das Kernrepertoire des Orchesters hin: Italienische Instrumentalmusik des 18. Jahrhunderts. Künstlerischer Leiter ist Andrea Marcon.Sat, 9 Apr 2022 - 11min - 596 - Ragna Schirmer spielt Clara Schumanns Scherzo für Klavier Nr. 2 c-moll op. 14
1840 heirateten Clara und Robert Schumann gegen den Willen von Claras strengem Vater Friedrich Wieck, der sie in vielfacher Hinsicht förderte und ihr sowohl eine lebenspraktische als auch künstlerische Grundlage mitgab. Clara musste viele Rollen in ihrem Leben erfüllen. Sie war Freundin, Ratgeberin und geschätzte Kollegin berühmter Musiker*innen wie Wilhelmine Schröder-Devrient, Pauline Viardot-Garcia, Johannes Brahms und Joseph Joachim. Außerdem war sie Klavierpädagogin und Herausgeberin der Werke ihres verstorbenen Mannes Robert Schumann. Ihr ist es zu verdanken, dass Schumanns Werke nicht in Vergessenheit gerieten.
Künstlerische Karriere unter Druck
Schon im Kindesalter begann Clara zu komponieren: Ihr Opus 1 (von insgesamt 23 Opera) erschien im Druck, als sie gerade einmal elf Jahre alt war. Das größte Projekt ihrer Jugend, die Uraufführung des Klavierkonzerts op. 7, leitete Felix Mendelssohn Bartholdy am 9. November 1935 im Leipziger Gewandhaus. Nach der Heirat mit Robert Schumann schrumpfte ihr eigener kreativer Freiraum jedoch dramatisch. Durch das Fehlen einer professionellen Basis, das tägliche musikalische Studium, verschob sich das künstlerische Kräfteverhältnis zwischen ihr und ihrem Mann im Laufe der 1840er-Jahre uneinholbar zu seinen Gunsten: Sie steckte zurück. Ihre einzige Klaviersonate f-Moll von 1847 blieb zunächst ungedruckt. In den 1850er-Jahren, nach dem Umzug der Familie nach Düsseldorf, entstanden einige entscheidende Werke für Klavier solo (Variationen, Romanzen, Lieder), die ihren individuellen Stil kennzeichnen. Nach dem Tod Roberts im Jahr 1856 brach ihr Lebenskonzept ein. Sie musste sich ausschließlich auf ihren Beruf als Pianistin konzentrieren. Sie stellte ihre Kompositionsansprüche hinten an, feierte allerdings als Interpretin sensationelle Erfolge, mit Beethoven, Mendelssohn, Chopin, in erster Linie aber mit den Kompositionen ihres verstorbenen Mannes.Ideales Konzertrepertoire
Nach 1856 hatte Clara aufgehört zu komponieren; bis dahin lagen rund zwei Dutzend ihrer Werke gedruckt vor – neben Klavierwerken sind dies Lieder, Kammermusik und ein Klavierkonzert. Ihre letzte Komposition schrieb Clara Schumann nach jahrzehntelanger Pause 1879. Musikalisches Gespür sowie eine ausgefeilte Kompositionstechnik zeichnen Clara Schumanns Werke aus: Mendelssohn, Louis Spohr und Frédéric Chopin, vor allem dessen Mazurken und Balladen, gehören zu ihren kompositorischen Vorbildern. Das 1841 komponierte Scherzo op. 14 ist ein hochvirtuoses Stück, das sofort als ideales Konzertstück mit beeindruckender Wirkung ins Repertoire von Robert und Clara übernommen wurde. Das Werk zeigt eine erweiterte, intensiv-packende und ausgefeilte Musiksprache, die Clara später nicht mehr weiterverfolgte. In einem Brief an Johannes Brahms aus dem Jahr 1868 sprach sie sich über die Bedeutung der Musik für ihr Leben aus, ein Satz, der als ihr Lebensmotto gelten kann: „Die Ausübung der Kunst ist ja ein großer Teil meines Ichs, es ist mir die Luft, in der ich atme!“ Dennoch geriet Clara schnell in Vergessenheit, bis sie in den 1960er-Jahren von der Frauenforschung als Künstlerin wiederentdeckt wurde.Sat, 6 Aug 2022 - 05min
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